2015-03-08 10:32:00

Menschen in der Zeit: Sineb El Masrar – Verlegerin


Sineb El Masrar wurde 1981 in Hannover geboren, ihre Eltern stammen aus Marokko. Nach einer kaufmännischen und einer sozialpädagogischen Ausbildung arbeitete sie jeweils als Erzieherin an einer Grundschule für Hörgeschädigte und einer katholischen Grundschule in Düsseldorf. Als ihr Vertrag auslief, gründete sie das Frauenmagazin „Gazelle”, das sie seit 2006 herausgibt. Es ist das erste und einzige kosmopolitische Journal im deutschsprachigen Raum. El Masnar war von 2010 bis 2013 Teilnehmerin der Deutschen Islamkonferenz. Aldo Parmeggiani hat mit ihr gesprochen.

 

RV: Warun trägt Ihre Zeitschrift den Namen „Gazelle”, Frau El Masrar?

Sineb El Masrar: „Bei der Entwicklung des Magazins stellte sich mir die Frage: wie nenne ich das Kind? Am Anfang hatte ich eigentlich die Idee, dem Magazin einen fremdländischen Namen zu geben. Fatima oder Consuela oder Aischa, und da dachte ich mir aber, da das Magazin eine Frauenzeitschrift für alle Frauen, also Musliminen und Nichtmusliminnen, ist, hat dazu geführt, dass ich den Namen „Gazelle”, der in vielen anderen Sprachen ein Name ist, im Persischen, Bosnischen, im Arabischen Raum, dann ist das ein Mädchenname, das auf die Frauen auch heute sehr gut passt. Eine Frau, die sich sozusagen in der  Steppe durchsetzen muss, trotz aller Qualifikation und Stärke, und deswegen ward dann dieser Name für das Magazin gefunden.”

RV: Was bietet Ihre Zeitschrift an Besonderem an? Partnerschaft, Kultur und Mode, diese Rubriken kennt man ja zur Genüge auf dem gängigen Markt. Aber ein Magazin, das Migrantinnen in Deutschland ansprechen soll, war und ist  völlig neu. Was ist das Neue bei “Gazelle”?

Sineb El Masrar: „Als junges Mädchen ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass Magazine für Frauen, die Lebensrealität von meinesgleichen, also von Frauen, die Wurzeln in anderen Ländern haben, die andere Religionen praktizieren, in diesen Medien überhaupt nicht stattfindet – und wenn, dann überhaupt in negativen Zusammenhängen. Wenn für beispielsweise von Frauen sprechen, die aus dem osteuropäischen Raum stammen oder Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis, dann immer eigentlich mit sehr tragischen Geschichten. Und das widersprach sich A meinem eigenen Leben und vor allem dem Leben vieler Frauen in diesem Land. Und dann ist dann eben dieses Magazin entstanden. Wir versuchen vor allem die breite Lebensrealität abzubilden und eine Plattform zu bieten, wo wir Frauen unsere Probleme, unsere Gedanken, unsere Zukunftshoffnungen formulieren und darzustellen.”

RV: Also ein Schnittpunkt zwischen den Kulturen – eine Frauenzeitschrift mit Niveau – liege ich da richtig?

Sineb El Masrar: „Ja, das kann man durchaus sagen. Auch Inspiration neue Wege zu gehen.”

RV: Und wo liegen die wesentlichen Probleme heute auf dem Gebiet der Migration und Integration in Deutschland, aus Ihrer Sicht?

Sineb El Masrar: „Es geht natürlich immer um Anerkennung von Frauen, die der muslimischen Glaubensgemeinschaft angehören, wenn wir zum Beispiel von Frauen sprechen, die ein Kopftuch tragen und im öffentlichen Dienst arbeiten wollen, da sind die Möglichkeiten nach wie vor in Schulen verwehrt und da pocht man jedenfalls auf Anerkennung. Und die muslimische Kommunität hat –glaube ich – momentan ein großes Problem seine eigene Identität zu definieren und zu finden, was leider Gottes bei manchen dazu führt, sich in leicht extremistische Gruppierungen einzubinden.”

RV: Eine Flucht ist immer verbunden mit der Hoffnung, dass es im Land, in dem man ankommt, besser wird. Keine Verfolgung, Kein Hunger, Willkommen sein, Verständnis finden. Oft braucht es dazu eine helfende Hand. Wie ist Ihr Urteil über die Initiative „Offene Türen für Flüchtlinge” in der katholischen Kirche?

Sineb El Masrar: „Oh, das ist sehr wichtig! Also, wenn man sich die Einwanderung in den 60/70/80ger Jahren anschaut, wäre sicherlich bei vielen jungen Leuten, die heute erfolgreich in der Gesellschaft beruflich aber auch sozial, aber auch politisch engagiert sind, wäre ohne diese helfende Hand der katholischen Kirche nicht viel passiert.”

RV: Was können, was müssen Migranten in erster Linie von dem jeweiligen Land, in dem sie leben, lernen – und umgekehrt – was können, was müssen die Menschen, die sie beherbergen, von Migranten lernen?

