2015-09-02 09:00:00

Ökumene und Reformationsjubiläum: „Wir brauchen einander“


Die evangelische Kirche braucht die katholische Kirche und Theologie, um sich selber ganz begreifen zu können. Diese These stellt Christoph Markschies auf. Er ist ein evangelischer Theologe und Kirchenhistoriker an der Humboldt-Universität in Berlin. Bei einer Diskussionsveranstaltung in der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl debattierte Markschies am Montagabend mit dem katholischen Theologen Hans-Joachim Sander über die ökumenischen Dimensionen des Reformationsjubiläums. Gerade die Dimension des „sola scriptura“, also des Vorrangprinzips der Schrift in Theologie und Frömmigkeit, brauche eine Art katholische Korrektur, damit wirklich die ganze Schrift und nicht nur einige Auszüge daraus Grundlage des theologischen Denkens würden, so der Theologe.

Das gleiche gelte aber auch als Gegenthese, fügte er an: Die Wiederentdeckung der Bibel für die katholische Kirche sei unter anderem der Reformation zu verdanken. Beide Kirchen seien aufeinander bezogen.

Radio Vatikan hat Markschies gefragt, was die Kirchen gemeinsam 2017 feiern können oder sollen.

„Wir feiern, dass im 16. Jahrhundert Menschen die Christenheit ganz radikal auf die Bibel und auf Jesus Christus verwiesen haben, der uns die Bibel nicht nur schenkt, sondern auch immer wieder neu zusagt, so dass sie uns im Herzen trifft.“

RV: In Ihrem Vortrag haben Sie gesagt, dass die einen nicht ohne die anderen das erkennen können, was den Kirchen eigen ist, die Katholiken nicht ohne die Lutheraner und umgekehrt.

„Wenn es die Katholiken im Leben der evangelischen Kirche nicht gäbe, dann wäre die evangelische Bibel auf Paulus und vielleicht noch ein wenig auf das Johannesevangelium konzentriert. Wir brauchen die katholische Kirche, um den Reichtum der ganzen Bibel in der evangelischen Kirche nicht zu vergessen. Und die katholische Kirche – das hat ihre Geschichte gezeigt – braucht die Evangelischen, die sie an die Bedeutung und den Reichtum der Bibel als Ganze erinnert. Wir brauchen einander notwendig.“

RV: Was die Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum angeht gehen wir auf die Zielgerade. Was wünschen Sie sich von der römisch-katholischen Kirche, sei es nun im deutschsprachigen Raum oder sei es weltkirchlich?

„Dass wir entdecken, dass es nicht um die Alternative Gedenken oder Feiern geht, weil bei jedem großen Ereignis in der Geschichte der Kirche an das wir uns erinnern, wir Dinge haben, derer wir nur mit Scham gedenken können, und Dinge haben, über die wir uns freuen können. Also wir sollten wahrnehmen, dass mit der Reformation des 16. Jahrhunderts es wie mit allen Ereignissen im Leben der Kirche ist: Das sind Dinge, die wir gemeinsam feiern können und für die wir dankbar sein können, und wir sollten uns immer wieder klarmachen, dass wir nicht eine Person – Martin Luther – feiern, oder mehrere Personen, sondern wir feiern, dass Jesus Christus uns auf die Bibel, auf sein Wort, auf sich selbst hin orientiert und wir von ihm Frieden und Heil bekommen können. 2017 feiern wir nicht nur Personen.“

RV: 2017 ist ja nicht nur ein Jahr, da geht eine ganze Dekade zu Ende, von der wir den größten Teil bereits hinter uns haben. Wenn Sie auf die bisherigen acht Jahre zurück blicken, wo steht jetzt ihre eigene Kirche in der Vorbereitung auf 2017?

„Erst einmal haben wir wahrgenommen, dass es nicht ein einzelner Martin Luther ist, sondern wir haben viel stärker wahrgenommen, dass es eine große Gruppe von Menschen ist, dass es nicht nur eine mitteldeutsche kleine Universitätsstadt – Wittenberg – ist, sondern dass es zum Beispiel auch Frankreich und der Pariser Humanismus ist, dass es Genf ist. Wir haben gemerkt, dass es nicht nur Worte sind, sondern auch Musik, wir haben die große Bedeutung der Kirchenmusik neu wahrgenommen. Das ist auch wieder etwas ökumenisch Verbindendes: Theologie gibt es immer nur mit Musik zusammen, ‚zwei Mal betet, wer singt‘.

Wir haben gelernt, den ganzen Reichtum der Reformation zu sehen, wir haben die Wirkung der Reformation in der Geschichte gesehen, die wie viele Wirkungen auch ihre Ambivalenzen haben. Und wir haben uns – und das ist für uns eines der erfreulichsten Dinge – gemeinsam nach anfänglichem Ruckeln und Zuckeln darauf verständigt, was wir im Jahr 2017 als katholische und evangelische Christen gemeinsam tun können.“

(rv 02.09.2015 ord)








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