2015-08-09 10:00:00

D: Was Umweltschutz mit Kultur zu tun hat


Der emeritierte Professor für Ökonomie an der Technischen Universität Berlin, Jahrgang 1937 war von 1967 bis 1969 in der sambischen Hauptstadt Lusaka persönlicher Berater des Präsidenten Kenneth Kaunda und erarbeitete dort moderne Projekte zur afrikanischen Landesentwicklung. 1970 erhielt er als einer von zwölf Wissenschaftlern weltweit ein Stipendium der Japanischen Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaften., was ihm eine wissenschaftliche Entwicklungsländerforschung in Tokio ermöglichte. 1988  wurde er zum Forschungsprofessor für Umweltpolitik ernannt. Vier Jahre lang war er Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung. Er ist Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Umweltstiftung. Professor Dr.Udo Ernst Simonis ist Umweltforscher, UN-Berater und Mitherausgeber des renommierten „Jahrbuches Ökologie“. Und er ist, das darf ja auch gesagt werden, Ehemann der langjährigen und erfolgreichen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis. 


RV: Was hat Umweltschutz mit Kultur zu tun? Diese Frage steht am Anfang unseres Gesprächs, für das wir Ihnen sehr herzlich danken, Herr Professor Simonis.

„Ja, ich würde sagen, wenn wir die Umwelt als natur belassen ansehen würden und den Menschen wegdenken würden von dieser Erde, dann wäre die Frage ganz einfach, dann könnte man sagen: da gab es ja auch noch nicht Kultur Aber Kultur ist ein Menschen gemachter Begriff, ein Konzept einer Idee, die die Natur in vielfältiger Weise beeinflusst. Es kann günstige Effekte haben, aber leider auch sehr zerstörerische Effekte.”

RV: Als hätten wir es gewusst, haben wir Sie – noch im Vorfeld der weltweit mit Spannung erwarteten Enzyklika „Laudato Si” von Papst Franziskus auf unsere Liste „Menschen in der Zeit” aufnehmen können. Ihre erste Bilanz dazu?

„Es ist eine ganz hervorragende Idee entstanden, wofür ich der katholischen Kirche und dem Papst auch persönlich in ganz großer Weise verbunden bin. Als Wissenschaftler hat man über viele, viele Jahre zentrale Probleme der Umwelt und der Umweltzerstörung bearbeitet. Man weiß aber auch, seit vielen Jahren, wie ohnmächtig man gelegentlich  ist, mit dem was Wissenschaft an Erkenntnissen gefördert hat. Und so bin ich außerordentlich dankbar, dass der Vatikan und der Papst in hervorragender Weise die Komplexität dieses Themas aufgegriffen hat und uns allen bewusst gemacht hat, dass es großer Initiativen bedarf, damit wissenschaftliche Erkenntnis auch in der Praxis ihre Anwendung finden. Und da ist – glaube ich – die ganz zentrale Funktion der Enzyklika zu sehen.”

RV: Alle Päpste der Neuzeit haben sich mehr oder weniger zum Klimaschutz geäußert. Von Paul VI. über Johannes Paul II. und Papst Benedikt emeritus bis jetzt eben Papst Franziskus, der diesem Thema – erstmals in der Kirchengeschichte – sogar eine Lehrschreiben gewidmet hat. Enzykliken gehören zu den „highlights” eines jeden Pontifikats. Man sagt, Franziskus hätte diese Botschaft wohl mit Absicht in die Diskussion vor der Weltklimakonferenz  im kommenden Dezember in Paris eingebracht.

RV: Stichwort Klimagipfel im Dezember in Paris: Was wird es dort Neues geben? Wird China positive Zeichen setzen? China ist mit den USA der größte Umweltsünder im Blick auf die Welterwärmung. Was erwarten Sie sich von Paris? Wird es einen Neuanfang geben?

„Zunächst würde ich sagen in der Wissenschaftlersprache: da ist der Begriff des „timing”, ob etwas gut „getimt” ist, von zentraler Bedeutung geworden. Aber: die Enzyklika ist zugleich mehr, sie ist ja auch ein Rückblick auf all das, was es gegeben hat an Initiativen. Also ist es auch eine sehr gut  gewählte zeitliche Positionierung in Bezug auf das, was seit der großen Umweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro diskutiert worden ist auf dieser Welt. Und insofern ist Doppelgesichtigkeit sowohl historischer Rückblick als auch Vorausschau sehr gut gelungen.. Nun meine Hoffnung auf Paris ist – wie Sie sich vorstellen können – begrenzt. Man hat zu viel Desaster erlebt in den letzten 10 – 20 Jahren. Aber die Hoffnung stirbt ja nie, wie wir alle wissen, sie darf auch nicht sterben und die Vorausbedingungen sind eigentlich ganz günstig: die Wissenschaft hat geliefert, was von ihr erwartet wurde. Es sind viele, viele Ideen entstanden,  wir hätten jetzt Lösungen anzubieten, die aber von der Politik aufgegriffen werden müssen. Das ist der entscheidende Effekt, der jetzt eintreten muss, wofür die  Enzyklika sehr, sehr wichtig werden könnte.“

RV: Erderwärmung: ein bedrohendes Wort. Es geht, sagt man. um die Zukunft des Planeten Erde. Es geht um das Schicksal der Menschheit. Bisher sind – meines Wissens – alle Klimagipfel ohne Protokolle zu Ende gegangen. Herr Professor Simonis: Wie weit sind wir von einer globalen Vision und deren Verwirklichung entfernt? Oder ist es schon zu spät?

