2015-07-21 08:00:00

Caritas-München: „Wir stehen nicht für Abschreckpolitik“


Die katholische Kirche muss dazu beitragen, dass in Deutschland eine „Willkommenskultur“ für Flüchtlinge entsteht. Das sagt der Caritasdirektor der Erzdiözese München und Freising Hans Lindenberger. Hilfesuchende Migranten seien in Deutschland und eben auch in Bayern das Sozialthema der Stunde, so der Priester bei der Vorstellung der Caritas-Jahresbilanz an diesem Dienstag in München. Wir haben vorab mit Hans Lindenberger gesprochen.

„Der wichtigste und erste Punkt ist die gesellschaftliche Herausforderung durch die Flüchtlinge, durch Asylsuchende. Da werden wir gerade im Großraum München regelrecht überschwemmt. Und es verlangt große Anstrengungen, gerade auch von uns als Caritas-Verband der Kirche, dass wir zu einer Willkommenskultur für Flüchtlinge beitragen.“

Da die Zahl der Neuankömmlinge immer weiter steigt, hat die Caritas von München-Freising neue Flüchtlingsberater eingestellt, elf in Vollzeit, 30 in Teilzeit. Derzeit seien es weit über 100 Menschen, die im Auftrag der Caritas für die Asylsuchberatung arbeiten, erklärt der Prälat. Nicht gezählt die Ehrenamtlichen: 600 von ihnen engagieren sich in der Flüchtlingshilfe, darunter 70 „Kulturdolmetscher“, die sprachlich mithelfen. Die Caritas kann sich dabei finanziell auf die Erzdiözese verlassen, hebt Lindenberger hervor.

„Erzbischof Kardinal Marx steht ganz klar: Er sieht darin eine gesellschaftliche Herausforderung, gerade für uns Christen, für die Kirche und da dürfen wir nicht beiseite stehen.“

Die Aufgaben der Caritas sind weit gestreut – hauptsächlich geht es um die „menschliche“ Betreuung, Beratung und Integration: „Die Flüchtlinge kommen nach einer Erstaufnahme in Deutschland in Gemeinschaftsunterkünfte, in größere oder auch in kleinere Unterkünfte. Und zur Begleitung und zur Betreuung dieser Asylbewerber in Unterkünften engagieren wir uns im Rahmen einer Betreuung. Wir suchen geeignete Mitarbeiter, die diese Betreuung übernehmen, und solche, die hochengagierten Ehrenamtliche mitbegleiten. Wir haben eine ganz erfreuliche Bewegung bei uns, aus den Pfarrgemeinden kommend, dass sich Männer und Frauen engagieren, die bei ihnen vor Ort eine Unterkunft bekommen, diese Gemeinschaftsunterkünfte. Aber die Ehrenamtlichen, die sich hier engagieren, die brauchen auch eine Unterstützung und Begleitung, eine Führung, damit es sinnvoll und gut abläuft. Auch dafür engagieren wir uns.“

In Bayern selbst wird derzeit von einer Flüchtlingspolitik gesprochen, die Flüchtlinge „abschrecken“ soll. Der Freistaat solle nur noch „Mindeststandards“ erfüllen, erklärte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Bayern soll erklärtermaßen „unattraktiv“ für Flüchtlinge werden. Die Caritas erhebt Einspruch.

„Wir stehen nicht für Abschreckpolitik. Wir engagieren uns für die Menschen, die bei uns in der Tat ankommen. Es gibt Abschreckaktionen, gerade auch in Deutschland, wo Flüchtlingsunterkünfte angegriffen oder zerstört werden. Das erschüttert uns, aber wir als Caritasverband wollen zu sozialen Frieden beitragen. Wir befürworten sehr, dass Flüchtlinge gerecht europaweit und auch in den Bundesländern gerecht verteilt werden.“

Wenn es zu Attacken aus Fremdenhass kommt, erklärt Prälat Lindenberger, versuchen die ehrenamtlichen Gruppen auch sofort einzulenken. „Und da arbeiten dann wir mit den Ehrenamtlichen, um die Motivation zu stärken, gegen Irritationen vorzugehen und den Leute beizustehen. Wir können jetzt als Caritas-Verband nicht gesellschaftspolitisch agieren. Das ist die Sache von Politikern, denen wir aber zur Seite stehen, durch die konkrete Arbeit vor Ort.“

Dennoch merken auch die Caritas-Leute, dass sie an ihre Grenzen kommen: der Andrang der Flüchtlinge ist sehr, sehr stark. So stark, „dass er fast nicht mehr zu handeln ist“, räumt der Prälat ein. „Es ist eine ganz konkrete und bittere Erfahrung für die Caritas und die Ehrenamtlichen Mitarbeiter, dass sie an die Grenzen ihrer Kraft kommen. Wenn wir uns einsetzen für eine ganz gute, humane Aufnahme von Flüchtlingen. Wenn wir nicht Zeltstädte bauen wollen, darin liegt unser erstes Engagement. Wir setzen uns ein für Flüchtlinge auch durch politische Meinungsäußerungen, indem wir jedem Rechtsradikalismus eine Absage erteilen. “

Das Thema Flüchtlinge ist freilich nicht das einzige, das die Caritas in dem großen deutschen Bistum beschäftigt. Besonders macht der Organisation der sich vergrößernde Abstand zwischen Arm und Reich zu schaffen: „Die Region München als eine Boomregion, als eine Metropolregion. Wirtschaftlich blüht etwas auf, und wir machen die Erfahrung, dass nicht nur Reichtum wächst, sondern auch die Kehrseite: die Armut. Die Schere von Arm und Reich geht hier etwas auf.“

Der demographische Wandel ist ein weiteres Top-Thema: Die immer älter werdende Gesellschaft bringe Probleme mit sich. Ein Fachkräftemangel mache sich breit nicht nur im Bereich der Pflege, sondern auch im Bereich der Erziehung für die Kindertagesstätte. Es gab einmal Zeiten, als die Caritas genügend Kräfte hatte -  das sei nun vorüber, erklärt der Direktor. An der Basis der Problematik steht unter anderem, dass die Familienstruktur sich heute verändert habe und alte Menschen oft sich selbst überlassen werden.

„Es gibt immer mehr alt gewordene Menschen, die alleine leben. Weil ihre Kinder und Enkelkinder weggezogen sind – denn wir leben in einer globalisierten Welt. Und es gibt eine wachsende Altersarmut. Der Familienverbund, wie wir ihn von früher kennen, wird seltener. Dass wirklich innerhalb der Familie eine Generation die andere stützt. Wir brauchen Stützsysteme vom Staat und von der Kommune her. Und da ist München ganz stark gefordert, gerade auch im Bereich der Altersarmut.“

(rv 21.07.2015 no)








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