2015-02-28 10:26:00

Buchtipp: Émile Zola, Meine Reise nach Rom


Émile Zola: Meine Reise nach Rom. Ein Buchtipp von Gudrun Sailer.

Der französische Romancier Émile Zola unternimmt im Herbst 1894 eine Reise nach Rom. Es ist eine Recherche-Reise, Zola will (und wird) einen Roman schreiben, der in der Ewigen Stadt handelt. Das Tagebuch dieser sechswöchigen Mission liegt nun unter dem Titel „Meine Reise nach Rom“ erstmals in deutscher Übersetzung vor: Eine überaus lohnende Lektüre.

Rom steckt in einem monumentalen Umbruch, als der französische Schriftsteller sich dort umsieht. Es ist nicht länger die Stadt der Päpste, die seit dem Ende des Kirchenstaates 1870 isoliert auf dem Vatikanhügel sitzen und nicht wissen, wie es weitergeht: Rom ist jetzt die Hauptstadt des vereinten Italien und die Residenz des italienischen Königs, der den Papst in seiner Funktion als weltliches Oberhaupt abgelöst hat. Ganze neue Stadtviertel entstehen im ewigen Rom, das Tiberufer wird befestigt, alles Vorgestrige soll aus der Stadt weichen. Es ist gewissermaßen ein Bauen gegen den Papst.

In seinem Reisejournal erweist sich Zola als der scharfe Beobachter und der wissbegierige Zuhörer, der auch den Romancier auszeichnet. Er saugt jede Form von Information auf: Was er sieht, hört und wahrnimmt, hält er nach Verwertbarkeit gefiltert im Tagebuch fest. Da geht es um das italienische Parteiensystem, die Art und Weise junger Römerinnen, sich Männer anzulachen, die farbenfrohe Kleidung von Priesteramtskandidaten verschiedener Nationen, den Tagesablauf von Kardinälen, den möglichen Abzug des Papstes aus Rom, den Sonneneinfall am späten Nachmittag in der schnurgeraden Via Giulia, es geht um das tote Brachland rund um Rom,  die Bauspekulation und die Finanzierung der Kirche, die römischen Adelsfamilien und wer von ihnen ihre Palazzi untervermieten muss.

Das ganze klassische Rom-Besuchsprogramm ist selbstverständlich inkludiert, doch anders als Generationen von Romreisenden vor ihm interessiert sich Zola nicht in erster Linie für die Antike und die Geschichte, sondern für den Ist-Zustand der Stadt und ihren Wandel. Dabei seziert er Rom wie unter dem Mikroskop, ohne Sympathie oder romantische Empfänglichkeit, auch das unterscheidet ihn von früheren Romreisenden. Als Abkömmling der „Grande Nation“, so die alte Selbstbezeichnung Frankreichs, empfindet er die ganze Überlegenheit des Reisenden, der, aus einer modernen Großstadt wie Paris kommend, das in manchen Winkeln übelriechende Stadtgewebe Roms erforscht.

Besonders faszinieren Zola die eben entstehenden neuen Viertel wie Prati. Aus seiner Sicht haust dort in viel zu eleganten Mietshäusern das bettelnde Volk, und der Leerstand zwischen trocknender Wäsche entsetzt den aufgeklärten Beobachter. Zola notiert seine Urteile jeweils gleich dazu. „Eine unermessliche Stadt, gebaut für eine Bevölkerung, die gar nicht existiert, die erträumte moderne Kapitale, die scheitert an der wirklichen Stadt mit ihrem fehlenden Verkehrsnetz, dem tödlichen Gürtel ihres sterilen Umlands, ihrem toten Fluss. Der Hochmut hat sich erträumt, was die Wirklichkeit nicht verwirklichen kann.“

Sein Plan, vom Papst im Audienz empfangen zu werden, geht nicht auf. So nähert sich Zola der Figur des Papstes über die Erzählungen Dritter. Er hält einen Leo XIII. fest, der in einem einzigen Zimmer seines Palastes lebt, aus jungen „Flammenaugen“ blickt, Tabak schnupft und eine nicht ganz saubere weiße Soutane trägt. Ganz dem 19. Jahrhundert verpflichtet ist dagegen die Wahrnehmung des Papstes als Stellvertreter Gottes. Zu den Eindrücken einer Gruppe von Pilgern, die der Papst in der Benediktionsaula empfängt, schreibt Zola: „... der Pontifex, der einzige und höchste, der sich in einem sichtbaren Menschen verkörpernde Himmel, allmächtig und allwissend. Was das bedeutet für die armen, schmerzensreichen Seelen, die nach Gewissheit dürsten. Die Autorität, das Heil, der sichtbare Gott. Seit den Aposteln so viel Geschichte.“

 „Meine Reise nach Rom“ ist ein sehr schön gemachtes kleines Buch, angereichert mit etlichen Stadt-Fotografien des späten 19. Jahrhunderts und einem kenntnisreichen Nachwort von Hanns-Josef Ortheil. Eine Preziose für Romfreunde mit Interesse für die historische Höhen und Tiefen der Papststadt.

Émile Zola: Meine Reise nach Rom. Handbibliothek Dieterich. 24 Euro.

(rv 27.03.2015 gs)

 








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