2015-07-25 11:17:00

Jesuit in Aleppo: „Wir sind in der Hand Gottes“


Seit zwei Tagen führt die Türkei erstmals eine Militäroffensive gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien. Offiziell hatte sich die Regierung in Ankara bisher aus dem Krieg in Syrien zurückgehalten. Der Kurswechsel kommt spät. Im nordsyrischen Aleppo - etwa 50 Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt - kämpfen Rebellen gegen Regierungstruppen: Während ein Bündnis aus islamistischen Gruppierungen den Osten der Stadt besetzt hält, kontrollieren Regimetruppen den Westen Aleppos. Mittendrin: Eine Hand voll Jesuiten. Sie gehören zum „Jesuit Refugee Service“ (JRS), dem Hilfsdienst der Jesuiten, der in Aleppo geblieben ist und hilft, wo er kann.

Eine Flüchtlingsorganisation in einer zerbombten Stadt. Wer sich Bilder aus Aleppo ansieht, mag nicht glauben, dass es noch Menschen gibt, die hier leben können. Bereits vor dem Krieg kümmerte sich der „Jesuit Refugee Service“ um Flüchtlinge aus dem Irak. Jetzt sind es Leute aus der eigenen Stadt, die Hilfe brauchen. Jesuitenpater Ghassani Sahoui, Leiter des JRS in Aleppo, berichtet:

„Die Familien in Aleppo müssen für den Strom selbst zahlen, manchmal, zum Glück, gibt es eine Stunde Stromversorgung vom Staat. Die meiste Zeit müssen die Menschen ohne Elektrizität auskommen – sie funktioniert oft einfach nicht. Das gleiche gilt für das Wasser. Die Leute müssen auf den Straßen, in Kirchen oder Moscheen in langen Schlangen anstehen, um an Wasser zu kommen.“

Der „Jesuit Refugee Service“ unterstützt die Bevölkerung von Aleppo mit seinen freiwilligen Helfern wo er kann: er bietet Familien Unterschlupf in Schulen, macht Bildungsarbeit und bietet medizinische Versorgung. Das alles unter dem Einsatz des eigenen Lebens – denn die Kämpfe zwischen der Regierung und den Rebellen in der Stadt halten an.

„In Aleppo haben wir gelernt, jeden Tag so zu nehmen, wie er ist. Wir sagen hier immer: ,Wir sind in der Hand Gottes´, weil wir jeden Moment das Risiko haben, zu sterben. Leider müssen wir jeden Moment mit dem Einschlag einer Bombe oder einer Rakete rechnen. In unserem Stadtteil fallen nur wenige Bomben. Aber es gibt natürlich immer Opfer, das ist das Katastrophale an diesem Krieg: Menschen vorzufinden, die keine Hände oder Füße mehr haben. Die einen Angehörigen oder ihr Haus verloren haben. Es ist ein Drama.“

Das Besondere an der Arbeit des JRS: Hier helfen Christen und Muslime gemeinsam. Der Krieg hat die religiösen und ethnischen Grenzen gesprengt. Man ist aufeinander angewiesen:

„Diese Krise hat uns Christen und Muslime zusammengeschweißt. Wir haben täglich miteinander zu tun. Auch die Muslime nennen mich Pater“.

Zehntausende Christen lebten vor dem Krieg in Aleppo, mittlerweile habe etwa die Hälfte aller Christen die Stadt verlassen, so der Pater. Oft sind sich die Familien nicht einig: Gehen oder bleiben?

„Das ist nicht einfach: Die christlichen Familien versuchen manchmal, aus der Stadt zu kommen, haben aber oft große Probleme. Manchmal will die Ehefrau dableiben, der Mann hingegen will raus. Wir bieten den Familien spirituelle Entscheidungshilfen an. Manchmal wollen auch die Kinder und Jugendlichen gehen, weil es in der Stadt keine Zukunft für sie gibt. Es ist schwer, den Ort zu verlassen, an dem man gelebt und gearbeitet hat. Die Familien erleben manchmal Krisen. Wir müssen diesen Christen bei ihren Fragen zur Seite stehen.“

Die Arbeit der kirchlichen Hilfsorganisation könnte gefährlicher nicht sein. Immer wieder werden Kirchenleute entführt und getötet. Vom italienischen Jesuiten Paolo Dall'Oglio fehlt seit zwei Jahren jede Spur. Er setzte sich für den Dialog zwischen Christen und Muslimen ein. Im syrischen Raqqa wurde er vermutlich von IS-Mitgliedern entführt. Pater Ghassani Sahoui kannte ihn.

„Er ist ein großer Mann, unser Freund und Begleiter. Ich glaube, er wollte sein ganzes Leben der Sache des syrischen Volkes widmen. Er hat sich auf Grundlage seiner eigenen Werte entschieden. Ich habe seinen Mut immer gelobt. Leider fehlt seit zwei Jahren von ihm jede Spur, wir wissen nichts von seinem Schicksal. Es gibt Stimmen, die behaupten, er sei ermordet worden. In dieser Krise hier zu leben, ist schwer, wir sind alle dem Risiko ausgesetzt, entführt und ermordet zu werden. Aber ich kann keinen Sinn in meinem Leben finden ohne meine Leute hier.“

(rv 25.07.2015 cz)








All the contents on this site are copyrighted ©.