2015-07-01 08:31:00

Vor 70 Jahren: Radio Vatikan und die Kriegsgefangenen


  

Preisfrage: Was war das ‚Vatikanische Informationsbüro’ in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts? Nein, es war keine Pressestelle. Sondern ein Büro im Vatikan, das Informationen über Kriegsgefangene sammelte. Massimiliano Valente ist Geschichtsdozent an der ‚Universitá Europea’ von Rom und hat sich mit diesem Thema beschäftigt.

1939: Hitler überfällt Polen, der Zweite Weltkrieg bricht aus. In den Wirren der ersten Kampftage wird ein polnischer Familienvater vermisst; seine Angehörigen schreiben an den neuen Papst Pius XII. und bitten ihn um Hilfe. Pius wendet sich sofort an Monsignore Giovanni Battista Montini aus dem Staatssekretariat: Er soll ein Vatikanbüro einzurichten, das versucht, Vermisste zu finden und Kriegsgefangenen zu helfen. Der Vatikan ist in diesem Krieg neutral – das könnte helfen, sich für Vermisste oder Gefangene einzusetzen. Ähnliche Vatikanbemühungen hat es schon im Ersten Weltkrieg gegeben, berühmtes Beispiel ist der Philosoph Ludwig Wittgenstein: Er kam aus italienischer Gefangenschaft frei, nachdem seine Mutter an den Vatikan geschrieben hatte. Montini ist der spätere Papst Paul VI., ein Vertrauter von Papst Pacelli.

„Das Büro begann mit ein paar Leuten und zunächst sehr wenig Anfragen. Allmählich hat es sich dann entwickelt, je mehr auch der Krieg um sich griff; 1943 auf seinem Höhepunkt arbeiteten hier schließlich 600 Angestellte, die einen beeindruckenden Berg von Dossiers bearbeiteten. Sie stützten sich auf ein Netzwerk: die katholischen Bischöfe, die es in der ganzen Welt gibt, und die Päpstlichen Nuntien. Und dadurch kamen sie an Informationen über Kriegsgefangene heran. Dazu wurden die Beziehungen zu den einzelnen Staaten genutzt, um die Leiden dieser armen Soldaten zu lindern, die sich teilweise schon seit Jahren in Gefangenschaft befanden.“

Sehr gestärkt wird das Büro durch Radio Vatikan. Der erst vor ein paar Jahren gegründete Sender des Papstes räumt Frequenzen frei, um Appelle und Botschaften auszustrahlen. Bistümer und Pfarreien in vielen Ländern richten Hörstationen ein, wo sie zu bestimmten Zeiten Nachrichten über Vermisste oder Gefangene empfangen und eventuell weiterfunken können. Viele der Freiwilligen, die solche Hörstationen aufziehen, zahlen dafür mit Gefängnis. Etwa Don Paolo Liggeri, Direktor einer Kirchenzeitung in Mailand, festgenommen von der faschistischen Polizei im März 1944. Ein Blick auf die Zahlen: Zwischen 1940 und 1946 sendet Radio Vatikan nicht weniger als 1.240.000 Meldungen zu Gefangenen und Vermissten. Dabei kommt so viel Sendezeit zusammen, als würde man anderthalb Jahre lang 24 Stunden am Stück funken.

„In den ersten Kriegsjahren war Radio Vatikan schon deswegen ein nützliches Werkzeug, weil man im Vatikan Schwierigkeiten hatte, mit den Ländern Westeuropas zu kommunizieren. Am Anfang waren es nur wenige Programme, zwei in der Woche. Vor allem wurden Listen von Gefangenen vorgelesen. Dadurch erfuhren die Angehörigen, dass diese Menschen noch lebten, in welchen Gefangenenlagern sie sich befanden und unter welchen Bedingungen. Es ist eine unübersehbare Menge von Menschen, denen der Heilige Stuhl damals auf die eine oder andere Weise geholfen hat.“

Jeden Tag drängen sich über tausend Hilfesuchende im Palazzo San Carlo im Innern des Vatikans, wo das Informationsbüro untergebracht ist. Geleitet wird das Büro von einem früheren Diplomaten des letzten russischen Zaren Nikolaus II., der als Erwachsener konvertiert und Priester geworden ist, Don Alessandro Evreinoff. Über ein Formular, das hier im Büro ausliegt, können Angehörige auch Briefe an Kriegsgefangene schreiben, die dann später von den Nuntien oder den Bischöfen an den Empfänger weitergeleitet werden. Manchmal sprechen Kinder über Radio Vatikan, um ihrem kriegsgefangenen Vater zu sagen: „Hallo Papa, uns geht es gut!“ Das Ganze wird dann in Gefangenenlagern in Europa und anderswo per Lautsprecher übertragen. Dem faschistischen Italien ist es ein Dorn im Auge, dass der kleine Vatikan, um ein Beispiel zu nennen, ab September 1940 regelmäßigen Funkkontakt mit London hält; der Geheimdienst versucht die Frequenz zu stören.

„Die Aktivität des Informationsbüros geschah im Stillen, aber ganz konkret: Es ging nicht um Aufsehen, sondern darum, Opfern des Kriegs zu helfen. Diese Einstellung spiegelt sozusagen die Art und Weise, die Persönlichkeit von Pius XII. wieder.“

(rv 01.07.2015 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.