Sineb El Masrar: „Ich glaube lernen kann man immer. Jeder ist auf einem anderen Bildungsstand, hat einen anderen Erfahrungsschatz, das wird sich sicherlich von Person zu Person auch unterscheiden. Aber ich denke in erster Linie ist vor allem Akzeptanz des anderen und Toleranz gegenüber dem anderen ein ganz wichtiges Element. Und was sich dann im Laufe der Zeit lernen läßt, das wird sich dann schon zeigen. Ich glaube, mit offenen Augen und mit offenem Herzen sein Gegenüber zu begegnen ist das Wichtigste. Das ist etwas, was man tatsächlich lernen kann oder lernen sollte.

RV: Wie groß und verbreitet ist in Deutschland das Vorurteil gegenüber Migranten im allgemeinen aber auch von Seiten der Elite und den Entscheidungsträgern?

Sineb El Masrar: „Ich glaube, mittlerweile hat sich einiges geändert. Das war vor 2006 beispielsweise noch ganz anders, als man Deutschland  noch nicht als Einwanderungland verstanden hat. Was auch wichtig ist, zu beachten ist, dass es auch Unterschiede gibt unter Migrantengruppen. Also Menschen, die aus dem europäischen, aus dem nordamerikanischen und dem südamerikanischen Raum stammen, sind sicherlich anerkannter und man fühlt sich mit dieser Gruppe von Menschen dann doch vertrauter als mit Menschen die aus der anderen Seite des Mittelmeeres kommen, aus dem Nahen Osten kommen. Das wird noch etwas Zeit brauchen.”

RV: Kommen wir zu einem sehr heiklen Punkt: kommen wir zur Frage der Gewalt im Islam. Stichwort IS – Islamischer Staat. Der gegenwärtige „Dschihad-Kult” trägt Züge einer Unkultur, die vor allem für ausgegrenzte junge Menschen attraktiv zu sein scheinen?

Sineb El Masrar: „Ja und nein. Was man nicht vergessen darf ist natürlich, dass Muslime ihre eigene Religion prägen und aus dem Islam das machen, was sie eben hineininterpretieren. Und es gibt ja ein Großteil der Muslime, die ja tatsächlich friedlich leben. Man kann natürlich sagen, dass in vielen arabischen oder islamischen Ländern viel Unruhe, viel Ungerechtigkeiten, auch viel Benachteiligung gegenüber der Frau stattfindet, aber die Mehrheit, eigentlich recht tolerant lebt. Dass sich in den Gruppierungen von IS, Al – Kaida oder Boku Haram überwiegend Männer tummeln, die ein sehr brutales Gewaltpotential zelebrieren, ist in erster Linie dieser Brutalsucht geschuldet und weniger, der Aufforderung im Koran, Menschen zu foltern und Menschen Unrecht anzutun.” 

RV: Ja, und die gegenwärtigen Terroristen und Kopfjäger handeln - eigentlich im krassen Widerspruch zu den Rechtstraditionen des Islam.

Sineb El Masrar: „Genau. Und was man auch nicht vergesen darf: dass es natürlich viele junge Männer gibt, die oftmals eine kriminelle Vergangenheit haben, aber durchaus auch Männer aus gut situiertem Haus kommen und sich trotzdem dieser Gruppierung anschließen, weil eben die Gewaltlust, die Mordlust stärker ist und sie dort einen Raum finden, wo sie diese Phantasien organisiert mit einer großen Idee einer Staatengründung, eines Kalifats dem noch eine höhere Aufgabe und Sinn geben.”

RV: Kann man eigentlich zu der eher verwegenen Ansicht kommen, dass diese neue Bewegung, allerdings mit einem negativen Qualitätssprung, für die europäischen 68er Jahre, die ja auch viel Unruhe und Chaos mit sich gebracht haben, irgendwie vergleichbar ist?

Sineb El Masrar: „Sie meinen mit dem Vergleich des RAF-Terrorismus? Das ist jetzt eine gute Frage. Sicherlich spielt das auch eine Rolle, Ja, weil auch die Historie dem geschuldet ist. Ich denke, es ist ein bisschen komplexer, es ist doch nochmal eine andere Intention, die dahintersteckt: Während vor allem bei der RAF eine  Abwehrhaltung im Vordergrund steht, ist in solchen Gruppierungen wie   bei Al-Kaida vor allem der Wunsch nach Größe, der Bedeutung viel stärker als vielleicht bei den radikalen Gruppen der 80er Jahre.”

RV: Stellt sich in diesem Zusammenhang nicht die dringende Frage nach einer theologischen Reform des Islam, so wie es im Christentum im Laufe der Geschichte geschehen ist?

Sineb El Masrar: „Ich  denke, was definitiv notwendig ist, ist eine stärkere Auseinandersetzung mit den Quellen. Ich hoffe vor allem, dass das in nächster Zeit auf muslimischer Seite, ob in Europa oder in der islamischen Welt, es gibt ja viele theologische Institutionen, sei es in Marokko, aber eben auch in Ägypten, Saudi-Arabien oder im Iran, dass das tatsächlich stattfindet. Aber Solange die Machtposition in diesen Staaten als gefährdet angesehen werden, mach’ ich mir ehrlich gesagt auf der anderen Seite nicht so viele Hoffnungen.”

 

(rv 08.03.2015 ap)








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