2015-07-08 17:30:00

Papstansprache: Nicht gekommen, um uns bedienen zu lassen


Volltext der (ungehaltenen) Ansprache von Papst Franziskus bei der Begegnung mit Klerikern, Ordensleuten und Seminaristen im Marienwallfahrtsort El Quinche, Mittwoch, 8. Juli. Dieser Text wurde vom Papst nicht verlesen, sondern überreicht.

Guten Tag, liebe Brüder und Schwestern,

In diesen zwei Tagen, die ich hier verbracht habe, habe ich etwas Interessantes am ecuadorianischen Volk festgestellt: Ueberall wo ich hingehe, haben sie mich sehr freudig, herzlich begruesst. Aber in der Art und Weise gab es etwas - Was ist das Rezept dieses Volkes, hab ich mich gefragt. Und ich habe im Gebet jesus mehrmals gefragt: Was hat dieses Volk Spezielles? Ich glaube, es ist die Weihe ans Heilige Herz Jesu. Ich glaube, dieser ganze spirituelle, tiefe Reichtum, den ihr habt, hat mir der Weihe an das Heilige Herz Jesu zu tun. Er liebt uns so sehr. Natuerlich sind wir alle Suender, ich auch - aber der Herr verzeiht alles... Vergessen Sie nicht: diese Weihe ist ein Meilenstein in der Geschichte Ecuadors. Von hier kommt die Gnade dieses Landes, etwas, das es speziell macht....

Zwei Worte Mariens kommen mir heute in den Sinn: Was er euch sagt, das tut. maria war nie die Hauptperson, sie hat sich immer in die letzte Reihe gestellt - die erste Juengerin Jesu. Sie hatte ein Bewusstsein, dass alles von Gott kommt. Erinnern Sie sich jeden Tag an die Unentgeltlichkeit, mit der Gott uns beschenkt! Sie haben keinen Eintritt bezahlt, ums ins Seminar und ins religioese Leben einzutreten, und Sie haben das nicht verdient, Priester oder Ordensleute zu werden. Alles umsonst... Alle, auch die Bischoefe, mussen auf diesem Weg der Uneigennuetzigkeit vorangehen. Wir sind die Objekte der Uneigennuetzigkeit Gottes! Wenn wir das vergessen, werden wir uns allmaehlich fuer wichtig halten und uns von dem entfernen, was Maria immer vor Augen stand: die Uneigennuetzigkeit Gottes... 

Ich empfehle Ihnen Redemptoris Mater des hl. Johannes Paul II., wo er sagt: Maria haette sich im Moment, wo sie unter dem Kreuz stand, betrogen haette fuehlen koennen. Aber das tat sie nicht. Ich empfehle Ihnen als Vater: Ueberantworten Sie sich jeden Abend der Uneigennuetzigkeit Gottes... Denken Sie jeden Tag daran: Keiner von uns hat das verdient, was wir erreicht haben.

2. Verfallen Sie nicht in die Krankheit des spirituellen Alzheimer! Verlieren Sie nicht das Gedaechtnis! Vor allem, wo Sie herkommen. Verleugnen Sie Ihre Wurzeln nicht! (Samuel salbt David) Fuehlen Sie sich nicht bevorzugt! Uneigennuetzigkeit ist eine Gnade, die nicht mit der Vorstellung von Befoerderung zusammenpasst. Wer in der Kirche eine Karriere machen will, der bekommt spirituelles Alzheimer, denn er vergisst, woher er kommt. Vergessen Sie den Dialekt, die Sprache Ihrer Kindheit nicht! 

Das ist eine taegliche Arbeit, diese zwei Prinzipien zu leben. Es sind die zwei Saeulen unseres spirituellen Lebens. Das wird Ihnen erlauben, Ihr Leben im Geist des Dienens zu leben, und voller Freude. Dienst! Dienen - und zwar auch, wenn wir muede sind und wenn die Leute uns auf die Nerven gehen! Wer auf dem Weg des Dienens geht, darf nicht die Geduld mit den Leuten verlieren, denn dieser Dienst gehoert ihm nicht. 

Bitte, bitte: Setzen Sie keine Preise fuer die Gnade fest! Ihre Seelsorge soll gratis sein, sonst verliert sie etwas Wesentliches. 

