2015-06-06 10:59:00

Kirche in Bosnien-Herzegowina hofft auf „Franziskus-Effekt“


Die katholische Kirche Bosnien-Herzegowinas hofft auf einen „Franziskus-Effekt“ durch den Papstbesuch in ihrem Land: Seit 1991 ist Bosnien-Herzegowina die Hälfte seiner zuvor über 800.000 Katholiken abhandengekommen, vor allem durch die Vertreibungen im Krieg von 1991 bis 1995, in dem auch rund 1.000 kirchliche Gebäude völlig zerstört wurden. Die massive Auswanderung hält seither an, und Insider befürchten, dass die Kirche allmählich völlig „ausradiert“ wird. Mehrheitlich - zu 40 Prozent - ist Bosnien-Herzegowinas heute muslimisch, ein Drittel der Bevölkerung bekennt sich zur serbisch-orthodoxen und jeder Zehnte zur katholischen Kirche.

Die aktuellen Statistik-Zahlen, die der Vatikan im Mai zur Kirche in Bosnien-Herzegowina veröffentlicht hat - Stichtag ist der 31. Dezember 2013 - bezeichnet 11,5 Prozent der rund 3,8 Millionen Einwohner des Landes als katholisch. Sechs Bischöfe, 344 Ordens- und 280 Diözesanpriester sowie rund 500 Ordensfrauen sind in dem Balkanstaat tätig. Das kirchliche Leben in den vier Diözesen der Kirchenprovinz mit dem Namen „Vrhbosna2 - nämlich die Erzdiözese Sarajevo und die Diözesen Mostar-Duvno, Banja Luka und Trebinje-Mrkan - verteilt sich auf 304 Pfarren. 14 Schulen und zwei Universitäten stehen in kirchlicher Trägerschaft. Aus Sarajevo wurden 4.276 Taufen und 6.188 Beerdigungen für 2014 vermeldet.

Die wohl frühesten berühmten Kirchenvertreter mit Bezug zur Region sind der Märtyrerbischof Venantius aus der Stadt Delminium (heute Tomislavgrad) im 3. Jahrhundert und der in der dalmatinischen Stadt Stridon geborene Kirchenvater Hieronymus (347-420). Der heilige Benedikt erhielt um 540 vom oströmischen Kaiser Justinian Ländereien für Klöstergründungen in Bosnien, wo es um 600 bereits mehrere Bistümer und viele Basiliken gab, wie Dokumente der Synode von Salona und archäologische Ausgrabungen zeigen. Durchlebte die Kirche mit dem Awareneinfall im 7. Jahrhundert auch eine tiefe Krise, stabilisierte sich die Lage mit der späteren Einwanderung und Christianisierung der Kroaten wieder.

Franziskaner federführend

Bereits das vergangene Jahrtausend war für die katholische Kirche in Bosnien-Herzegowina ein schwieriges. Mit Beginn des 13. Jahrhunderts breitete sich die Bogumilen-Sekte aus, gegen deren Einfluss der Papst Dominikaner als Missionare in die Region schickte, die hier zwischen 1228 und 1330 eine Reihe von Klöstern gründeten und mehrere Bischöfe stellten. Ihre Rolle wurde von den Franziskanern, die ab 1291 dazukamen, allmählich vollständig übernommen. 48 ihrer Klöster, sowie auch 464 katholische Kirchen, wurden durch die Osmanen zerstört, die 1463 Bosnien und 1482 dann Herzegowina eroberten.

Ein Großteil der Katholiken floh nach Istrien, manche ins Burgenland oder nach Italien, während manche in die serbisch-orthodoxe Kirche ein- oder zum Islam übertraten. Die Franziskaner harrten unter den Verbleibenden aus, vorschriftsmäßig in türkische Gewänder gehüllt, während die ebenfalls in der Region tätigen Jesuiten- und Dominikanermissionare sich nicht durchsetzen konnten. Franziskaner waren es auch, die ab 1735 als Apostolische Vikare das neu gegründete Vikariat Bosnien leiteten. Viele seiner Privilegien behielt der Orden bei, als in Bosnien-Herzegowina nach dem Volksaufstand 1878 und der folgenden österreichisch-ungarischen Herrschaft eine reguläre Kirchenstruktur erhielt.

Habsburger-Ära als Blütezeit

In der Habsburger-Ära errichtete Papst Leo XIII. errichtete 1882 in Sarajevo die neue Erzdiözese Vrhbosna - unter dem aus Zagreb berufenen Diözesanpriester und Theologen Josip Stadler als Erzbischof -, und unterstellte ihr die Diözesen Banja Luka und Mostar Duvno. Pfarrgemeinden wurden gegründet, da zahlreiche kroatische Katholiken wieder ins Land kamen. Die Erzdiözese Sarajevo, wo nun der katholische und orthodoxe Dom sowie auch die Synagoge gebaut wurden, spricht heute rückblickend von einer katholischen „Blütezeit“.

