2015-09-22 08:00:00

Katholizismus in den USA: The American Way


Seit Wochen überschlagen sich die Medien in den USA: Statistiken und Umfragen, Analysen und Streitschriften, der Papst lässt die katholische Kirche im nächsten Land dieser Papstreise nicht unbewegt. Aber was genau ist das für eine Kirche? Eine, die Minderheit war. Eine, die im Augenblick immer spanischer wird, das ist bekannt. Um mehr zu erfahren, hat Radio Vatikan einen Experten befragt, Ferdinand Oertel, Autor eines Buches über den US-Katholizismus.

Er berichtet zunächst von der Sonderstellung, welche die Katholiken in Staat und Gesellschaft immer hatten, man hat sie in den USA lange Zeit nicht wirklich akzeptiert. „Obwohl es Religionsfreiheit gab und die Trennung von Staat und Gesellschaft verfassungsmäßig gegeben war, wurden die Katholiken von Anfang an als nicht demokratiefähig angesehen, sie waren ja papsthörig,“ beschreibt Oertel die Ausgangsstellung. „Die Katholiken konnten vielfach keine staatlichen Ämter übernehmen, sie wurden auch politisch verfolgt und mussten praktisch in den Untergrund gehen, in dem sie eine eigene Subkultur aufgebaut haben, und zwar eine so starke, dass das bis heute nachwirkt.“ Die Einwanderer des 18. und 19. Jahrhunderts aus katholischen Ländern wie Italien, Irland oder Polen haben rund um ihren Kirchturm Heimat gefunden, von Arbeitsbeschaffung über Schule bis zu den Gottesdiensten. Es entstand eine sehr starke Kirche, die sich vor allem lokal identifizierte, viel stärker, als das in Europa der Fall ist.

Es wird spanischer

Viel von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ist in Europa und den USA parallel verlaufen, etwa eine zunehmende Entfremdung der Gläubigen und ein Rückgang des Gottesdienstbesuches. Ähnlich ist auch der Generationswechsel, die Post-Konzilsgeneration wird älter. Aber da gibt es auch eigene Entwicklungen, erzählt Oertel, „denn aus dieser Einwandererkirche europäischer Weißer ist inzwischen eine vielfarbige Kirche geworden. 45 Prozent sind weißer Hautfarbe, 40 Prozent sind hispanischer Herkunft, und 15 Prozent sind Afroamerikaner und Asiaten, die man auch nicht unterschätzen darf und die ebenfalls neue Elemente in die Kirche an der Westküste bringen.“ Die offizielle Kirche hat aber spät auf diese Entwicklung reagiert, Institutionen für die Hispanics hat die Bischofskonferenz des Landes, die USCCB, verspätet eingeführt, so dass viele vor allem junge Gläubige ihren als direkter und privater empfundenen Glauben nun in anderen Glaubensgemeinschaften suchen. „In der katholischen Kirche ist denen alles zu streng reglementiert.“

Statistiken hat es in der jüngeren Vergangenheit viele gegeben, auch in Vorbereitung auf den Papstbesuch. Nur vier Prozent, so berichtet Oertel aus diesen Untersuchungen, machen das aktive Gemeindeleben vor Ort aus, meistens eher ältere Semester. Die Jüngeren gehörten nicht mehr zu diesen eng am Kirchturm lebenden Katholiken, „und die setzen ihre Prioritäten weniger auf ein Glaubensleben, das sich im Weltkatechismus und in der Kirchenlehre widerspiegelt, sondern sie setzen neue Prioritäten, etwa den Einsatz für Frieden, Umwelt und für soziale Dienste.“

Missbrauch

Prägender für die US-katholische Kirche als die langsam verlaufenden Entwicklungen sind aber Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, vor allem der Umgang mit sexueller Gewalt und Missbrauch. „Zu dem ganzen Komplex Missbrauch muss man sagen, dass die Bischöfe und die ganze katholische Kirche bei den Aufdeckungen Anfang 2000, 2001 völlig überrascht worden sind und im Grunde völlig falsch reagiert haben, indem sie weiter geleugnet haben. Es musste erst der Vatikan eingreifen, damit in den USA direkte Maßnahmen gegen den Missbrauch ergriffen wurden. Einmal gegenüber den Priestern, die oft heimlich an andere Orte versetzt worden sind, dann Schutz vor neuen Missbräuchen und schließlich Entschädigung und Hilfe für die Betroffenen. Das hat sehr, sehr lange gedauert und ist im Grunde bis heute noch nicht zu Ende, und es hat der katholischen Kirche einen ganz schweren Makel eingetragen. Die Bischöfe haben Glaubwürdigkeit verloren.“

Der neue Papst

Diese Kirche wird nun vom Papst besucht: einem Papst, der noch nie zuvor in diesem Land war und dessen eigene Herkunft eher in Konflikt mit dem Norden steht, denn die USA haben die diversen Diktatoren in Lateinamerika häufig unterstützt. Das ist aber gar nicht so sehr das Thema, berichtet der Experte Oertel, sondern „dass es von Anfang an schwere Irritationen über den Lebensstil des neuen Papstes und viele seiner Aussagen gegeben hat. Das ist so weit gegangen, dass man zuletzt, als es hieß, der Papst unterstütze Kardinal Kasper mit seinen Vorstellungen über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Frage des Kommunionempfangs, anfing davon zu sprechen, dass der Papst die Kirche in ein Schisma führen könnte. Dazu kommt dann jetzt die Frage mit den Familien, und da erwarten die Bischöfe und insgesamt, kann man sagen, die Katholiken eine Stärkung der Ehelehre.“

Sehr deutlich werden in den USA auch andere Aussagen des Papstes wahrgenommen, berichtet Ortel, nämlich „dass er unverblümt über die Auswüchse des Turbokapitalismus mit den Folgen von Arbeitslosigkeit und Wegwerfkultur spricht, und dass er sich verstärkt für eine humane Einwanderungspolitik insbesondere für die elf Millionen ‚undocumented hispanics‘ einsetzt.“

Was die Kirche beizutragen hat

Nun ist man aber nicht nur in Abwehrhaltung, wenn der Papst kommt, und man fürchtet sich nicht nur vor dem, was der Papst zu sagen hat, auch wenn er für klare Sprache bekannt ist. Die US-Kirche ist durchaus selbstbewusst und hat etwas beizutragen für die Weltkirche, was aus der Geschichte und der Identität der Katholiken gewachsen ist, nämlich „dass dieser American Way der Kirche die Weltkirche beleben könnte, weil er ein Zeichen dafür ist, dass katholische Kirche auch in modernen und säkularen Staaten und Gesellschaften, in denen sie vom Staat getrennt ist, durchaus blühen können.“

Wenn der Papst also in den USA ankommt, im Kongress die Politiker, in einer Begegnung die Bischöfe und in Messen in Washington, New York und Philadelphia alle Gläubigen anspricht, begegnet ihm eine Kirche voller Stärken und Schwächen, vor allem mit einer starken Identität.

Auf dem Weg von Kuba in die USA Pater Bernd Hagenkord, Radio Vatikan

Das Buch von Ferdinand Oertel: Kennedys katholische Erben: Der American Way der Kirche in den USA vom Konzil bis zu Franziskus, Sonderweg oder Modell für die Weltkirche? Einhard Verlag 2014.

(rv 22.09.2015 ord)








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