2015-07-09 11:03:00

Papst an Politiker in La Paz: Gemeinwohl statt Wohlstand


„Papst liest Latinos die Leviten“: So gibt ein Korrespondent in Lateinamerika seine Eindrücke vom Papstbesuch auf dem Kontinent wieder. „Der Papst wird in Lateinamerika von linken Regierungen politisch vereinnahmt“, urteilt ein anderer. Die beiden Schlagzeilen machen die Gratwanderung klar, die Franziskus leisten muss: zum Beispiel bei seiner Begegnung mit Vertretern von Staat und Gesellschaft Boliviens am Mittwochabend (Ortszeit).

„Bruder Präsident, Brüder und Schwestern“: So ungewöhnlich startete der Papst seine Polit-Rede in La Paz. Deutliche Worte an die Adresse des sozialistischen Präsidenten Evo Morales fand er dann trotzdem: Um „Gemeinwohl“ müsse es gehen, nicht um „Wohlstand“, und „Ideologie“ sei nicht hilfreich, sie blende nur. Die Politiker müssten „größeren Respekt für den sozialen Frieden“ zeigen, mit dieser Formulierung legte Franziskus den Finger auf eine Wunde Boliviens. Immerhin: „Der Reichtum muss verteilt werden“, dieses Papstwort dürfte dem „Bruder Präsidenten“ gefallen haben.

„Wenn sich die Politik von der Finanzspekulation beherrschen lässt oder die Wirtschaft sich nur nach dem technokratischen und utilitaristischen Paradigma der maximalen Produktion richtet, dann wird man auch die großen Probleme, welche die Menschheit betreffen, nicht verstehen, geschweige denn lösen können. Es ist auch die Kultur vonnöten... Gleichermaßen braucht es eine ethische und moralische Bildung, die zu einer Haltung der Solidarität und der Mitverantwortung unter den Menschen erzieht... (Das sind) Tugenden, die sich in Ihrer Kultur auf so einfache Weise in diesen drei Geboten ausdrücken: nicht lügen, nicht stehlen und nicht faul sein!“ Eine etwas eigenwillige Zusammenfassung der Zehn Gebote.

Wir dürfen uns „nicht gewöhnen an die Ungleichheit“, fuhr der lateinamerikanische Papst fort, wir dürfen da „nicht unsensibel“ werden. „Der Wohlstand, der sich allein auf den materiellen Überfluss bezieht, neigt dazu, egoistisch zu sein, parteiische Interessen zu verteidigen, nicht an die anderen zu denken und der Versuchung des Konsumismus nachzugeben. So verstanden brütet der Wohlstand, anstatt zu helfen, mögliche Konflikte und soziale Auflösung aus. Als beherrschende Sicht, die sich durchgesetzt hat, gebiert er das Übel der Korruption, das sehr entmutigt und großen Schaden anrichtet. Das Gemeinwohl hingegen ist mehr als die Summe der Einzelinteressen; es ist der Schritt von dem, was „besser für mich“ ist, zu dem, was „besser für alle“ ist, und beinhaltet all das, was einem Volk Zusammenhalt verleiht: gemeinsame Ziele, gemeinsame Werte, Ideale, die helfen, den Blick über die individuellen Horizonte hinaus zu richten.“

Eine Gesellschaft brauche „Freiheit“, damit alle zum Gemeinwohl beitragen können. Nicht nur die Politiker, sondern auch, wie Franziskus aufzählte, „die Denker, die Bürgervereinigungen, die Kommunikationsmittel“ – und natürlich erst recht die Christen, der „Sauerteig im Volk“. „Der Glaube ist ein Licht, das nicht blendet; die Ideologien blenden, der Glaube blendet nicht, der Glaube ist ein Licht, das nicht verdunkelt, sondern voll Respekt das Gewissen und die Geschichte jedes Menschen und jedes menschlichen Miteinander erhellt und leitet.“ Das mit der „Ideologie“ hatte der Papst spontan in seinen Redetext eingefügt.

Mit Sorge erwähnte Franziskus den Zerfall der Familie in Lateinamerika und das Phänomen der Straßenkinder. Die Familie nicht zu fördern heiße „die Schwächsten ohne Schutz zu lassen“. Im Streit zwischen Bolivien und Chile um einen Zugang Boliviens zum Meer, den es nach einem Krieg verloren hat, riet der Papst eindringlich zum Dialog: „Brücken bauen anstatt Mauern aufrichten“, mahnte er gleich zweimal. Für alle Probleme gebe es eine Lösung, nie dürften sie „Grund zu Aggressivität, Argwohn oder Feindschaft sein“.

„Bolivien macht gerade einen historischen Moment durch: die Politik, die Welt der Kultur, die Religionen nehmen teil an dieser schönen Herausforderung der Einheit. In diesem Land, wo die Ausbeutung, die Geldgier, die vielfachen Egoismen und die sektiererischen Sichtweisen seine Geschichte überschattet haben, kann heute die Zeit der Integrationen stattfinden. Und auf diesem Weg gilt es zu gehen!“

(rv 09.07.2015 sk)








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