2015-09-25 14:22:00

Franziskus vor der UNO: „Krieg ist die Negierung aller Rechte“


Papst Franziskus hat die Regierenden der Welt dazu aufgerufen, Eigeninteressen und Ideologien auf Kosten der Armen auszublenden und die „unangefochtene Herrschaft des Rechts“ sicherzustellen. Nur so könne die internationale Politik ihrem Auftrag als Friedensstifter nachkommen. Franziskus sprach an diesem Freitag in einer langen Rede vor der UNO-Vollversammlung in New York. Er beschwor die Staatenlenker eindringlich, anstehende wichtige Entscheidungen über Umwelt und Politik nicht zu verschieben. Konstant lenkte der Papst den Blick auf die Verflechtungen zwischen Armut und Umwelt und darauf, dass Politik auch auf den höchsten Ebenen immer konkrete Menschen im Blick haben müsse, vor allem die Armen und Ausgeschlossenen: „Die wirtschaftliche und soziale Ausschließung ist eine völlige Verweigerung der menschlichen Brüderlichkeit und ein äußerst schwerer Angriff auf die Menschenrechte und auf die Umwelt“, erklärte der Papst. Anwesend waren 160 Staats- und Regierungschefs, so viele wie nie zuvor bei der UNO-Generaldebatte.

Dem Wirken der Vereinten Nationen, die seit 70 Jahren bestehen, gestand Franziskus bei allen Schwierigkeiten eine geradezu weltrettende Kraft zu. Es sei „klar, dass die Menschheit, wenn all diese internationale Aktivität ausgeblieben wäre, den unkontrollierten Gebrauch der eigenen Möglichkeiten eventuell nicht überlebt hätte“. Die UNO habe viele Verdienste, so der Papst: sie entwickelte das internationale Recht, erstellte den Katalog der Menschenrechte, leistete Friedenseinsätze und löste viele internationale Konflikte. Das alles sei Teil eines idealen Wegs, nämlich die menschliche Brüderlichkeit zu konkretisieren. Franziskus zollte seine Achtung „allen Männern und Frauen, die in diesen siebzig Jahren der ganzen Menschheit treu und opferbereit gedient haben“.

Internationale Finanzbehörden

Danach stieg Franziskus in die dringendsten Problematiken der heutigen Weltgemeinschaft ein.  Das „letzte Ziel“ der UNO sei es, „ausnahmslos allen Ländern eine Beteiligung und einen realen und gerechten Einfluss auf die Entscheidungen zu gewähren“. Das gilt nach der Darstellung des Papstes besonders auch in der Bewältigung der Wirtschaftskrisen: „Die internationalen Finanzbehörden müssen über die nachhaltige Entwicklung der Länder wachen und diese vor einer erstickenden Unterwerfung durch Kreditsysteme schützen, die – weit davon entfernt, den Fortschritt zu fördern – die Bevölkerung unter das Joch von Mechanismen zwingen, die zu noch größerer Armut, Ausschließung und Abhängigkeit führen.“

„Es gibt ein wirkliches Recht der Umwelt“

Franziskus erinnerte die zur UNO-Generaldebatte versammelten Staatenlenker an die klassische Definition von Gerechtigkeit: „jedem das Seine zu geben“. Das bedeute, „dass weder eine Einzelperson noch eine Menschengruppe sich als allmächtig betrachten darf“. Niemand, auch kein Staat, habe das Recht, „über die Würde und die Rechte der anderen Einzelpersonen oder ihrer gesellschaftlichen Gruppierungen hinwegzugehen“.