„Seit es die permanenten und verlässlichen Messungen über die Temperatur auf der Erde gibt, seit etwa 1880,  ist die Erdtemperatur etwa um o.8 Grad Celsius gestiegen. Die Erwartungen, die die Wissenschaftler haben, ist, dass es mindestens 2 Grad Celsius mehr in diesem Jahrhundert werden auf Grund dessen, was sozusagen vom Menschen aktiviert wird. Jeden Tag. Es könnten aber auch mehr als zwei Grad Celsius sein und das ist schon die historisch maximale Temperatur. Das wären also gefährliche Dimensionen, in die wir da hineingeraten würden. Deshalb muss in Paris etwas geschehen, alle wissen das, aber man hat eigentlich schon den Kompromiss vorweg gemacht, man hat sich auf diese plus 2 Grad  Celsius-Welt schon eingestellt. Wenn das erreicht werden soll, dann muss über dieses Ziel Übereinstimmung erzielt werden, und es müssen die Maßnahmen ergriffen werden, die man dazu braucht. Das ist eine vielfältige Aufgabe, zu der gibt es aber sehr, sehr gute Vorschläge und gute Ideen. Man muss sie allerdings in die Praxis umsetzen.”

RV: In letzter Zeit ist viel von der „Energiewende” die Rede. Studien haben gezeigt, dass in Europa eine radikale Energiewende in relativ kurzer Zeit technisch möglich wäre. Sie haben allerdings auch gezeigt, dass dazu nicht nur erhebliche, finanzielle Investitionen, sondern ebenso ein radikaler Bewusstseinswechsel und Politikwechsel die Voraussetzungen wären. Wie weit sind wir von diesem Wandel – vom Ausstieg des Atomzeitalters bzw. dem Einstieg in das Solarzeitalter heute entfernt?

„Ich denke, wir sind ziemlich weit gekommen, in dem Bewusstsein, dass etwas geschehen muss. Aber die Interessen, die dem entgegen stehen, sind ebenfalls gewaltig. Nicht alle sind der Meinung, dass das notwendig ist. Das ist eine Bewusstseinsfrage. Nicht alle sind der Meinung, dass es sein sollte, dass ist eine Interessenfrage. Und an diesen Interessen, den wirtschaftlichen Interessen, könnte die Idee der Energiewende auch noch scheitern. Selbst in Deutschland, das glaubt Vorreiter zu sein, ist die Diskussion heftig im Gange, aber es gibt viele sehr positive Zeichen, insbesondere bei der lokalen Bevölkerung. Gelegentlich ist die Bevölkerung fortgeschrittener als die Regierung. Und das kann eine positive Wendung für die Idee der Energiewende auf der Erde insgesamt werden. Wenn also Europa nicht allzu sehr versagt, um es mal negativ anzupacken, wenn wir nicht allzu schlecht sind in Europa, dann kann das ein wichtiges Vorbild für Welt als Ganzes werden. Es ist technisch möglich, es bedarf aber dazu vieler bewusstseinsverändernder Ideen, die für die Welt als Ganzes konzipiert sein müssen und das ist auch etwas, um das es auf dieser Konferenz in Paris gehen muss.”

RV: Man kann ein Gespräch mit Professor Simonis nicht abschließen, ohne auch das Problem der stark steigenden Bevölkerungszahl auf Erden anzusprechen. Herr Simonis, wir sind zur Zeit sieben Milliarden Menschen auf  der Welt. Nach dem Gesetz der Multiplikation werden es bald doppelt so viel sein. Homo sapiens – quo vadis?

„Ich bin kein Bevölkerungswissenschaftler, ich bin ein Wissenschaftler, der sich für Ökologie als funktionierendes natürliches System  befasst. Ich würde sagen, die Bevölkerung als solche, die Bevölkerungszahl ist – so denke ich – nicht das zentrale Problem. Die Armen auf dieser Welt sind nicht die ökologische Katastrophe, sondern von den vielen, vielen Reichen, die ihren Reichtum nicht sinnvoll verwenden, geht die große Gefahr aus. Andererseits kann man natürlich auch daran denken, ob diese Prognosen sich nicht doch auch über längere Zeit gedacht, auch widersprechen werden. Also, wir haben von den Vereinten Nationen immer eine Bandbreite an Möglichkeiten, die im Bezug die Gesamtzahl der Erdbevölkerung ausgehen. Und es kann sein, dass dieses generative Verhalten sich so verändert, dass man nicht in diese dramatische Kategorie hineinkommt, die Sie eben erwähnt haben.”

RV: Gott hat uns den Auftrag zur Pflege seiner Schöpfung übertragen. Werden wir imstande sein, dieses schöne, wenn auch schwere Pflichterbe unseren kommenden Generationen weiter zu geben?

„Das ist die große Frage, auf die ich letztlich auch keine Antwort weiß. Was ich aber weiß, ist, dass sehr, sehr viele Leute in dieser Richtung zu denken begonnen haben. Die Umweltbewegung ist nicht mehr auf eine Minderheit in der Bevölkerung reduziert, sondern sie ist weltweit vorangekommen und in Fortschritt begriffen. Diese Einsicht, dass in diesem Sinne über die Zukunft sorgfältig nachgedacht werden muss, dass wir eine Verpflichtung nicht nur gegenüber den jetzt existierenden Menschen haben, sondern auch über die, die nach uns kommen, dieses Bewusstsein ist vorhanden, es muss aber weiter und immer wieder und jeden Tag neu bestätigt und bestärkt werden.”
 

(rv 09.08.2015 ap)








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