2015-05-11 14:37:00

Neue EU-Flüchtlingsstrategie: Ja, aber…


Die Europäische Union will nach langem Zögern jetzt eine Strategie zum Umgang mit dem Flüchtlings- und Migrantenproblem auf die Beine stellen. Der Text soll am Mittwoch von der Europäischen Kommission beraten werden. Ist das die Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik? Zunächst einmal sei es „positiv“, dass die EU „endlich“ einmal Verantwortung übernehme, kommentiert Christopher Hein vom Italienischen Flüchtlingsrat CIR. Offenbar sei einigen Mitgliedsstaaten jetzt klargeworden, „dass das Problem nicht nur auf den Schultern Italiens belassen werden kann“.

„Dass so viele Menschen über das Meer nach Italien kommen – überwiegend Flüchtlinge, aber auch Migranten –, hat ja ausschließlich zu tun mit der geografischen Lage Italiens gegenüber Libyen, Nordafrika, und nicht etwa damit, dass Italien wirklich das Aufnahmeland für diese Menschen wäre. Diese sehen ja, wie wir wissen, Italien häufig nur als Transitgebiet an und versuchen, von dort aus weiterzuwandern in andere Länder der Europäischen Union. Also, eine Übernahme von Verantwortlichkeit!“

„Quotenschlüssel wird nicht funktionieren“

Der Teufel steckt allerdings im Detail. Nach allem, was von dem Entwurf einer EU-Flüchtlingsstrategie bisher bekannt geworden ist, sollen Asylbewerber nach einem Quotenschlüssel über alle Mitgliedsstaaten der EU verteilt werden. Da hat Hein Bedenken. „Wenn wir eine ähnliche, bürokratische, sozusagen kalte Regelung am grünen Tisch machen, wo bestimmt wird: Okay, du gehst nach Litauen, und du in die Slowakei – dann wird das nicht funktionieren, weil die Menschen sowieso versuchen werden, am nächsten Tag weiterzuwandern in das Land, in dem sie Beziehungen haben: Verwandte, Freunde, Angehörige, eine Community.“ Solange Länder (vor allem im Baltikum), die bisher kaum Flüchtlinge hätten, keine konkreten Integrationsprogramme für solche Flüchtlinge auf die Beine stellten, könne man davon ausgehen, dass die Menschen „dort nicht bleiben“. „Man muss immer ausgehen von den legitimen Bedürfnissen und Interessen von Menschen, die auf der Flucht sind – und die natürlich an die Zukunft denken, die ein neues Leben aufbauen wollen, die ihre Familie zusammenführen wollen, die arbeiten müssen.“

Ein weiterer Punkt in einer möglichen künftigen EU-Strategie besteht – die Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates vorausgesetzt – darin, Schlepperboote an der libyschen Küste zu zerstören, bevor sie zu Wasser gelassen werden. Das hält Christopher Hein für „ausgesprochen abenteuerlich“, und zwar aus zwei Gründen: „Was passiert dann mit den Menschen? Das sind Flüchtlinge aus Eritrea und anderen Ländern vom Horn von Afrika, aus Syrien und Westafrika – die können dann also nicht mehr auf Boote steigen, weil die Boote nicht mehr da sind – wenn die Operation funktionieren würde. Und was machen sie dann? Gehen sie nach Syrien zurück oder nach Eritrea? Können sie nicht. Also bleiben sie in Libyen? Können sie auch nicht, denn in Libyen sind auch die minimalsten Grundrechte nicht garantiert!“ Libyen werde auch sicher nicht „von heute auf morgen zu einem Asylland“ werden, das sei „unvorstellbar“. „Das andere Bedenken dabei ist, dass die Libyer selbst schon gesagt haben: Wir sind ein souveräner Staat, und wir lassen jetzt nicht einfach unsere Häfen bombardieren. Das ist ja auch verständlich.“

Freizügigkeit für Flüchtlinge in der EU – das wäre „eine europäische Lösung“

Hein setzt sich für ein Modell ein, das er „europäischer Flüchtling“ nennt, das aber noch weit von einer Realisierung entfernt ist, wie er selbst einräumt. „Das heißt technisch-juristisch gesprochen die gegenseitige Anerkennung positiver Asylentscheidungen. Mit anderen Worten: Ein Flüchtling wird, sagen wir, in Italien als solcher anerkannt und kann am nächsten Tag nach Frankreich, Deutschland oder Schweden gehen – nicht nur zu Besuch, sondern kann sich dort niederlassen und eine Arbeit aufnehmen. Das ist Zukunftsmusik, aber das wäre endlich eine Lösung, eine europäische Lösung.“ Freizügigkeit für Flüchtlinge in der EU, mit allen Konsequenzen, das würde, wie Hein formuliert, „endlich auch das Dublin-System überwinden“, also den Grundsatz, dass das Land, in dem ein Flüchtling zum ersten Mal Fuß auf EU-Boden setzt, dann auch für seinen Fall zuständig ist.

„Sehr mutig“ nennt der Leiter des Italienischen Flüchtlingsrats Überlegungen im Vatikan, ob päpstliche Nuntiaturen nicht Flüchtlingen und Migranten schon in deren Herkunftsländern ein Visum nach Europa ausstellen sollten. Von solchen Überlegungen hatte am Wochenende der Präsident des Päpstlichen Flüchtlingsrates, Kardinal Vegliò, im Interview mit Radio Vatikan gesprochen. „Ich denke mir: Es hat ja in jedem Fall, unabhängig von der Praktikabilität, einen außerordentlichen symbolisch-positiven Charakter. Wir reden von der Ausstellung humanitärer Visa; als Italienischer Flüchtlingsrat reden wir seit Jahren davon, dass das Schengen-Normensystem die Möglichkeit vorsieht, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten humanitäre Visa ausstellen.“ Zwar sei der Vatikan gar kein EU-Mitglied, aber er könnte mit einer Ausstellung solcher Visa doch „ein Zeichen setzen“: „Wir machen diesen ersten Schritt, und jetzt zieht ihr anderen von der Europäischen Union einmal nach! Öffnet die Möglichkeiten, dass ein Asylbewerber auch in eine Botschaft anderer Länder gehen kann – möglicherweise mit Unterstützung internationaler Organisationen, des UNHCR, aber auch von NGOs, die in diesen Ländern vertreten sind. Dafür gibt es konkrete Vorschläge!“

(rv 11.05.2015 sk)








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