2015-03-14 17:40:00

Am eigenen Herzen arbeiten: G. Sporschill und die Straßenkinder


Pater Georg Sporschill, Jesuit, Anwalt der Straßenkinder, der Haftentlassenen und der Roma-Familien in Rumänien, Moldawien und Bulgarien: Er ist eine lebende Legende in seiner Heimat Österreich und in den Ländern, zwischen denen er pendelt. Einem neuen Kreis wurde der charismatische Ordensmann durch ein Buch bekannt: „Jerusalemer Nachgespräche“ zeichnet lange Unterhaltungen zwischen Sporschill und seinem Mitbruder Kardinal Carlo Maria Martini (1927-2012) nach. Wegen des offenen Tons dieser Glaubensgespräche und auch wegen der Popularität des Mailänder Kardinals wurde das Buch ein großer Erfolg. Nun war der österreichische Jesuit zu Gast in Rom, um erstmals seinen Mitbruder Papst Franziskus zu treffen. Anlass war ein Buch, das der italienische Priester und Journalist Stefano Stimamiglio über Pater Sporschill schrieb: „Chi salva una vita, salva il mondo intero“, zu Deutsch: Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt. Gudrun Sailer sprach mit Pater Georg Sporschill.

 

Radio Vatikan: Die erste Frage eines berühmt gewordenen Interviews unter Jesuiten aufgreifend: Wer ist Pater Georg Sporschill?

Pater Sporschill: „Ich habe das Glück, dass ich seit 30 Jahren oder mehr mit Straßenkindern leben darf. In Österreich und seit über 20 Jahren in Rumänien, und jetzt in Dörfern mit Roma-Familien. Das bin ich. Und dort bin ich, weil ich Jesuit bin. Der Orden hat mich dorthin geschickt vor vielen Jahren, und dafür bin ich sehr dankbar. Ein Jesuit, der mit Straßenkindern lebt, bin ich.“

Viele Leute haben etwas Angst vor Jugendlichen, besonders mit schwierigen, weil sie so unberechenbar sind. Was haben Sie darüber gelernt in all diesen Jahren?

Pater Sporschill: „Mir geht es so, ich habe Angst  vor denen, die berechenbar und normal sind, weil ich in diesen 40 Jahren selber verdorben worden bin. Man gleich sich den Schafen an, für die man der Hirte ist. Und ich spüre das, wenn ich dann einmal in eine schöne Kirche komme, in eine gute Adminstration zu braven Leuten, dann habe ich Angst. Und die Angst lege ich ab, indem ich immer überlege, was können die für meine Kinder und meine Schützlinge tun. Und dann spüre ich, dass beide Seiten wichtig sind, und ich möchte die Brücke zwischen Armen und Reichen sein, zwischen Schwarzen und Weißen. Das ist zwar immer eine Zerreißprobe, weil man zu beiden Seiten gehört und gehören muss und will, und das muss man aushalten. Und da hilft mir letztlich nur Jesus, der auch diese Spannung gesucht und ausgehalten hat. Und hoffentlich ist es ein Beitrag zum Kampf um den Frieden.“

Es ist das Besonders an Ihrer Arbeit mit den Jugendlichen, dass Sie nicht nur mit den schwierigen Jugendlichen arbeiten, sondern auch mit den braven. Tausende Mädchen und Burschen aus wohlbehüteten Verhältnissen in Österreich oder Deutschland sind da hingegangen als Freiwillige für ein Jahr, um mit straffälligen oder Straßenkindern zu sein. Wer hilft dem anderen mehr?

Pater Sporschill: „Das Schöne ist, viele junge Leute wollen helfen und wollen ein Leben retten. Und dann sage ich, dann musst du ein Jahr investieren. Konkretes braucht Zeit, wenn man einen guten Willen hat. Und wenn jemand ein Jahr mit den anderen lebt und das ist noch mehr als für sie etwas tun, mit ihnen das Leben teilt, dann sagt jeder am Ende des Jahres, ich weiß nicht, wer wem mehr geholfen hat. Aber das ist nicht so wichtig. Von meinem Leben würde ich sicher sagen, dass die Straßenkinder mir mehr geholfen haben als ich ihnen, und das ist keine Koketterie, sondern sie sind wunderbare, unermüdliche Lehrer, die daran arbeiten, dass wir vom Egoismus freiwerden, dass wir lieben lernen und letztlich dadurch glücklich werden und ein spannendes Leben haben. Und das habe ich den schwierigen Menschen, den Straßenkindern, den Obdachlosen und der Jugend zu verdanken, die hart an mir arbeiten. Und das ist nicht immer gemütlich. Oder es ist sehr ungemütlich.“

Sie arbeiten auch mit Romafamilien in Siebenbürgen. Roma gibt es auch viele in Rom, sie sind die Aussätzigen von heute. Haben Sie da ein Grundrezept? Was macht man, wenn man von einem Rom angebettelt wird?

