2015-08-17 14:46:00

Laudato Si', Folge 9: Mensch, Wirtschaft und Güterabwägung


Stellen sie sich vor. Ihre Stadt oder ihr Dorf braucht eine Umgehungsstraße/ eine Umfahrungsstraße, um die Wirtschaftlichkeit und die Attraktivität ihres Dorfes zu steigern. Doch, wenn sie die Straße bauen, leidet eine Krötenart. Die Kröten müssen umgesiedelt werden oder siedeln selbst um. Ansonsten sterben sie in dieser Region aus. Solch eine Situation nennt man eine Dilemma-Situation.

Man steht vor der Situation, dass zwei oder mehrere sogenannte „Güter“, in unserem Fall die „Kröten gegen Fortschritt für ihre Stadt“, zueinander in Konkurrenz stehen. Es folgt eine Güterabwägung, was wiegt für den Nutzen des Menschen schwerer. In unserem Beispiel stellt sich nun die Frage: Kann man eine Krötenart für den Fortschritt opfern oder muss die Krötenart gerettet werden? Moraltheologe Peter Schallenberg hat eine Antwort: „Wenn das geht, ist das gut, aber wenn es nicht geht, geht die Entwicklung des Menschen und die Entwicklung der Wirtschaft vor. Die Kröte selber hat keinen Eigenwert. Es gibt nur ein Wesen auf der Welt, das eine unsterbliche Seele hat und in den Himmel kommen soll und das ist der Mensch. Alles muss danach ausgerichtet werden, das jeder einzelne Mensch sich entwickeln kann. Dafür ist die Natur wichtig, aber sie hat keinen Letztwert. Die Natur wird vergehen, der Mensch nicht. In der Ewigkeit wird es keine Natur mehr geben, keine Kröte, kein Baum, kein Schmetterling. Gott wird sein, alles in allem.“

Das Thema Güterabwägung ist auch für die Umwelt-Enzyklika Laudato Si´ von Papst Franziskus von Bedeutung. Hier steht die Wirtschaftlichkeit in Konkurrenz zur Umwelt, wie auch beim genannten Krötenbeispiel. Papst Franziskus schreibt in seiner Enzyklika, dass die Umweltkrise nicht alleine für sich steht, sondern vielmehr eine sozio-ökologische Krise, also eine Kombination aus Umwelt- und Gesellschaftskrise. Und genau für diese doppelte Krise muss es eine ganzheitliche Lösung geben. Papst Franziskus schreibt deswegen, dass man eine Wirtschaftsökologie braucht. Wie das funktionieren kann, erklärt Schallenberg so: „Indem man fragt, was von der Natur dient dem Menschen, seiner Personenwürde und was nicht. Die Kröten dienen ihr nicht und sind höchstens zu erhalten, um den biologischen Kreislauf aufrecht zu erhalten. Wir versuchen die Mücke zu vernichten, die Malaria überträgt, was sehr vernünftig ist. Da gilt es immer die Güterabwägung zu halten, was ist für den Kreislauf der Natur notwendig und der, als funktionierendes Natursystem, ist wichtig, damit Menschen leben können. Das ist der letzte Wert, das Menschen als Personen leben können.“

Der Mensch ist immer das Wichtigste, auf den alles hin geordnet ist. Es geht darum, dass der Mensch sich im diesseitigen Leben voll entfalten kann. Deswegen steht alles wie Technik, Medizin, Wirtschaft aber eben auch die Politik im Dienste des Menschen. Hilfreiche Güterabwägungen für die Politik sieht Schallenberg vor allem vor Ort selber. Gerade der föderale Aufbau der Schweiz, sei da ein gutes Beispiel. Diesbezüglich schreibt Franziskus in seiner Enzyklika viel gutes, so Schallenberg, aber „mir scheint, dass die Enzyklika richtige und gute Dinge anspricht, aber sehr stark aus der Perspektive eines relativ anarchischen und zum Teil zerrütteten Staatssystem wie in Lateinamerika und das das, was die Enzyklika anprangert, in dem entwickelten West- und Nordeuropa nicht vorkommt.“

Papst Franziskus kritisiert hier die Profitgier von Regierungen und Institutionen auf Kosten der Armen. Dem gegenüber steht für Schallenberg eine soziale Marktwirtschaft, die in Europa herrscht und deren Volkswirtschaften zu den ertragreichsten zählen. „Man kann natürlich auch umgekehrt betrachten, wie viele Volkswirtschaften vollkommen zerrüttet sind. Das ist klar, das in einem Land wie Argentinien, Brasilien oder Peru oder Bolivien entsetzliche soziale Ungleichheiten sind und das man da wirklich sagen kann, da gibt es kein Konzept der sozialen Marktwirtschaft, sondern vielfach ein zügelloser Kapitalismus, der wenige reich macht und viele arm.“ Dazu gehören auch Aspekte, die die Umwelt betreffen. Zum Beispiel die Abholzung im Amazonas oder die Silbergruben in Bolivien. So wendet auch die Enzyklika ihren Blick darauf, dass in vielen Ländern der Welt menschenunwürdige Umwelt- und Wirtschaftsbedingungen sind. Schallenberg kritisiert hier die Enzyklika, dass zwar ihre Analyse stichhaltig ist, aber für die Praxis keinen Anstoß gibt. Er hingegen geht einen Schritt weiter: „Für die Therapie würde ich vorschlagen, sich radikal dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft zu eigen zu machen.“

(rv 17.08.2015 pdy)








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