2015-07-26 07:19:00

Syrien-Flüchtlinge im Libanon: „Das sind lebende Märtyrer“


Mehr als 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge leben im Libanon. Die schiere Masse der Schutzsuchenden ist eine enorme Kraftprobe für den kleinen Libanon, der selbst nur sechs Millionen Einwohner zählt. Es ist, als wären in Deutschland 14 Millionen Flüchtlinge untergekommen, die nun irgendwie versorgt werden müssten. Die libanesische katholische Ordensfrau Hanan Youssef von der Gemeinschaft der Schwestern vom Guten Hirten hat ihr Leben in den Dienst der syrischen Flüchtlinge gestellt. „Das sind lebende Märtyrer“, sagt sie im Lauf des Interviews, das sie der Hilfsorganisation „Kirche in Not“ gab. Schwester Youssef leitet in einem armen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut die Krankenstation Saint Anthony. 

„Viele Flüchtlinge kommen zu unserer Krankenstation. Denn in Libanon ist Gesundheitsvorsorge privat organisiert, das können sich die Armen nicht leisten – weder die im Libanon noch erst recht die Flüchtlinge. Krankenhäuser sind privat, Ärzte werden privat bezahlt, Impfungen ebenso – das ist außer Reichweite für Arme. Und sehr viele kommen zu uns. Wir sind hier, um ihnen diesen Dienst zu geben, ärztliche Untersuchungen, Impfungen, Medikamente, undsoweiter. Aber wir versuchen auch, ihnen viel Liebe zu geben, viel Mitleid, viel Zuhören.“

Die Regierung in Beirut verhindert die Errichtung großer Flüchtlingslager für die syrischen Flüchtlinge, aus Sorge, dass sich daraus dauerhafte Siedlungen entwickeln könnten. Denn schon seit Jahrzehnten leben im Libanon Palästinenser in einst provisorischen Lagern. Die Menschen aus Syrien, die vor den Terroristen des sogenannten „Islamischen Staates“ einerseits und den Bomben Assads andererseits flüchten, kommen oft am Ende ihrer körperlichen, seelischen und auch finanziellen Kräfte im Libanon an.

„Vor ein paar Tagen bin ich einem assyrischen Christen aus Syrien begegnet, aus Hama; er ist mit seiner Familie frisch angekommen. Aber vorher war er gezwungen, alles zu verkaufen, was er hatte: Schmuck, einfach alles. Denn sie mussten viele Taxis bezahlen, die sie in den Libanon brachten. Sie kamen ohne alles an und fanden, die ganze Familie, ein kleines Zimmer zur Miete. Der Mann kam komplett depressiv und mutlos zu uns. Ich fragte ihn: Wie geht es Ihnen? Und er brach in Tränen aus. Wissen Sie, bei uns im Orient darf ein Mann nicht weinen. Das wird als Schande betrachtet, das kann man nicht tun. Er sagte mir: Schwester, ich esse fast nichts, weil ich Geld spare. Ich sage meiner Familie, morgen wird alles besser, aber ich sehe, dass es immer schlechter, immer schlechter wird. Ich weiß nicht, ob wir am Ende des Monats die Miete zahlen können. Vielleicht müssen wir wieder auf die Straße. Denn im Libanon gibt es keine Flüchtlingslager, man ist direkt auf der Straße, wenn man sich keine Miete leisten kann. Er war ohne irgendeine Hoffnung, einen Job zu finden und ohne zu wissen, ob morgen Essen da ist, auch nur für die kleinen Kinder. Er sagte zu mir: Schwester, wir hatten in Syrien alles. Wir hatten ein Haus, die Kinder gingen zur Schule und hatten Freunde. Und jetzt haben wir nichts mehr, überhaupt nichts mehr.“

 

Märtyrer des Lebens

„Sie sind Märtyrer-Zeugen, Märtyrer des Lebens. Wir müssen viel für sie beten. Nicht nur jene Märtyrer ehren, die ihr Leben für Christus hingaben und auf diese Weise für die ganze Kirche Zeugnis ablegten. Sondern wir müssen auch an all diese Flüchtlinge denken, die jeden Tag mit ihrem bloßen Leben eine Form von Martyrium erleiden.“

Noch schlimmer ist die Lage für die Frauen, referiert Schwester Youssef.

„Ich traf eine junge syrische Witwe, die gezwungen ist, sich zu prostituieren, damit sie ihre Kinder durchbringen kann. Ohne irgendeine Möglichkeit, in einem Land wie Libanon zu überleben. Können Sie sich das vorstellen? Im 21. Jahrhundert müssen Menschen so leben – wegen der Barbarei und der Gewalt im Nahen Osten. So viele Leben sind zerstört, für immer – körperlich und auch psychisch. Viele Kinder haben ihr Leben verloren. Viele Kinder sind ohne Schule seit vier Jahren. Der Krieg in Syrien begann am 14. März 2011. Das sind vier Jahre. So lang dauerte der Erste Weltkrieg. Ein so kleines Land wie Syrien – da ist in vier Jahren in diesem riesigen Krieg alles zerstört. Hunderttausende Häuser, Schulen, Krankenhäuser, es ist Zeit aufzuhören. Wir müssen das stoppen. Es ist genug. Es ist wirklich genug.“

(Kirche in Not 26.07.2015 gs)

 








All the contents on this site are copyrighted ©.