Pater Sporschill: „Wichtig ist, dass man nach dem eigenen Herzen geht. Manchmal habe ich Freude daran, ihnen etwas zu geben, und ich bestimmte selbst, wie viel ich ihnen  gebe, und manchmal will und muss ich vorbeigehen. Und ich glaube, dieses Recht hat jeder Mensch. Aber es ist wichtig, am eigenen Herzen zu arbeiten. Zum Beispiel, ich habe seit ich in Rom bin, seit gestern, alle Bettler angesprochen und auf Rumänisch begrüßt, und die allermeisten haben die Sprache verstanden, waren Rumänen oder Roma. Und sie haben mich dann nicht mehr um Geld gefragt. Wir waren wie Brüder oder wir waren einander nahe. Was ich damit sagen will: die entscheidende Hilfe ist, wenn ich einen Menschen auf der anderen Seite kenne. Wer auch nur einen Freund hat, der Roma ist, kann mit allen Roma umgehen. Hat Freude am Kontakt, Freude an den Überraschungen, die nie abreißen. Wenn ich keinen von ihnen kenne, dann habe ich Angst. Und das Ziel wäre wirklich, wer da etwas tun will, einen von diesen Roma oder ein Kind als Freund oder Schützling zu gewinnen, und dann hast du einen Lehrer oder eine Lehrerin, die dir hilft, mit dieser fremden Welt umzugehen, und umgekehrt.“

Pater Georg, gehen wir ein bisschen zurück. Sie sind Jahrgang 1946, fünftes von neun Kindern, geboren in Feldkirch in Vorarlberg im äußersten Westen von Österreich. Dann sind Sie ins Priesterseminar eingetreten, ein Jahr nach Paris gegangen, das war 1968. Und Sie sind mitten in die Studentenrevolten geraten und haben da mitgemacht. Und danach sind Sie ausgestiegen aus dem Priesterseminar. Und was ist dann passiert?

Pater Sporschill: „Ja – dann bin ich aus dem Priesterseminar ausgestiegen. Es war mir alles zu eng. Das war die revolutionäre Gesinnung von damals, die mich auch erfasst hat. Ein Anliegen oder ein Ziel ist bei mir geblieben, den Menschen zu helfen, den Menschen nahe zu sein und vor allem der Jugend. Das hat sich immer durchgezogen. Und als ich 30 war, war die Kirche plötzlich nahe. Eigentlich hat die Jugend sie mir wieder nahe gebracht.“

Es war ja so, Sie sind dann Laientheologe geworden, hatten eine Freundin, wollten heiraten, und dann: wieder ein Querschuss. Sie sind mit 30 bei den Jesuiten eingetreten. Warum?

Pater Sporschill: „Im Rückblick auf mein Leben, und ich bin im 40. Jahr als Jesuit, muss ich sagen, die besten Entscheidungen waren immer die, die gegen mich  gefallen sind. Es stimmt, ich wollte heiraten, und es hat nicht funktioniert. Und so bin ich Jesuit geworden. Und ich hatte Pläne, auch in Österreich als Jesuit, und man hat mich nach Rumänien geschickt. Und so ist dieser schöne Plan entstanden. Und so hat mich das Leben immer wieder ausgespuckt oder ein Tor hat sich geschlossen, und dann hat sich immer ein größeres geöffnet. Und so hab ich diesen Optimismus gelernt, wenn etwas nicht funktioniert, wenn sich ein Tor schließt, dann lasse ich nicht den Kopf hängen, sondern frage ganz neugierig, auch wenn ich es noch gar nicht sehen kann, welches größere Tor geht jetzt auf. So war es beim Studium, ich habe nach der Theologie Psychologie studiert. Und als ich Jesuit wurde, war es wunderbar, dass ich schon Theologie und Psychologie hatte. Aber ich habe das nicht geplant, es war eher das Ergebnis einer Panne. Ich habe auch geplant zu heiraten, und das hat auch nicht funktioniert, war auch eine wichtige Voraussetzung, um Jesuit zu werden. Vielleicht sollte ich auch manchmal Karriere machen, ich war Beamter in der Vorarlberger Landesregierung. Und trotzdem gab es eine andere Sehnsucht. Das Herz führt einen und vor allem führen mich die Menschen, mit denen ich lebe. Ich bin sehr abhängig von den Menschen, mit denen ich lebe. Und die führen mich schon dorthin, wo ich glaube, dass ich hingehöre.“

Abhängig sind Sie auch von einem Buch, das Sie jeden Tag lesen. Die Bibel. Sie sind ein lebendes Vorbild, wenn uns Papst Franziskus empfiehlt, ein kleines Evangelienbuch immer bei uns zu führen und ständig darin zu blättern. Warum brauchen Sie die Bibel täglich?

