2015-03-01 11:20:00

Nordafrika: Wir können den Muslimen vertrauen


Am Montag beginnen Bischöfe aus Nordafrika mit Gesprächen im Vatikan. Bei ihrem ad-limina-Besuch werden sie auch mit Papst Franziskus sprechen. Und zwar nicht (nur) über Dschihadisten, Mord und Totschlag: „Wir leben friedlich und ruhig mit den Muslimen zusammen“, sagt uns Vincent Landel in einem Interview; er ist Erzbischof von Rabat, der Hauptstadt Marokkos, und leitet die Nordafrikanische Regionale Bischofskonferenz. „Es stimmt zwar, dass es in anderen Teilen der Welt nicht so ist, aber wir in Marokko, Algerien und Tunesien erleben eine normale Lage. Ja, wir Christen sind in der Regel Ausländer, oft sozusagen auf der Durchreise – aber unsere Kirchen sind sehr jung! Zum Beispiel in Marokko: Dort haben wir 30.000 Christen, das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren. Wir leben mitten unter den Muslimen und haben Kultfreiheit, aber unter der Bedingung, dass wir unseren Glauben nur an den Kultorten praktizieren. Und das Abwerben von Gläubigen ist ein Straftatbestand, in dieser Hinsicht ist die Ausübung der Religionsfreiheit nicht immer einfach.“

Also alles relativ idyllisch? Nur wenn man Libyen ausnimmt, das ebenfalls zum Gebiet der Nordafrikanischen Bischofskonferenz gehört. „Der Arabische Frühling hat vieles geändert. In Libyen gab es vorher 150.000 Christen, die allesamt Ausländer waren, vor allem Arbeiter im Ölförderbereich; heute sind nur noch zwei- bis dreitausend im Land, alle anderen mussten gehen. Auch die Ordensfrauen, die zur Zeit des früheren Präsidenten Gaddafi in den Krankenhäusern gearbeitet haben, haben das Land verlassen. Es bleiben in ganz Libyen nur noch vier oder fünf Priester, mit einem Bischof in Tripolis und einem anderen in Bengasi. Also, die Lage der Christen ist durch den Krieg zwischen den verschiedenen politischen Gruppen im Land stark beeinträchtigt worden.“

Natürlich besteht die Gefahr, dass der Vormarsch von Dschihadisten in Libyen auch die Nachbarländer destabilisiert, das weiß Erzbischof Landel. „Ja, nach dem, was mit den 21 getöteten Kopten in Libyen passiert ist, gibt es Ängste; aber ich glaube, man sollte nicht ständig in Angst leben, man sollte sich nicht der Panik überlassen. Meine große Sorge ist, dass versucht werden könnte, die Probleme mit Gewalt zu lösen. Vor den letzten Ereignissen in Libyen hat unsere Bischofskonferenz einen Offenen Brief geschrieben, dass man nicht auf Gewalt setzen sollte, sondern auf Dialog – und ich weiß, dass einige christliche Verbände in Europa damit nicht einverstanden waren...“

Ein anderes heißes Eisen für die Region sind die Bootsflüchtlinge: Mehr als 150.000 Afrikaner haben seit Anfang Januar von Libyen aus die Überfahrt nach Europa versucht. „Für die Kirche in Libyen ist es schwierig, etwas zu unternehmen, aber in Algerien, Tunesien und Marokko tun wir über die Caritas, was wir können, um diese Migranten zu begleiten, ihnen zuzuhören, sie zu unterstützen und ihnen Hoffnung zu geben. Dann entscheiden sie selbst, ob sie die Überfahrt antreten oder nicht. Wir in Marokko grenzen an die spanische Enklave Melilla, und wir wissen, dass täglich Hunderte von Migranten versuchen, über die Grenze zu kommen. Ich kenne viele, die das schon zehn Mal versucht haben und noch weiter versuchen werden! Sie haben alles hinter sich gelassen und haben nichts mehr zu verlieren.“

Auch wenn Europa seine Grenzen für Flüchtlinge dichtmacht: „Die kommen trotzdem durch“, sagt Erzbischof Landel. Langfristig sollte der Westen aus seiner Sicht versuchen, den Staaten Afrikas südlich der Sahara im Gesundheits- und Schulwesen auf die Beine zu helfen. „In den Ländern des Maghreb haben wir Abertausende von Studenten aus Ländern südlich der Sahara. Warum kommen die zu uns? Weil Europa sie nicht reinlässt, und weil sie in ihren eigenen Ländern nicht studieren können. Was könnte man tun, damit diese Studenten bei sich zu Hause studieren können? Dann würden sie auch leichter eine Arbeit finden und zur Entwicklung ihrer Länder beitragen.“

Bei ihrem Besuch im Vatikan haben Nordafrikas Bischöfe auch eine Botschaft an Europa: „Man kann in einem islamischen Umfeld glücklich als Christen leben, den Glauben leben, mit unseren muslimischen Brüdern zusammenarbeiten, ihnen vertrauen und auf die Zukunft unserer Länder setzen! Wir sollten wirklich nicht pessimistisch werden: Bei uns haben schließlich die Bewegungen des Arabischen Frühlings angefangen, und Tunesien hat heute eine Verfassung, die Religionsfreiheit garantiert – das war überhaupt nicht selbstverständlich. Es gibt also Grund zur Hoffnung; man kann nur nicht erwarten, dass diese Länder in ein paar Jahren das hinkriegen, wofür die anderen Demokratien Dutzende von Jahren gebraucht haben.“

(rv 01.03.2015 sk)








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