 

 

 

Unserer Lieben Frau von Quinche lege ich die lebendigen Eindrücke von diesen Tagen meines Besuchs zu Füßen; ich möchte ihrem Herzen die Alten und die Kranken anvertrauen, mit denen ich eine Weile im Haus der Missionarinnen der Nächstenliebe verbracht habe. Ich schließe auch alle anderen Begegnungen ein, die ich vorher gehabt habe. Ich vertraue sie dem Herzen Marias an, aber ich lege sie auch euch ans Herz, ihr Priester, Ordensleute und Seminaristen, die ihr berufen seid, im Weinberg des Herrn zu arbeiten. Ihr sollt Wächter sein über alles, was dieses Volk Ecuadors erlebt, worüber es weint und worüber es sich freut.

Ich danke Bischof Lazzari, Pater Mina und Schwester Sandoval für ihre Worte, die mir Gelegenheit geben, mit euch allen einige Dinge in der gemeinsamen Sorge für das Volk Gottes zu teilen.

Im Evangelium lädt der Herr uns ein, die Mission ohne Vorbehalt anzunehmen. Es ist eine wichtige Botschaft, die wir nicht vergessen dürfen und die in diesem Heiligtum, das der Darbringung der Jungfrau Maria im Tempel geweiht ist, einen besonderen Akzent gewinnt. Maria ist das Beispiel einer Jüngerin für uns, die wir wie sie eine Berufung erhalten haben. Ihre vertrauensvolle Antwort „Mir geschehe wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38) erinnert uns an ihre Worte bei der Hochzeit zu Kana: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Ihr Beispiel ist eine Einladung zu dienen wie sie.

In der Darstellung der Jungfrau können wir einige Anregungen für unseren eigenen Ruf erhalten. Das Mädchen Maria war ein Geschenk Gottes für ihre Eltern und für das ganze Volk, das auf die Befreiung hoffte. Das ist eine Tatsache, die sich häufig in der Heiligen Schrift wiederholt: Gott antwortet auf die Klage seines Volkes, indem er ein schwaches Kind schickt, das dazu bestimmt ist, die Rettung zu bringen, und zugleich die Hoffnung alter Eltern erneuert. Das Wort Gottes sagt uns, dass in der Geschichte Israels die Richter, die Propheten und die Könige ein Geschenk Gottes sind, um seine Zärtlichkeit und seine Barmherzigkeit seinem Volk zukommen zu lassen. Sie sind Zeichen der ungeschuldeten Großzügigkeit Gottes: Er hat sie erwählt, ausgesucht und berufen. Dies bewahrt uns vor der Selbstbezogenheit. Es gibt uns zu verstehen, dass wir nicht mehr uns gehören, dass unsere Berufung von uns verlangt, uns von allem Egoismus, von allem Streben nach materiellem Gewinn oder affektivem Ausgleich abzuwenden, wie uns das Evangelium gesagt hat. Wir sind keine Tagelöhner sondern Diener. Wir sind nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen, und das tun wir in völliger Loslösung, ohne Stock und ohne Vorratstasche.

Eine gewisse Überlieferung hinsichtlich des Titels Unserer Lieben Frau von Quinche sagt uns, dass Diego de Robles das Gnadenbild im Auftrag des Stammes der Lumbicí schuf. Diego hat es nicht für Gotteslohn, sondern für einen materiellen Verdienst geschaffen. Als sie es ihm nicht bezahlen konnten, brachte er es nach Oyacachi und tauschte es gegen Zedernbretter ein. Diego verweigerte sich jedoch der Bitte der Dorfbewohner, auch einen Altar für das Bild zu schaffen. Als er dann aber vom Pferd stürzte, fühlte er im Angesicht der Gefahr den Schutz der Jungfrau Maria. Er kehrte in das Dorf zurück und schuf das Podest für das Bild. Auch wir alle haben die Erfahrung eines Gottes gemacht, der unsere Wege kreuzt, der uns in unserer Wirklichkeit als Gefallene und Zusammengebrochene ruft. Mögen die Eitelkeit und die Weltlichkeit uns doch nicht vergessen lassen, von wo Gott uns gerettet hat! Möge Maria von Quinche uns dazu bringen, von den Plätzen des Ehrgeizes, der egoistischen Interessen und der übermäßigen Sorgen um uns selbst herabzusteigen!

