2015-08-01 10:47:00

Flüchtlinge: Und was ist mit Schulbildung?


Die Unterbringung der vielen Flüchtlinge in Europa ist nach wie vor das zentrale Thema, das Politik, Medien, Gesellschaft, auch Kirchen derzeit beschäftigt. Andere Aspekte der Hilfe für Flüchtlinge rücken etwas  in den Hintergrund. So etwa die Frage der Bildungsangebote. Schulen richten immer mehr Klassen und Kurse für Flüchtlingskinder ein. Aber konzeptionell, so sagt Klaus Barwig von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart gegenüber Radio Vatikan, liege manches im Argen. „Wir haben versäumt, genau hinzuschauen: Was bringen eigentlich die Flüchtlinge schon mit, also nicht nur an Bedürfnissen, sondern auch an Fähigkeiten. Und wenn wir da speziell auf Kinder und Jugendliche schauen, dann müssen wir schon sagen: Es ist versäumt worden, dass unsere Bildungssysteme auf Anschlussfähigkeit geachtet haben. Dass man schon frühzeitig, von mir aus schon in der Erstaufnahmeeinrichtung geschaut hat: Was bringen die Kinder eigentlich mit, sowohl an Schullaufbahnen, die abgebrochen wurden, wie auch an Beeinträchtigungen, bedingt durch die Flucht und durch Unterbrechungen.“

Die Startvoraussetzungen der jungen Flüchtlinge in Europa seien sehr unterschiedlich, so der Migrationsexperte Barwig. Es gibt Jugendliche, die keinen Tag die Schule besucht haben und deshalb Analphabeten sind, und es gibt solche, die in ihren Herkunftsländern auf Gymnasien waren. „Das Bildungsniveau ist in der Regel bei Christen relativ hoch und westlich orientiert. Das kann man bei Menschen aus dem irakischen oder syrischen Kontext schon sagen, zumal sie ja auch öfter in höheren sozialen Schichten unterwegs sind, als Geschäftsleute oder auch im Beamtenapparat.“ Gerade die Kinder und Jugendlichen mit hoher formaler Bildung hätten große Schwierigkeiten, an ihrer Bildungsbiografie anknüpfen zu können, sagt Klaus Barwig.

„Wenn sie alleine daran denken: Zwei Sprachen als wesentliches Merkmal im Gymnasium. So lange da Arabisch nicht als zweite Sprache berücksichtigungsfähig ist, haben die jungen Leute eine erhebliches Problem, hier noch in der Sekundarstufe Zwei irgendwie unterzukommen. Da sind unsere Systeme einfach zu sehr national, nicht einmal europäisch, ausgerichtet. Wir müssen da viel flexibler werden.“

Die Bildung der jungen Flüchtlinge müsse in der Mitte der Gesellschaft stattfinden, so der Theologe und Migrationsexperte weiter. „Nur im Miteinander kann es gehen, aber nicht in der Ghettoisierung. Ghettoisierung hat immer die Gefahr der Abspaltung und dann auch des Gefühls der Minderwertigkeit und des Doch-nicht-Dazugehörens. Im Übrigen lernt Sprache sich dort am Schnellsten, wo sie gesprochen wird.“ Barwig sieht eine große Verantwortung der Kirchen bei der Bildung für junge Flüchtlinge, „weil traditionell ja Arbeit der Kirchen, vor allem aber auch von Caritas, immer Benachteiligungen lindern oder aufheben soll, im Sinne von Chancengerechtigkeit.“
In diesem Zusammenhang erinnert Barwig an die Integrationsleistungen, die von den Kirchen im 20. Jahrhundert ausgingen: „Und wenn wir jetzt in unserem Bundesland die Nachkriegssituation anschauen, waren kirchliche Bildungsbemühungen stark darauf ausgerichtet, die Anfangsnachteile der nach dem Krieg zugewanderten Flüchtlinge und Heimatvertriebenen auszugleichen, auszubügeln und Chancengerechtigkeit herzustellen. Manche sagen mittlerweile, das kann man als Elitebildung betrachten. Aber das war ein Aufholen von beeinträchtigten Bildungschancen. Wenn man es jetzt auf die Flüchtlinge in heutiger Zeit hin bezieht, dann wäre das genau die Aufgabe, das fortzusetzen, was man sehr erfolgreich in den 50er, 60er und 70er Jahren begonnen und bis heute durchgeführt hat.“

 

(rv 1.8.2015 mch)








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