2015-06-03 09:28:00

D/Italien: Erinnerung an Massaker von Sant´Anna


Italien hat am Dienstag seinen Nationalfeiertag gefeiert und damit das Ende von Monarchie und Diktatur. Die Feierlichkeiten, die in dem toskanischen Bergdorf Sant'Anna di Stazzema stattfanden, hatten allerdings einen anderen Anlass. Dort wurde an die 560 Männer, Frauen und Kinder erinnert, die am 12. August 1944 von Angehörigen einer SS-Division ermordet wurden. Die Aufarbeitung des Massakars von Sant'Anna di Stazzema ist nach wie vor ein sehr schwieriges Thema. 

Maurizio Verona ist empört. Der Bürgermeister Stazzemas kann es kaum fassen, dass über siebzig Jahre nach dem furchtbaren Geschehen in Sant' Anna vergangene Woche das letzte Strafverfahren gegen einen mutmaßlichen Beteiligten eingestellt worden ist. „Ich bin abermals fassungslos, weil unsere Hinterbliebenen, unsere Opfer nicht die Genugtuung erhalten, die Namen der Kriminellen zu erfahren, die hier Frauen, Alte und Kinder ermordet haben“, sagte Verona der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hatte vergangene Woche das letzte Verfahren beendet, weil der Beschuldigte, heute 93 Jahre alt, gesundheitlich einem Prozess nicht hätte folgen können. Das heißt: Keiner der an dem Massaker Beteiligten ist für seine Taten in Deutschland jemals belangt worden.

Gerechtigkeit wird es für die viele Ermordeten in Sant'Anna also nicht mehr geben, sagt der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch. „Ich glaube, es war heute ganz wichtig, durch meine Anwesenheit zu zeigen, dass wir jenseits der juristischen Aufarbeitung die Menschen hier unterstützen wollen. Dass wir auf diesen schrecklichen Erlebnissen aufbauend die Hoffnung haben, dass wir in Freundschaft und Frieden gemeinsam die Zukunft gestalten können.“

Stoch war im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung nach Sant' Anna gereist, um eine Geldspende zu übergeben. Sie soll dazu beitragen, den zentralen Ort des Gedenkens zu erhalten und zu gestalten. Eine weitere Geldspende kommt aus dem deutsch-italienischen Zukunftsfonds. Mit den 56.000 Euro, die Vertreter des Auswärtigen Amtes mitbrachten, soll die Sanierung der Kapelle unterstützt werden. Diese hätte bereits am 7. März eingeweiht werden sollen; doch kurz zuvor hatte ein Orkan sie stark beschädigt.

Nochmals Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch: „Mich hat heute sehr beeindruckt, Überlebende zu treffen, die damals als kleine Kinder zum Glück diesen schrecklichen Mordanschlägen entkommen sind. Und dabei war es sehr, sehr bewegend zu hören, dass gerade diese Menschen sagen: Wir müssen aus diesen Geschehnissen die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen. Ich habe keine Wut auf die Generation heute, und auch keine Wut auf die Entscheidungsträger heute gespürt. So schrecklich und so sinnlos der Tod damals war, so wichtig ist es heute, dass diese Menschen uns Mahnung sind, dass wir gemeinsam es schaffen, diese Menschen zu ehren und ihre Erinnerung hochzuhalten.“

In das Dorf in der italienischen Provinz Lucca hatten sich 1944 viele Zivilisten geflüchtet. Angehörige einer SS-Division hatten – die genauen Umstände sind bis heute nicht geklärt – 560 Menschen erschossen, darunter mindestens 107 Kinder.

Die strafrechtliche Aufarbeitung gestaltete sich schwierig. Akten, die die Alliierten angelegt hatten, waren lange verschwunden, bis sie Mitte der 1990er Jahre in der Procura Militare Generale in Rom in einem Stahlschrank entdeckt wurden. Dieser erhielt später den Namen „Schrank der Schande“. Im Jahr 2005 verurteilte ein Militärgericht in La Spezia neun Beschuldigte in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen, die aus rechtlichen Gründen in Deutschland aber nicht vollzogen werden konnten.

„Für uns bleiben diese Menschen Verbrecher. Wir werden diese Geschichte immer weiter erzählen, auch wenn es ohne richtige Gerechtigkeit keine richtige Wahrheit gibt“, sagte Stazzemas Bürgermeister Verona.

Aus Sant'Anna di Stazzema – Michael Hermann für Radio Vatikan.

(rv 03.06.2015 mch)








All the contents on this site are copyrighted ©.