2015-08-09 10:54:00

Bevor der IS kam: Erinnerungen an Karyatain


Hunderte von Familien sind aus der mehrheitlich christlichen Stadt Sadad geflohen. Das sagt das „Christlich-Assyrische Netzwerk für Menschenrechte in Syrien“. Die Flüchtlinge fürchteten einen weiteren Vormarsch der Terrorgruppe ‚Islamischer Staat’; sie seien in Richtung Homs oder Damaskus aufgebrochen. Der ‚Islamische Staat’ hatte am Donnerstag die Stadt Karyatain in Zentralsyrien eingenommen; sie liegt etwa 25 km südöstlich von Sadad. Dabei hatte die Terrorgruppe auch über 200 Zivilisten, darunter mehrere Dutzend Christen festgenommen. Einige von ihnen wurden nach Angaben von Menschenrechtlern inzwischen freigelassen; das Schicksal der übrigen Entführten ist unklar.

„Ich habe so eine schöne Erinnerung an diese kleine Stadt Karyatain“, sagt uns der Päpstliche Nuntius in Damaskus, Erzbischof Mario Zenari, in einem Telefoninterview von diesem Wochenende. „Im September 2010 war ich dort, um eine alte Kirche aus dem sechsten Jahrhundert, die restauriert worden war, einzuweihen, und zwar das Kloster St. Elias. Es war ein schönes Fest, alle feierten mit – in dieser Region gab es immer ein schönes Zusammenleben der christlichen und der muslimischen Bewohner. Ich erinnere mich an den Pfarrer, Pater Jacques Mourad, und an (Jesuiten-) Pater Paolo Dall’Oglio, der sich anbot, meine Predigt ins Arabische zu übersetzen. Also, ich war in Begleitung dieser beiden Patres, auf deren baldige Freilassung wir hoffen...“ Beide Geistliche nämlich sind entführt worden: Mourad erst vor kurzem, mutmaßlich vom ‚Islamischen Staat’, und der Italiener Dall’Oglio schon seit 2013, in seinem Fall ist es ungewiß, ob er überhaupt noch lebt.

„Diese Stadt war immer auch so etwas wie ein Symbol des guten Zusammenlebens von Christen und Muslimen“, fährt der Nuntius fort. „Wenn ich an dieses Fest von vor ein paar Jahren denke, dann hoffe ich wirklich, eines Tages die Möglichkeit zu haben, die Restaurierung all der Kirchen zu erleben und zu feiern, die in diesen Jahren durch den Krieg überall in Syrien beschädigt worden sind. Möge der Tag kommen, an dem auch dieses lebendige Mosaik aus verschiedenen religiösen Gruppen wieder restauriert wird, das Syrien einmal ausgemacht hat!“

Vor dem Krieg stellten die Christen ungefähr zehn Prozent der syrischen Bevölkerung, die bei 23 Millionen Menschen lag. Heute fliegen, wenn man die von Erzbischof Zenari gebrauchte Metapher aufgreift, die syrischen Mosaiksteine überall herum, ein Bild ergeben sie nicht mehr. Seit März 2011 hat der syrische Bürgerkrieg mehr als 250.000 Menschen das Leben gekostet; über eine Million Menschen wurden verletzt. Im Februar haben Kämpfer des ‚Islamischen Staats’ in der nordöstlichen Provinz Hassaké über 220 assyrische Christen gekidnappt; nur einige davon wurden zwischenzeitlich wieder auf freien Fuß gesetzt, das Schicksal der übrigen ist ungewiß.

„Nach meinem Wissen und meiner Erfahrung verfolgt der Heilige Vater ständig die Lage, informiert sich, bringt sich immer auf den neuesten Stand. In der letzten Audienz, die ich bei ihm hatte, konnte ich feststellen, wie präsent ihm dieses Leiden in Syrien ist. Der Papst trägt dieses Leiden aller Syrer und so vieler Menschen im Nahen Osten in seinem Herzen, vor allem natürlich, in Tagen wie diesen, das Leiden der Christen. Er betet nicht nur, sondern er ruft auch die internationale Gemeinschaft klar zum Einschreiten auf, und wo er kann, hilft er diesen armen Menschen auch konkret.“

(rv 09.08.2015 sk)








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