Die Wirklichkeit zeigt aber nach Darstellung des Papstes anderes. Heute gebe es „viele Scheinrechte und zugleich große schutzlose Bereiche“, nämlich „die natürliche Umwelt und die weite Welt der ausgeschlossenen Frauen und Männer“. Er sprach von einem „wirklichen Recht der Umwelt“ und betonte, wie sehr Umwelt und Armut zusammenhängen: „Tatsächlich führt ein egoistisches und grenzenloses Streben nach Macht und materiellem Wohlstand dazu, sowohl die verfügbaren materiellen Ressourcen ungebührlich auszunutzen als auch die auszuschließen, die schwach und weniger tüchtig sind.“ Folgerichtig rief Franziskus die Regierenden der Welt dazu auf, mehr für Umweltschutz zu tun und die Politik des Ausschlusses zu beenden, und zwar ganz konkret heute: „Die Annahme der „2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung“ auf dem Gipfeltreffen, das noch heute beginnen wird, ist ein wichtiges Zeichen der Hoffnung.“ Er vertraue auch darauf, dass die UN-Klimakonferenz von Paris im Dezember „zu grundlegenden und wirksamen Vereinbarungen gelangt“.

„Neben Deklarationen braucht es konstanten Willen”

Feierliche Absichtserklärungen allein reichten freilich nicht aus, schärfte der Papst den Staats- und Regierungschefs zugleich ein. „Die Welt verlangt von allen Regierenden einen wirklichen, praktischen, beständigen Willen zu konkreten Schritten und unverzüglichen Maßnahmen, um die natürliche Umwelt zu bewahren und zu verbessern und das Phänomen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausschließung so schnell wie möglich zu überwinden.“

Angesichts von Erscheinungen wie Menschenhandel, Organhandel, sexueller Ausbeutung von Kindern, Sklavenarbeit einschließlich Prostitution,  Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus und internationale organisierte Kriminalität forderte Franziskus von den Politikern nicht bloß Deklarationen, die das Gewissen beruhigen, sondern Willen, Konstanz und Haltung: „Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Institutionen wirklich effektiv sind im Kampf gegen all diese Plagen.“

„Recht auf Wohnung, Arbeit, Land und Religionsfreiheit“

Ebenso müssten die Regierenden mit ihrer Politik dafür sorgen, allen Menschen die „minimale materielle und geistige Grundlage“ zu geben, „um menschenwürdig zu leben und eine Familie zu gründen und zu unterhalten.“ Wohnung, Arbeit und Land seien materiell dazu nötig – Franziskus griff hier auf die Grundforderungen der von ihm geschätzten „Volksbewegungen“ zurück – sowie Religionsfreiheut und das Recht auf Bildung, besonders auch für Mädchen.

Umweltschutz ist Lebensschutz

Die ökologische Krise unserer Tage könnte, fuhr der Papst fort, die Existenz der Spezies Mensch selbst gefährden. Franziskus sprach von „unheilvollen Auswirkungen einer unverantwortlichen Zügellosigkeit der allein von Gewinn- und Machtstreben geleiteten Weltwirtschaft“. Als erstes und wichtigstes Gegenmittel empfahl Franziskus ein ernsthaftes Nachdenken über den Menschen und seine ethischen Grenzen. „Der Mensch macht sich nicht selbst“, zitierte der Papst seinen Vorgänger Benedikt XVI. Umweltschutz und der Kampf gegen Ausschließung erforderten die „Anerkennung eines Sittengesetzes, das in die menschliche Natur selbst eingeschrieben ist“. Dieses Gesetz schließe die natürliche Unterscheidung zwischen Mann und Frau ein sowie „die uneingeschränkte Achtung vor dem Leben in allen seinen Stadien“. Das ist ein Wink zur Position bestimmter reicher UNO-Länder, die sich ein „Recht auf Abtreibung“ auf die Fahnen schreiben.