Die „Vollmacht“, welche die Apostel von Jesus empfangen, ist nicht für ihren eigenen Vorteil bestimmt: Unsere Begabungen dienen der Erneuerung und dem Aufbau der Kirche. Weigert euch nicht zu teilen, sträubt euch nicht zu schenken, schließt euch nicht in die Bequemlichkeit ein, seid Quellen, die überfließen und die anderen erfrischen, besonders die, die durch die Sünde, die Enttäuschung und den Groll bedrückt sind (vgl. Evangelii gaudium 272).

Ein zweiter Aspekt, an den mich die Darstellung der Jungfrau erinnert, ist die Beharrlichkeit. In der anregenden ikonographischen Darstellung dieses marianischen Festes löst sich das kleine Mädchen Maria von ihren Eltern, um die Stufen zum Tempel hinaufzusteigen. Maria schaut nicht zurück und geht – in einem deutlichen Bezug zur Mahnung des Evangeliums – entschieden voran. Wie die Jünger im Evangelium treten auch wir unseren Weg an, um jedem Volk und jedem Ort die gute Nachricht Jesu zu bringen. Beharrlichkeit in der Mission bedeutet, nicht von einem Haus in ein anderes zu ziehen (vgl. Lk 10,7) auf der Suche, wo man uns besser behandelt, wo es mehr Mittel und Annehmlichkeiten gibt. Das bedeutet, unser Los mit dem von Jesus zu verbinden, bis zum Letzten. Einige Berichte der Erscheinungen der Jungfrau von Quinche erzählen uns, dass eine „Frau mit einem Kind im Arm“ an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden die Bewohner von Oyacachi besuchte, als diese vor der Verfolgung durch Bären Zuflucht suchten. Mehrere Male kam Maria ihren Kindern entgegen; sie trauten ihr nicht, sie beargwöhnten diese Frau, bewunderten jedoch ihre Beharrlichkeit, jeden Abend beim Sonnenuntergang wiederzukommen. Ausharren, auch wenn sie uns ablehnen, auch wenn es Nacht wird und die Unsicherheit und die Gefahren zunehmen. Ausharren in diesem Einsatz, weil wir wissen, dass wir nicht allein sind, dass das heilige Volk Gottes voranschreitet.

In gewisser Weise können wir in dem Bild des Mädchens Maria, das zum Tempel hinaufsteigt, die Kirche sehen, die den missionarischen Jünger begleitet. Zusammen mit ihr sind da ihre Eltern, die ihr das Gedächtnis des Glaubens übermittelt haben und sie nun großherzig dem Herrn darbieten, auf dass sie seinem Weg folgen kann. Da ist ihre Gemeinschaft, dargestellt durch das „Gefolge der Jungfrauen“, „ihre Gefährtinnen“ mit den brennenden Lampen (vgl. Ps 45,15); in diesen sehen die Kirchenväter ein prophetisches Bild für alle, die Maria nachahmen und aufrichtig danach streben, Gottes Freunde zu sein. Und da sind die Priester, die auf sie warten, um sie zu empfangen; sie erinnern uns daran, dass in der Kirche die Hirten die Verantwortung haben, die Menschen mit Zärtlichkeit aufzunehmen und zu helfen, jeden Geist und jeden Ruf zu unterscheiden.

Gehen wir gemeinsam voran, stützen wir uns gegenseitig und erbitten wir demütig die Gabe der Beharrlichkeit in seinem Dienst.

Unsere Liebe Frau von Quinche war Anlass für Begegnung, für Gemeinschaft, und dieser Ort hat sich seit diesen Zeiten der Inkas zu einer multi-ethnischen Siedlung herangebildet. Wie schön ist es, wenn die Kirche in ihrem Einsatz ausharrt, Haus und Schule der Gemeinschaft zu sein, wenn wir das erzeugen, was ich gerne als Kultur der Begegnung bezeichne!

