2015-04-21 13:12:00

EU nach Flüchtlingsdrama unter Druck


Nach den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer mehren sich die Rufe nach einer Ausweitung der Seenotrettung und der Erleichterung legaler Einwanderung nach Europa.

Der Präsident des Päpstlichen Migrantenrates, Kardinal Antonio Maria Vegliò, sagte gegenüber Radio Vatikan: „Ich bin überzeugt davon, dass eine neue europäische Asylpolitik für Migranten gebraucht wird, die den Respekt der Menschenrechte und der internationalen Konventionen voranstellt. (…) Niemand kann sich erlauben, das Problem nur von außen zu betrachten. Die Institutionen, die Internationale Gemeinschaft, alle müssen sich entscheiden, endlich eine Lösung für diese Situation zu finden.“ Europa dürfe sich nicht darauf beschränken, nur mit mehr Grenzschutz oder Militärinterventionen auf die Migrationsströme zu antworten, als wolle man sich „vor einem Feind schützen“. Die Politik dürfe das Thema nicht instrumentalisieren, so der Vatikanvertreter weiter, der auch an die Mitverantwortung Europas für die Ursachen der Migration erinnerte: „Vergessen wir nicht, dass die Bereicherung der Länder des Nordens eine der Ursachen für Armut etwa in Afrika ist.“

Auch die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) drängt auf Reformen im europäischen Asylsystem. Die neuerliche Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer sei eine „Niederlage für alles, wofür die Europäische Union als Wertegemeinschaft stehen will“, erklärte COMECE-Präsident Reinhard Marx am Dienstag in einer Aussendung. Der Kardinal forderte die Rückkehr zur im Herbst 2014 ausgelaufenen Marineoperation „Mare Nostrum“ für den Flüchtlingsschutz, sowie die Ausweitung der Nachfolger-Mission „Triton“ über den Schutz der EU-Außengrenzen hinaus. Die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer sei „menschliche Pflicht und Erfordernis des moralischen Selbstanspruchs Europas“ und nicht etwa ein „politischer Spielball“.

„Lackmustest für europäische Werte“

Die Europäische Union hat sich derweil dazu durchgerungen, die Seenothilfe massiv auszuweiten. Die Rede ist von einer Verdopplung der Mittel für die entsprechenden EU-Programme und von deutlich mehr Schiffen zur Rettung von Flüchtlingen; Pläne dafür wurden bei einem Krisentreffen der Außen- und Innenminister in Luxemburg besprochen. Zudem sollen Schlepperschiffe künftig beschlagnahmt und zerstört werden. Am Donnerstag werden die EU-Staats- und Parteichefs auf einem Sondergipfel über die Flüchtlingskrise beraten. Die Anregung der EU-Außenminister, die Maßnahmen im Mittelmeer zum Schutz von Flüchtlingen zu verstärken und die Ausgaben der EU für die Mittelmeermission zu erhöhen, seien zwar zu begrüßen, kommentierte COMECE-Präsident Kardinal Reinhard Marx. Nun müssten diesen Worten jedoch konkrete Taten folgen. „Europa muss jetzt entschlossen an konkreten Lösungsvorschlägen arbeiten, um eine menschliche Asyl- und Migrationspolitik zu verwirklichen, die von allen Mitgliedsstaaten der EU solidarisch mitgetragen und umgesetzt wird.“ Das Handeln der Europäer werde, so Marx, „zu einem Lackmustest für die europäischen Werte“.

Anglikaner-Primas Justin Welby forderte von den europäischen Staaten eine stärkere Aufnahme von Bootsflüchtlingen. Angesichts der jüngsten Flüchtlingskatastrophe appellierte der Erzbischof von Canterbury an die Länder Europas, nicht länger untätig zu bleiben, wie die Zeitung "Daily Telegraph" am Dienstag berichtete. Die Verantwortung für den Umgang mit den Flüchtlingen dürfe nicht Italien und den unmittelbaren Nachbarstaaten zugeschoben werden. Zwar müssten die einzelnen Staaten sich des Einflusses bewusst sein, den Einwanderung auf die Gesellschaft habe. Dies sei jedoch kein Grund, untätig zu bleiben, wenn Menschen im Mittelmeer ertränken, weil die verzweifelte Lage in ihren Heimatländern sie zur Flucht zwinge. Europa müsse sich gemeinsam dieser Verantwortung stellen, so Welby, Ehrenoberhaupt der anglikanischen Weltgemeinschaft. 

Auf politischer Seite wurden nach der Flüchtlingskatastrophe ähnliche Forderungen laut. Der Präsident des EU-Parlamentes, Martin Schulz, plädierte nach dem Drama vom Wochenende dafür, legale Einwanderung nach Europa zu erleichtern. Im Interview mit der „Passauer Neuen Presse“ vom Dienstag sprach sich Schulz für eine europäische Quotenregelung für die Aufnahme von Flüchtlingen aus und forderte insbesondere diejenigen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten zu mehr Engagement auf, die noch zu wenig tun. Bisher seien es vor allem Deutschland, Frankreich und Schweden, die das Gros der Flüchtlinge aufnähmen. Den EU-Mitgliedstaaten warf der Parlamentspräsident vor, die Schaffung der Voraussetzungen für ein europäisches Einwanderungs-, Asyl- und Flüchtlingsrecht zu behindern. „Das Europäische Parlament und die EU-Kommission haben schon vor langer Zeit vernünftige und praktikable Vorschläge auf den Tisch gelegt, und wir werden das auch bald wieder tun. Wer eine gemeinsame Politik behindert, sind die Mitgliedstaaten und ihre Regierungen“, so Schulz wörtlich.

In Österreich gingen am Montagabend mehrere Tausend Menschen auf die Straße und gedachten der rund 800 Menschen, die in der Nacht auf Sonntag im Mittelmeer ertranken. Die Demonstranten forderten ein Umdenken in der europäischen Migrationspolitik und sofortige Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Flüchtlingstragödien im Mittelmeer. Man blicke auf eine „monströse Katastrophe“, die „durch Mark und Bein“ gehe, sagte Bundespräsident Heinz Fischer bei der Veranstaltung auf dem Wiener Minoritenplatz. Es sei in Österreich und in der Europäischen Union an der Zeit, die Flüchtlingspolitik zu hinterfragen. „Mit den aktuellen Regelungen darf die Flüchtlingspolitik keinesfalls fortgesetzt werden“, so Fischer. Zu der Kundgebung aufgerufen hatten Caritas, Diakonie und andere Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen.

(rv/diverse 21.04.2015 pr)








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