Weiterhin stellten die orthodoxen Serben, die unter dem Schutz des russischen Zarenreichs standen und den Habsburgern mit Distanz begegneten, 1910 mit 42 Prozent die Bevölkerungsmehrheit, während ein Drittel Muslime, und 23 Prozent Katholiken waren. Infolge der Balkankriege 1912 und 1913 kam es zu einer Radikalisierung und einer Verschärfung des Nationalismus. Nach dem tödlichen Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in der Altstadt von Sarajevo folgten Ausschreitungen, Verhaftungen und große Fluchtwellen serbischer Familien aus Sarajevo nach Serbien und Montenegro.

Kommunisten veranstalteten Schauprozesse

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Bosnien und Herzegowina zunächst Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, dann ab 1929 des Königreichs Jugoslawien. Die serbische Obrigkeit begegnete der weiter wachsenden katholischen Kirche mit großer Skepsis und enteignete die muslimischen Landbesitzer. Eine Zäsur brachten die Wirren des Zweiten Weltkriegs: Im erbitterten Kampf zwischen kroatischer Heimwehr, Ustascha-Faschisten, serbischen Tschetniks, kommunistischen Partisanen sowie deutscher Wehrmacht und italienischen Truppen entlud sich viel aufgestauter Hass zwischen den Glaubensgemeinschaften. Etliche Gläubige und Priester wurden umgebracht, Kirchen zerstört und ganze Gemeinden ausgelöscht.

Mit der kommunistischen Partisanen-Zeit ab 1945 dauerten die Verfolgungen der Katholiken an: Tausende - darunter 160 Priester und Dutzende Ordensleute - wurden ermordet, viele in Schauprozessen zu Zwangsarbeit verurteilt, Frauenorden vertrieben, die Priesterseminare in Sarajevo und Mostar geschlossen, die katholische Presse verboten und lange gab es im Land keinen Bischof auf freiem Fuß. Erst langsam gelang es Bosniens Katholiken mit ausländischer Unterstützung, einzelne Gebäude wieder aufzubauen oder zu renovieren.

In diese Zeit fällt auch der Beginn der Berichte von angeblichen Marienerscheinungen - der Vatikan hat diese bisher nicht anerkannt - im von Franziskanern betreuten herzegowinischen Wallfahrtsort Medjugorje in den 1980er Jahren. 1990 folgte die Ernennung von Vinko Puljic zum Erzbischof von Vrhbosna-Sarajevo durch Papst Johannes Paul II., der den damals 49-Jährigen 1994 auch zum ersten Kardinal aus Bosnien machte.

Gräuel ohne Aufarbeitung

Noch heute klaffende Wunden hat jedoch besonders der Krieg zwischen 1991 und 1995 hinterlassen. Slowenien und Kroatien erklärten sich 1991, Bosnien 1992 unabhängig vom serbisch dominierten Jugoslawien, dessen Bundesarmee gemeinsam mit Freischärlern und den bosnischen Serben die muslimischen und katholisch-kroatischen Gebiete Bosniens angriff und Sarajevo 44 Monate lang belagerte. "Ethnische Säuberungen" durch Massaker, Folter und Vertreibungen kennzeichneten das grausame Ringen um Gebietsgewinne, erneut wurden katholische Priester und Ordensleute ermordet, Kirchen zerstört und Gläubige vertrieben.

Etwa im Gebiet der heutigen Republika Srpska verschwanden im Krieg und den Folgejahren 94 Prozent der einst 153.000 Katholiken, und bis heute hält der landesweite Exodus der Katholiken aus Bosnien an. Gegen Kriegsende standen schließlich auch die katholisch dominierten Kroaten und die muslimischen Bosniaken, die zunächst ihre Gebiete gemeinsam gegen die serbischen Angriffe verteidigt hatten, in Kämpfen um Siedlungsgebiete für ihre Vertriebenen gegenüber. Die Aufarbeitung der Ereignisse jenseits der Kriegsverbrecher-Tribunale ist weiter ausständig, was allerdings auch für die meisten anderen der zahlreichen traumatischen Geschehnisse des 20. Jahrhunderts gilt.

In der jüngeren Geschichte seit dem 1995 ratifizierten Friedensabkommen von Dayton, das einen zweigeteilten Staat - die Republika Srpska und die bosnisch-kroatische Föderation, ergänzt 2000 durch einen Sonderstatus für den Distrikt Brcko - schuf, fehlt weiter das nötige Fundament für längerfristigen Frieden und Demokratie. Bosniens Kardinal Puljic beklagt eine „systematische Benachteiligung“ der katholische Kirche, die etwa keine Restitutionen aus den Enteignungen der Kommunismus-Zeit erhält und Baugenehmigungen nur mit großen Hürden und Verzögerungen, ganz im Gegensatz zu den Muslimen.

(kap 06.06.2014 pr)








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