Das Bild der Darstellung sagt uns, dass sich das Mädchen Maria, nachdem es den Segen der Priester empfangen hatte, auf die Stufen des Altars setzte und dann aufstand und tanzte. Ich denke an die Fröhlichkeit, die sich in den Bildern einer Hochzeitsfeier zeigt unter den Freunden des Bräutigams und bei der Braut, die mit ihren Juwelen geschmückt ist. Es ist die Freude von jemandem, der einen Schatz gefunden hat und der alles hinter sich gelassen hat um ihn zu erlangen. Dem Herrn zu begegnen, in seinem Haus zu leben, an seiner persönlichen Sphäre teilzuhaben verpflichtet dazu, das Reich Gottes zu verkünden und die Rettung zu allen zu bringen. Die Schwellen des Tempels zu überschreiten verlangt von uns, uns wie Maria in Tempel des Herrn zu verwandeln und uns auf den Weg zu machen, um ihn zu den Geschwistern zu bringen. Die Jungfrau, die erste missionarische Jüngerin, ist gleich nach der Ankündigung durch den Engel unverzüglich in ein Dorf in Judäa aufgebrochen, um diese unermessliche Freude zu teilen; dieselbe, die den heiligen Johannes den Täufer im Leib seiner Mutter hüpfen ließ (vgl. Lk 1,39-44). Wer ihre Stimme hört, „hüpft vor Freude“ und wird selbst zu einem Boten ihrer Freude. Die Freude zu evangelisieren bewegt die Kirche, sie lässt sie aufbrechen wie Maria.

Obgleich vielerlei Gründe für die Verlegung des Heiligtums von Oyacachi an diesen Ort vorgebracht werden, bleibe ich bei einem stehen: „Hier ist es und war es besser zugänglich, hier ist es leichter, in der Nähe von allen zu sein“. So verstand es der Erzbischof von Quito, Fray Luis López de Solis, als er anordnete ein Heiligtum zu bauen, das imstande war, alle zusammenzurufen und aufzunehmen. Eine Kirche im Aufbruch ist eine Kirche, die sich nähert, die sich anpasst, um nicht weit weg zu sein, die aus der eigenen Bequemlichkeit herausgeht und den Mut hat, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen (vgl. Evangelii gaudium 20).

Kehren wir nun zu unseren Aufgaben zurück, die das heilige Volk, das uns anvertraut ist, von uns erbittet. Zu diesen gehört – das dürfen wir nicht vergessen –, uns um die Volksfrömmigkeit zu kümmern, zu ihr zu ermuntern, sie heranzubilden. Wir können sie, die in vielen lateinamerikanischen Ländern sehr verbreitet ist, in diesem Heiligtum gleichsam mit Händen greifen. Das gläubige Volk wusste seinen Glauben in seiner eigenen Sprache zum Ausdruck zu bringen; seine tiefsten Empfindungen von Schmerz, Zweifel, Freude, Scheitern und Dank mit verschiedenen Formen der Frömmigkeit zu zeigen: Prozessionen, Nachtwachen, Blumen, Gesänge, die sich in einen schönen Ausdruck des Vertrauens in den Herrn und der Liebe zu seiner Mutter verwandeln, die auch unsere Mutter ist.

In Quinche fließen die Geschichte der Menschen und die Geschichte Gottes in der Geschichte einer Frau, nämlich Marias, zusammen. Und in einem Haus, unserem Haus, der Schwester Mutter Erde. Die Überlieferungen dieser Wallfahrt rufen uns die Zedern, die Bären, die Felsspalte in Erinnerung, wo sich das erste Haus der Gottesmutter befand. Sie sprechen uns von den Vögeln in der Vergangenheit, die an diesem Ort lagerten, und von Blumen heute, die das Bild schmücken. Die Ursprünge dieser Devotion versetzen uns in Zeiten, in denen es sehr einfach war, „den ruhigen Einklang mit der Schöpfung wiederzugewinnen, um ... den Schöpfer zu betrachten, der unter uns und in unserer Umgebung lebt und dessen Gegenwart nicht hergestellt, sondern entdeckt, enthüllt werden muss“ (Enz. Laudato si‘ 225). Er offenbart sich uns in der geschaffenen Welt, in seinem geliebten Sohn, in der Eucharistie, die den Christen erlaubt, sich als lebendige Glieder der Kirche zu sehen und aktiv an seiner Mission teilzunehmen (vgl. Aparecida, 264). Und er offenbart sich uns im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Quinche, die von hier aus die Morgenröte der ersten Verkündigung des Glaubens an die eingeborenen Völkern begleitete. Ihr empfehlen wir unsere Berufung an. Sie mache uns zu einem Geschenk für unseres Volk. Sie schenke uns die Beharrlichkeit in der Hingabe und die Fröhlichkeit, aufzubrechen und das Evangelium ihres Sohnes Jesus – vereint mit unseren Hirten – bis zu den Grenzen, bis zu den Peripherien unseres geliebten Ecuador zu bringen.

 

(rv 08.08.2015 ord)








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