2015-04-27 10:09:00

Innenansichten aus Damaskus


Eine strategisch wichtige Stadt in Syrien wird jetzt, zumindest zu wesentlichen Teilen, von Islamisten kontrolliert: Die Nusra-Front hat Jisr al-Shagur eingenommen und steht damit nur noch sechzig Kilometer von Latakia entfernt. Latakia, direkt am Mittelmeer gelegen, ist die Hochburg des Assad-Clans. Die Truppen von Präsident Assad halten den neuesten Schätzungen nach nur noch ein Viertel Syriens. „Das ist ein zerstörtes Land“, sagt uns Ghada Karioty von der Fokolar-Bewegung, sie lebt in Damaskus. „Die Wirtschaft liegt am Boden, das Land ist geteilt, man findet kaum noch etwas in den Geschäften, und wenn doch, dann ist das bei den geschrumpften Löhnen kaum noch erschwinglich. Andererseits aber geht das Leben doch weiter, und die Syrer hängen an ihrem Land. Es gibt durchaus Solidarität und gegenseitige Hilfe, trotz der Schwierigkeiten des Alltags.“

Die Christen in Syrien könnten eigentlich angesichts all der Leiden von ihrem Glauben abfallen. Aber Frau Karioty beobachtet das Gegenteil. „Wir kennen da zum Beispiel, eine Familie, die hat ihre zwei Kinder verloren, als eine Rakete bei ihnen auf den Balkon fiel. Das war ein Drama! Aber nach einem Jahr haben sie dann den Mut gehabt, doch wieder an ein Kind zu denken, und letzte Woche haben sie einen Sohn bekommen, das war ein Wunder.“

Trotzdem, ein Happy End gibt es nicht im Damaskus von heute. „So viele, die wirklich nie auf den Gedanken gekommen sind, zu gehen, sagen uns jetzt, dass sie allmählich doch an Flucht denken, weil sie keine Lösung sehen. Sie leiden vor allem unter der Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung im Westen, so fühlt man sich völlig verlassen. Auch die Muslime. Aber viele, die jetzt gerne gehen würden, können gar nicht – sie bekommen kein Visum, sie haben auch kein Geld, um sich diesen - wie ich sie nenne - ‚Menschenfleisch-Händlern’ anzuvertrauen, die sie in ein Boot auf dem Mittelmeer setzen. Es ist ein Drama. Die Menschen wollen eigentlich nicht weg, aber ihnen ist klar: Wenn wir bleiben, riskieren wir unser Leben. Sie haben ja gesehen, was im Irak passiert ist. Sie sehen die Verfolgung dort, und dass das draußen keinen groß kümmert außer den Papst. Sie fühlen diese Ungerechtigkeit von Seiten der Großmächte.“

Frau Karioty nennt das Beispiel Yarmuk. Das ist ein palästinensisches Flüchtlingslager direkt vor den Toren von Damaskus, es wird teilweise von Islamisten kontrolliert. Das ging ein paar Tage lang durch die Weltpresse, dann war das Thema wieder vergessen – ohne dass sich an der Lage in Yarmuk viel geändert hätte. „Eine humanitäre Tragödie, schon seit ein paar Monaten. Auch der Päpstliche Nuntius hat die NGOs gebeten, doch etwas zu tun, aber die haben es nicht geschafft. So etwas macht den Menschen in Damaskus Angst. Wenn man uns international nicht hilft, dann können wir nicht nach Yarmuk, um Hilfen dorthin zu bringen.“

Viele Menschen in der syrischen Hauptstadt – sie auch – lebten jetzt nur noch „für den Moment“, „für die Minute“. „Wir wissen ja nicht, was morgen sein wird.“ Die Christen seien sich nicht sicher, ob man sie nicht schon bald aus Damaskus heraus werfen werde. „Auch die Muslime beten vor allem, sie hoffen auf Gott. Aber wenn die Menschen nichts tun, dann kommt man auch zu keiner Lösung.“

 

(rv 27.04.2015 sk)








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