Pater Sporschill: „Vielleicht ist das wie bei Drogen: Man gewöhnt sich daran, und dann braucht man sie. Wobei – ich habe gelernt über viele Jahre in meinem Studium, und am Anfang war es eine Pflicht. Ein Muss. Aber ich bin dann auf den Geschmack gekommen. Je mehr ich in die Not hineingeraten bin, und je mehr ich in aussichtlose Situationen mit Strafentlassenen, Mördern, allen Menschen in Kontakt gekommen bin, umso mehr die Frage, wie geht es weiter? Was kann ich den Menschen sagen? Und das einzige Buch, das ich für mich gefunden habe, das mir jedes Mal den nächsten Schritt gegeben hat, oder das mir jedes Mal den Mut gegeben hat, es kann nicht das Ende sein, es gibt jetzt noch eine Chance – das ist und war die Bibel. Und wenn ich sie täglich lese, dann weckt sie mich auch aus meiner Gemütlichkeit jeden ag auf. Sie macht mich jeden Tag unzufrieden und zwingt mich, weiterzugehen und noch mehr zu erwarten von dem Gott, der eben größer ist als wir, und der immer noch Überraschungen für uns parat hat. Und dieser überraschende, größere, barmherzigere Gott als wir es sind, den lerne ich in der Bibel kennen, und das macht den Sozialarbeiter aus.“

Vieles von dem, was Sie da gesagt haben, klingt für mich hundert Prozent nach Ihrem Mitbruder Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus. Die zwei Jahre, die er im Amt ist: Was schenkt diese Papst aus Ihrer Sicht der Kirche?

Pater Sporschill: „Also mir geht’s kalt über den Rücken, wenn Sie von Papst Franziskus sprechen. Mich berührt sein Wort und sein Lebenszeugnis so sehr, wie ich es nie vorher erlebt habe. Vielleicht bei Kardinal Martini schon. Kardinal Martini und die Freundschaft, die er mir geschenkt hat über viele Jahre, war fast wie eine Vorbereitung zu diesem Papst, den ich nicht persönlich kenne. Ich habe mit Kardinal Martini ein Büchlein gemacht – Nachtgespräche in Jerusalem, dort haben sie stattgefunden…“

…ein verrückt freies Buch, eine spontane und kreative Art, miteinander nachzudenken über das, was Kirche ist und wo es krankt…

Pater Sporschill: „… Und wenn Sie das lesen, dann hat ohne dass er es wahrscheinlich selbst gelesen hat, dieser Papst alle diese Fragen in derselben Freiheit aufgenommen und immerhin als Papst und Kardinal Martini hat sich sehr, bis in die Sterbestunde, um die Kirche gesorgt. Er hat sie geliebt, aber er hat unter ihr sehr gelitten. Und dieses Leiden löst jetzt dieser Papst ein, in einer wunderbaren Weise, indem er wie Martini auch sagt, es geht nicht um neue Rezepte, neue Antworten, sondern dass wir gemeinsam ehrlich die Not der Menschen sehen und uns von ihr berühren lassen, und mit den Menschen einen Schritt gehen. Und das ist etwas anders als ein neues Dogma, ein neues Prinzip zu entwickeln. Also wir gehen miteinander einen Weg, den nächsten Schritt, mit einer ganz starken Hoffnung, mit einem starken Vertrauen, das so stark ist, dass wir uns der Realität stellen. Und die Realität der Kirche zumindest in Europa ist zum Teil traurig. Bitter. Verschlossen. Das macht aber nichts. Weil der Glaube und Jesus, das was die Kirche als Schatz hat, die heilige Messe, die Hingabe viel stärker sind als diese unglaublichen Mauern, vor denen der Papst jetzt konkret steht und die er aufbricht. Wie es jeder Seelsorger auch tun muss und in der Seelsorge und in der Sozialarbeit fühlt man sich natürlich sehr ermutigt und begleitet von einem Papst, der die viel dickeren Mauern als die Mauern einer Pfarrkirche aufbrechen muss.“

Sehen Sie tatsächlich nach zwei Jahren schon Effekte?

Pater Sporschill: „In einem Herzen auf jeden Fall und bei vielen Menschen, vor allem bei denen, die in Not sind und auf der Suche sind, da verbreitet sich ein Optimismus, eine Erwartung, das ist der wichtigste Effekt. Hoffentlich hat er genügen Zeit, um das alles auch politisch umzusetzen in die Strukturen und da hat er ja ganz verzweifelt zu Weihnachten über die Krankheiten seines engsten Gremiums gesprochen; für mich hat das wir ein verzweifelter Ruf geklungen, und das bindet mich noch mehr an ihn und an die Kirche, und wir kämpfen und beten darum, dass Gott ihm, ja, auch Erfolg schenkt.“

Sie sagen immer, das II. Vatikanische Konzil sei in weiten Teilen noch nicht eingelöst. Würden Sie Papst Franziskus als Einlöser des Konzils, der Horizontöffnungen des Konzils sehen?

Pater Sporschill: „Eindeutig ja. Zum Beispiel mit den andern Religionen: Wer hat schon Freunde im Islam und im Judentum? Persönliche Freunde, mit denen er Bücher geschrieben hat, auf Reisen geht? Das entspricht genau der Öffnung des Konzils zu den anderen Religionen. Oder wenn es um Mission geht: wer hat diesen Blick auf die Armen, auf die Menschen und ihre Nöte? Was das Konzil wollte und gelehrt hat. Ich glaube, sein praktisches Leben belegt alles, was das Konzil gewünscht und gesucht hat, und da sind wir nie am Ende.“

(rv 15.03.2015 gs)

 

 

 

 








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