2015-06-04 12:34:00

Österreich: Die Flüchtlinge und die Zeltlager


Österreich ist ein klassisches Asylland: Das erklärt Diakonie-Direktor Michael Chalupka in einem Interview mit Radio Vatikan. Chalupka verweist auf die Geschichte: 1956 Ungarn-, neunziger Jahre Bosnien-, später dann die Kosovo-Krise. Jedesmal habe Österreich viele Flüchtlinge aufgenommen, und auch heute noch stehe das Land im EU-Ländervergleich weit oben mit der Aufnahme von Flüchtlingen. Das Innenministerium registriert derzeit so viele Asylanträge wie nie zuvor, man geht von 70.000 Asylanträgen aus, und das bringt offensichtlich so manche Kommune an ihre Grenzen. 

„Zum anderen ist es im Moment so, dass wir eine typisch österreichische Krise haben. Nämlich dass Bund, Länder und Gemeinden nicht zusammenkommen, um hier Quartiere zu schaffen. Im Moment gibt es eine Unterbringungskrise, die durchaus hausgemacht ist, weil der Föderalismus kein Konzept bringt. Das heißt, es gibt auch eine Krise im Management der Unterbringung von Flüchtlingen. Und eine dritte Komponente kommt dazu: dass es eine rechtspopulistische Partei gibt, die FPÖ, die aus dieser Unterbringung von Asylwerbern politisches Kapital schlägt, und dass die anderen Parteien nicht gegensteuern, sondern viele Dinge übernehmen. Und deswegen ist im Moment die Stimmung sehr kritisch gegenüber Asylwerbern und der Unterbringung."

Es sei einfach nicht verständlich und erklärbar, so der Diakonie-Direktor, dass in einem der reichsten Länder der Welt Plätze für Flüchtlinge fehlen. Ganze Zeltstädte würden aufgestellt, anstatt bestehende Räumlichkeiten zu nutzen.

„Dass da Zelte aufgestellt wurden, ist Teil einer österreichischen Realverfassung. Dass Bund, Länder und Gemeinden eigentlich zusammenarbeiten müssten und das aber nicht tun - und das seit vielen Jahren. Der Bund ist für die Erstaufnahme der Asylwerber zuständig, für die Unterbringung wären es die Länder. Die Länder versuchen immer, möglichst wenige Asylwerber aufzunehmen; Bürgermeister wehren sich, weil in ihren Orten Asylwerber untergebracht werden. Und da hat die Innenministerin eher hilflos versucht, Druck aufzubauen, indem sie Zelte errichtet hat. Das ist natürlich sehr zwiespältig, denn das heißt, dass Menschen bei Kälte wie bei Hitze in provisorischen Zelten schlafen müssen, und das in einem der reichsten Länder Europas."

Die Hilfsorganisationen in Österreich - Rotes Kreuz, Caritas, Diakonie und andere - haben gemeinsam Vorschläge gebracht, um dieser Entwicklung gegenzusteuern. Chalupka: „Wir haben zum Beispiel den Vorschlag gemacht, das Umwidmungsverfahren von Bundesgebäuden zu beschleunigen. Es stehen in Österreich sehr viele Gebäude frei: Schulen, Finanzämter, Kasernen. Aber es braucht viele Wochen, Monate, bis man sie umgewidmet hat und bis alle zugestimmt haben. Wenn wir eine Krisensituation haben, dann sollte es sehr rasch gehen, dass diese Gebäude geöffnet werden können! Das heißt, wir haben die Situation - es gibt Raum, wo Menschen untergebracht werden können, und wir haben auf der anderen Seite Zelte, die jetzt in der prallen Sonne stehen."

Diakonie-Direktor Chalupka prangert auch die Situation der Kinder und Jugendlichen an, die in den Flüchtlingszentren leben. „Die sind dort nicht adäquat untergebracht! Es gibt keine adäquate Schulbildung, keine Freizeit, nicht einmal drei warme Mahlzeiten am Tag. Es wird auch berichtet, dass Kinder auf dem Boden schlafen müssen. Die gehören in die Obhut der Jugendhilfe, der Jugendwohlfahrt, die ja für alle Kinder unter 18 Jahren zuständig ist. Ob sie nun in Österreich geboren sind oder auf der Flucht sind - es sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Auch die gehören in die Obhut der Jugendhilfe. Das würde das System entlasten."

Ein weiterer Vorschlag zur Verbesserung der Umstände der Asylwerber und Flüchtlinge ist die Erhöhung des Tagsatzes von Wirten und Pensionen, die bislang privat Flüchtlinge für den Staat aufnehmen. Neue Strukturen bilden und mehr Geld in die Hand nehmen, das fordert Michael Chalupka.

„Wenn ich daran denke: Die italienische Aktion Mare Nostrum, die im Jahr 2013 150.000 Menschen das Leben gerettet hat, hat 110 Millionen Euro gekostet. Der G7-Gipfel, der zwei Tage lang in Deutschland stattfinden wird, kostet 300 Millionen Euro. Da sieht man, dass es um Prioritäten geht. Und wir glauben, dass der Schutz und die Rettung der Menschen oberste Priorität haben müssen!"

Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner angekündigt, das sogenannte Dublin-System der Flüchtlingsverteilung zu stärken. Weil im Mai pro Einwohner mehr Asylanträge pro Einwohner als in jedem anderen EU-Staat gestellt wurden (6.240), sollen rund ein Viertel der aktuellen Antragsteller außer Landes gebracht werden. Sie sollen mit Charterflügen und Bussen in die Länder zurückgeschoben werden, wo sie ihre ersten Asylanträge gestellt haben.

(rv 04.06.2015 no)








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