„Krieg ist die Negierung aller Rechte“

Nach diesem Blick auf die Grundlagen politischen Handelns ging Franziskus auf den großen Auftrag der UNO selbst ein: Krieg zu vermeiden und Frieden zu schaffen. „Krieg ist die Negierung aller Rechte und ein dramatischer Angriff auf die Umwelt. Wenn man eine wirkliche ganzheitliche menschliche Entwicklung für alle anstrebt, muss man weiter unermüdlich der Aufgabe nachgehen, den Krieg zwischen den Nationen und den Völkern zu vermeiden.“ Zu diesem Zweck müsse „die unangefochtene Herrschaft des Rechtes sichergestellt werden“, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln: Verhandlungen oder Schiedsverfahren etwa. Franziskus wiederholte sein klares Nein zu Waffen, ganz besonders Atomwaffen. Diese „verleugneten in der Praxis“ die Grundsteine des internationalen Rechtsgebäudes. Und noch deutlicher: „Eine Ethik und ein Recht, die auf der Bedrohung gegenseitiger Zerstörung – und möglicherweise einer Zerstörung der gesamten Menschheit – beruhen, sind widersprüchlich und stellen einen Betrug am gesamten Gefüge der Vereinten Nationen dar.“ Ausdrücklich würdigte Franziskus an dieser Stelle das Atomabkommen mit Iran. Diese Vereinbarung sei „ein Beweis für die Möglichkeiten des politischen guten Willens und des Rechts“; er wünsche sich, dass sie „dauerhaft und wirkungsvoll sei.“

Lob für Atomabkommen mit dem Iran

Als Beispiel verfehlter Politik nannte der Papst politische und militärische Eingriffe in Nahost und Afrika ohne Abstimmung in der UNO. Konkreter wurde er nicht, doch dürfte er damit auf die Lufteinsätze der USA und Großbritanniens in Syrien und jene Frankreichs in Libyen anspielen. Christen und auch gemäßigte Muslime müssten in bestimmten Weltgegenden zusehen, wie ihre Kultstätten, ihre Häuser und ihre Habe zerstört werde. Solche Lebensrealitäten müssten „ein ernster Aufruf zu einer Gewissenserforschung“ der Staatenlenker sein. In jedem Fall aber – und hier nannte der Papst die Ukraine, Syrien, Irak, Libyen, Süd-Sudan und das Gebiet der großen afrikanischen Seen – hätten „konkrete Personen den Vorrang vor Partei-Interessen, so legitim sie auch sein mögen. In den Kriegen und Konflikten gibt es den einzelnen Menschen, unseren Bruder und unsere Schwester – Männer und Frauen, Jugendliche und Alte, Knaben und Mädchen, die weinen, leiden und sterben –, Menschen, die zu Material werden, wenn man sich nur damit beschäftigt, Probleme und Strategien anzuführen und sich in Diskussionen zu ergehen – zu Material, das man wegwerfen kann.“

Die Gefahr für die Entwicklung der Welt komme „weder vom Fortschritt noch von der Wissenschaft”, zitierte Franziskus gegen Ende seiner Ansprache Papst Paul VI., der vor fast genau 50 Jahren am selben Rednerpult gesprochen hatte: „Die wahre Gefahr liegt im Menschen, der über immer mächtigere Mittel verfügt, die fähig sind, sowohl in den Ruin als auch zu größten Errungenschaften zu führen.“ So mahnte Franziskus die Staats- und Regierungschefs sowie die Vertreter der 193 UNO-Staaten dazu, „neue Dynamiken in der Gesellschaft“ zu erzeugen. „Wir können es uns nicht leisten, ,einige Zeitpläne´ auf die Zukunft zu verschieben. Die Zukunft verlangt von uns kritische und globale Entscheidungen im Hinblick auf die weltweiten Konflikte, die die Anzahl der Ausgeschlossenen und Bedürftigen erhöhen.“ Die internationalen Politiker müssten „sektorale Interessen und Ideologien ausblenden und aufrichtig nach dem suchen, was dem Gemeinwohl dienlich ist“.

Es war das fünfte Mal, dass ein Papst vor der UNO-Vollversammlung sprach. Die erste Rede vor der internationalen Welt-Organisation hielt Paul VI. im Jahr 1965. Johannes Paul II. kam zweimal, 1979 und 1995. Papst Benedikt XVI. sprach 2008 vor der UNO.

(rv 25.09.2015 gs)








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