2015-06-29 08:39:00

Leben und Sterben im „Islamischen Staat"


  

Terror online: Der ‚Islamische Staat’ versteht sich auf Publicity, die Barbaren sind auf dem neuesten Stand der Technik. Unabhängige Stimmen aus dem Territorium namens ‚Islamischer Staat’ sind schwer zu finden, aber es gibt sie, erzählt Suha Oda vom Verband irakischer Journalistinnen. Sie kommt aus Mossul, der Millionenstadt, die vor einem guten Jahr in die Hände der Islamisten fiel.

„Natürlich ist es eine Herausforderung, eine tödliche Herausforderung, heutzutage als Frau im Irak Journalismus zu betreiben, erst recht in den Gebieten unter der Kontrolle des IS. Wir wissen von mindestens sechzehn in den IS-Gebieten getöteten Journalistinnen  bzw. Journalisten; viele meiner Kolleginnen haben ihre tägliche Arbeit mit dem Leben bezahlt. Man muss allerdings auch sagen, dass es schon vor dem Aufkommen des ‚Islamischen Staats’ schwierig war, als Frau im Journalismus zu arbeiten, speziell in eher konservativ geprägten Gebieten wie dem unsrigen. Man begab sich damit zwar in der Regel nicht in Lebensgefahr, wie das heute der Fall ist, aber es war schon etwas sehr Schwieriges. Also ist das für uns eine Herausforderung – und in gewisser Weise auch eine Mission.“

Nach der Flucht der Christen aus Mossul und der ganzen Ninive-Ebene gibt es in der Stadt nur noch eine Minderheit: die Jesiden. Viele jesidische Frauen wurden von den neuen Herren vergewaltigt und zu Sklavinnen gemacht, so Suha; einigen wenigen Frauen hätten ihre Nachbarn zur Flucht verholfen. Nach Suhas Angaben ist die humanitäre Lage in Mossul tragisch, vor allem was das Gesundheitswesen betrifft. Medizin lasse sich nicht beschaffen, die wenigen noch offenen Krankenhäuser arbeiteten unter strikter Aufsicht der Dschihadisten. Vor allem Betäubungs- und Desinfektionsmittel fehlten, Schwangere brächten ihre Kinder ohne Betäubung zur Welt, allein im August 2014 seien pro Tag durchschnittlich fünfzehn Neugeborene bei der Geburt gestorben.

„Krieg in Syrien, aber kein syrischer Krieg“

Schwarze Zwillingsschwester von Mossul ist Raqqa, auf der anderen Seite der Grenze: Diese syrische Provinz war die erste, die sich von Damaskus befreite, nur um dann unter der Kontrolle des IS zu enden. Jimmy Botto Shainian ist syrischer Menschenrechtler und lebt jetzt als Flüchtling in der Türkei. Er sagt im Gespräch mit Radio Vatikan: „Die Zivilbevölkerung in der Stadt Raqqa steht in jeder Hinsicht unter starkem Druck. Alles ist schwierig dort, sogar, an Essen zu kommen. Der ‚Islamische Staat’ hat strenge Regeln zu praktisch jedem Bereich des Alltags erlassen, etwa was das Tragen von Bärten oder von bestimmter Kleidung betrifft.“ Verzweifelt sei die Lage im Schulwesen, erzählt der syrische Menschenrechtler: Von den früher einmal 235 Schulen von Raqqa seien jetzt nur noch 17 geöffnet, und in diesen 17 habe sich der Lehrplan geändert. „Alle humanistischen Fächer sind gestrichen worden, um Platz für den Religionsunterricht zu schaffen; eigentlich ist sonst nur noch Mathematik im Lehrplan geblieben. Und das gilt für alle Altersklassen, nicht nur für die Kleinkinder.“

Auch was das Gesundheitswesen betrifft, kann sich Raqqa unrühmlicherweise mit Mossul messen, berichtet Shainian. „Früher gab es in der Stadt vier Krankenhäuser, jetzt funktioniert nur noch eines halbwegs komplett, aber es ist vor allem für die IS-Kämpfer selbst reserviert.“ Der Menschenrechtler behauptet, dass der Krieg in Syrien jetzt schon ins fünfte Jahr gegangen sei, liege vor allem an Europa: „Die Probleme rühren von diesen 35.000 Kämpfern her, die aus Europa kommen, um in den Reihen des ‚Islamischen Staats’ bei uns in Syrien zu kämpfen, und nicht von den drei- bis viertausend Syrern, die es in dieser Gruppe gibt. Wir sind sicher, dass sich die internen Konflikte unter Syrern durchaus lösen ließen. Aber es wäre wichtig, dass Europa einmal sein Gewicht in die Waagschale wirft und diesem Problem (der ausländischen Kämpfer) einen Riegel vorschiebt!“

Der syrische Bürgerkrieg sei „immer mehr ein Krieg in Syrien, aber eben kein syrischer Krieg“, formuliert der syrische Aktivist. „Einige der tieferen Ursachen dieses Krieges haben Lösungen, die hier in Europa anfangen müssten!“

(rv 29.06.2015 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.