2015-09-30 11:32:00

Syrien: „Wir müssen eine Übergangslösung finden - mit Assad"


Täglich Tote und Verwundete durch Bomben und Schießereien, kein Strom, kein Wasser, ständig steigende Nahrungsmittelpreise - das ist die aktuelle Situation in der nordsyrischen Stadt Aleppo. Zehntausende fliehen deshalb nach Europa, wie der örtliche Bischof Antoine Audo am Dienstag bei einem Besuch in Salzburg unterstrich.

Aleppo, einst bedeutendes Wirtschaftszentrum, zählt zu den umkämpftesten Städten im Syrienkrieg. Während das Regime von Präsident Bashar al-Assad den Westteil Aleppos kontrolliert, beherrschen Rebellen die Viertel im Osten. Auch der „Islamische Staat“ (IS) will die Stadt einnehmen. Die Kämpfe um die Stadt haben sich zuletzt verschärft.

In Aleppo sei die Lage jeden Tag gefährlich, so Audo. „Die Bomben fallen jeden Tag auf meine Kathedrale oder auf das Bischofshaus. Mir geht es wie allen Menschen in Aleppo: Ich passe genau auf, wenn ich mich in der Stadt bewege, und weiß, dass ich ständig in Gefahr bin. Wir arrangieren uns gewissermaßen mit dem Krieg, wir wissen, was wir tun müssen, um von einem Tag zum anderen möglichst mit dem Leben davonzukommen. Aber ich sehe keine andere Wahl: Als Bischof und als syrischer Caritas-Präsident muss ich bei den Menschen bleiben, um ihnen Hilfe anzubieten.“

Syrien befinde sich in einer paradoxen Situation. In weiten Teilen herrsche ein furchtbarer Krieg, aber in noch relativ friedlichen Landesteilen, etwa an der Mittelmeerküste in Tartus und Latakia, würden die Menschen auch Ausflüge machen und ein vermeintlich recht normales Leben führen. Auch in Aleppo gebe es noch offene Schulen und eine Universität. Der Alltag, und damit auch ein Schul- und Universitätsbesuch, könne jedoch lebensgefährlich sein.

„Die Lösung kann nur politisch sein"

Militärisch sei der Konflikt nicht zu gewinnen, das sei nach mehr als vier Jahren Krieg klar, so Audo im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Kathpress. „Die Lösung kann nur politisch sein. Als erstes müsste man Saudi-Arabien daran hindern, weiterhin Leute zu bewaffnen, und die Türkei daran hindern, auf ihrem Territorium Menschen für den Kampf in Syrien zu trainieren. Das wäre das Erste. Zweitens müsste man wirklich auf eine politische Lösung setzen – und zwar eine, die aus dem Innern Syriens kommt und nicht von außerhalb. Syrien ist ein legitimer Staat und hat das Recht, selbst über sein Regime oder seine Regierung zu entscheiden, wenn wir wirklich über Demokratie usw. reden!“ 

Vor dem Krieg lebten in Syrien rund 1,5 Millionen Christen. Zwei Drittel davon seien bereits aus dem Land geflüchtet, berichtete der Bischof. In Aleppo habe es vor dem Krieg rund 150.000 Christen gegeben. Inzwischen seien es nur mehr rund 50.000. Viele vermögende christliche Syrer seien in den Libanon gezogen. Die meisten geflüchteten Christen würden aber sicherlich zurückkehren, wenn es wieder Frieden gibt, ist Bischof Audo überzeugt.

Im Land geblieben seien vor allem jene, die sich eine Flucht nicht leisten könnten. Die Mittelklasse sei inzwischen veramt, und die schon früher armen Bevölkerungsschichten lebten nun unter extrem prekären Bedingungen. Die Kirche helfe so gut sie könne, etwa mit Nahrungsmittelhilfe, Medikamenten oder Kleidung. Und sie helfe sowohl Christen wie auch Muslimen. So halte man die „kleine Flamme der Hoffnung“ am Leben.

„Was Daech (also die Terrorgruppe Islamischer Staat) betrifft: Man müsste die Waffenlieferungen an sie unterbinden. Wir wissen doch genau, wer dieser Gruppe Waffen liefert und wer sie finanziert! Ich bin davon überzeugt, dass Daech eine armselige Kreation von Terroristen ist, um Instabilität zu verbreiten, und dass dahinter eine ganz andere Agenda steckt. Es geht nicht um einen islamischen Staat, sondern nur darum, Angst und Terror zu verbreiten.“

Im Grunde gehe es im Nahen Osten um den immer gleichen innerislamischen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, wobei sich in Syrien vor allem Sunniten und Alawiten bekriegen. Sunniten würden sich dabei aktuell eben auch des Islamischen Staates bedienen.

„Wir müssen eine Übergangslösung finden - erst mit Assad"

Im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“ präzisierte Audo seine Position zu Staatschef Assad: „Ich respektiere den Standpunkt der Europäer, die sagen, Assad ist ein Diktator und Mörder. Aber wir müssen diesen Krieg in einem größeren Zusammenhang sehen. Assad verteidigt schon auch eine Idee von Syrien. Wir müssen eine Übergangslösung finden - erst mit Assad. Dann muss es eine Lösung mit Sunniten, Alawiten, den verschiedenen Konfessionen geben.“

Audo gehört dem Jesuitenorden an und ist seit 1992 der Oberhirte für die chaldäischen Katholiken in Nordsyrien. Zudem ist Audo Präsident der Caritas Syrien.

(kap 30.09.2015 sk)








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