2015-02-25 14:29:00

Cappella Giulia: eine kleine große Geschichte der Kirchenmusik


Denkt man an Musik im Vatikan, denkt man an die Cappella Sixtina, jenen im 15. Jahrhundert von Papst Sixtus IV. gegründeten Chor, der in der gleichnamigen Kapelle unter einem Fresko von Michelangelo beheimatet ist und über Jahrhunderte Pilger aus aller Welt in ihren Bann zog. Dabei war und ist die Sixtina nur die Privatkapelle des Papstes, die dann und nur dann im Petersdom sang und singt, wenn der Papst dort zelebriert. Hauschor im Petersdom ist hingegen seit über einem halben Jahrtausend die Cappella Giulia, benannt nach ihrem Gründer Papst Julius II. Und sie muss sich - was große Namen in ihrer Vita angeht – hinter ihrer berühmteren älteren Schwester keineswegs verstecken. Im Gegenteil: die Liste ihrer bis heute insgesamt 44 Leiter liest sich wie ein Lexikon der katholischen Kirchenmusikgeschichte. Von Giovanni Pierluigi da Palestrina über Vigilio Mazzocchi, Orazio Benevoli bis Domenico Scarlatti oder Niccolò Jommelli. Und Renaissancegenie Michelangelo spielte auch bei ihrer Gründung eine Rolle – das heißt: er hätte sie spielen sollen. Ein Beitrag von Sabine Radermacher.

Am 5. Dezember wurde in Rom im Rahmen des alljährlichen Herbstfestivals „Roma Festival Barocco“ die erste umfassende Studie zur Geschichte der Cappella Giulia vorgestellt, dem Chor des Petersdoms, der 2013 seinen 500. Geburtstag feierte. „Musik und Musiker in der Basilika des Heiligen Petrus – Fünf Jahrhunderte Geschichte der Cappella Giulia“, so der Titel. Autor ist der inzwischen emeritierte italienische Musikgeschichtsprofessor Giancarlo Rostirolla.

40 Jahre lang hat Prof. Rostirolla in den riesigen und perfekt erhaltenen Verwaltungs- und Musikarchiven des Vatikans die über 500jährige Geschichte der Cappella Giulia erforscht und rekonstruiert. Ermöglicht wurde der Beginn dieser Studien vor vier Jahrzehnten durch ein Stipendium der Musikabteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

Jetzt ist das Ergebnis beim vatikaneigenen Verlag des Domkapitels Edizioni Capitolo Vaticano erschienen. Zwei Prachtbände in kardinalsrotem (heute würde man eher sagen: Ferrari-Rot) Einband, fast 1500 Seiten dick, randvoll mit Informationen, Geschichten und Musik - und sehr unterhaltsam gut zu lesen. Dazu kommen zehn Anhang-Bände mit Originaldokumenten. Diese werden allerdings nicht auf Papier, sondern ausschließlich und sukzessive im Internet veröffentlicht:

www.edizionicapitolovaticano.it, www.cappellagiulia.org und http://musicali.dhi-roma.it/analectamusicologica-online.html.

 

Giancarlo Rostirolla:

„Im Jahr 1505 hatte Papst Julius II. beschlossen, einen neuen Petersdom bauen zu lassen, weil die alte konstantinische Basilika sich damals in einem völlig desolaten Zustand befand. Und im selben Jahr begann er auch die zukünftige Cappella Giulia mit finanziellen Mitteln auszustatten, acht Jahre bevor sie überhaupt gegründet wurde. Er übertrug ihr Ländereien, Betriebe und Immobilien, die er seinem Widersacher, Kardinal Francesco Borgia weggenommen hatte, und aus deren Erträgen die Kapelle in der Zukunft finanziert werden sollte. Gleichzeitig vereinbarte er mit Michelangelo den Bau eines großen Mausoleums für sich selbst innerhalb des neuen Petersdoms, wie das eben Fürsten und Päpste damals so machten. Und nur für dieses Mausoleum war die Cappella Giulia bestimmt. Hier sollte sie singen, im Gedenken ihn selbst.“

„Stirbt ein Papst, macht man immer einen neuen“ – lautet ein altes italienisches Sprichwort. Nur zwei Tage nach der Gründung der Cappella Giulia verstarb Papst Julius II. Seine Nachfolger zeigten wenig Interesse, sein monumentales Totengedenken zu sichern. Der neue Petersdom wurde zwar gebaut, aber das von Michelangelo nie vollendete Grabmal mit der berühmten Moses-Statue steht heute in einer anderen Kirche, San Pietro in Vincoli. Und die Cappella Giulia singt seither im Petersdom für alle Menschen und zu Gottes Lob:

„Während die Cappella Sistina über Jahrhunderte traditionell dasselbe Repertoire aufgeführt hat und zwar ausschließlich a cappella, herrschte im Petersdom, in der Cappella Giulia, eine viel offenere Atmosphäre. Die Sänger mussten sich sehr strengen Aufnahmeprüfungen unterziehen, was ihre Qualität garantierte, aber auch die Kapellmeisterposten wurde extern ausgeschrieben. Und mit ihnen kamen auch die jeweils modernen Stilelemente von außen in den Petersdom, wie etwa die Mehrchörigkeit oder auch der konzertierende Stil bis hin zur Oper.“

Ihre Blütezeit erlebte die Cappella Giulia ab dem späten 16. Jahrhundert unter Großmeister Giovanni Pierluigi da Palestrina. Zu Weltruhm brachte sie es aber vor allem im 17. und frühen 18. Jahrhundert, als der so genannte römische Kolossalstil den riesigen Kirchenraum des Petersdoms gezielt in den Dienst der Musik stellte.

“Damals dauerten die Vespern im Petersdom an wichtigen Feiertagen aufgrund der vielen Musik so lang, dass sie „concertoni“ genannt wurden. Um 8-, 12- oder 16-chörige Kompositionen aufzuführen, lud die Cappella Giulia weitere Chöre, Organisten und auch Instumentalisten zur Verstärkung ein. Die wurden auf mehreren Podien im gesamten Kirchenschiff positioniert und sogar in der Kuppel. Und all das ist auch deshalb sehr Interessant, weil uns die Honorarlisten wirklich das gesamte Musikleben Roms wiedergeben, denn jeder der irgendwie professionell Musik machte wurde zu solchen Gelegenheiten von der Cappella Giulia im Petersdom dazu engagiert.“

So ist die Geschichte der Cappella Giulia eine Geschichte der katholischen Kirchenmusik – und auch ihres Niedergangs. Rostirolla:

„Im 19. Jahrhundert leiten mit Valentino Fioravanti und Francesco Basilj Komponisten die Cappella Giulia, die damals auch auf der Opernbühne sehr bekannt waren, und in den Versammlungs-Protokollen des Kapitels und in den päpstlichen Verlautbarungen der Zeit häuft sich die Kritik, dass dieser opernhafte Stil im Petersdom nicht länger tragbar sei. Vielmehr ging die Tendenz hin zu einem liturgischen Stil, der dem Wort größere Bedeutung gab. Und dieser Stil bestimmt die Arbeit der Kapellmeister am Petersdom von 1850 an bis heute: Homophone Kompositionen, die sehr einfach gestrickt sind, mit hoher Textverständlichkeit, bestens für die Liturgie geeignet aber von geringer kompositorischer Qualität.“

Aber auch finanziell gerät die Cappella Giulia immer mehr ins Straucheln. 1979 wird sie schließlich aufgelöst. Mach 466 Jahren steht der Petersdom wieder ohne festen Chor da. Fast 30 Jahre behilft man sich mehr schlecht als recht mit Projektchören. 2008 wird die Cappella Giulia schließlich reaktiviert und steht seitdem unter der Leitung des kanadischen Paters Pierre Paul.

„Ich wollte erst einmal einen guten liturgischen Dienst in der Basilika sicher stellen. Wir müssen erst wieder eine gewisse Stabilität erlangen. Unser Grundrepertoire für das Mess-Ordinarium ist der Gregorianische Choral, und an Feiertagen machen wir dann auch mal Messen von Palestrina. Wir haben in unseren Archiven phantastische Messen von Giovanni Annimuccia gefunden, die wir nach und nach transkribieren und ins Repertoire nehmen. Und für große Feste habe ich jetzt auch ein kleines Barockorchester.“

Domenico Scarlatti, heute fast ausschließlich als Komponist für Tasteninstrumente berühmt, wirkte fast 10 Jahre lang als Kapellmeister am Petersdom. Trotzdem ist von ihm kaum Kirchenmusik überliefert, während etwa sein Nachfolger, Giuseppe Pitoni, im gleichen Zeitraum fas 700 Kompositionen für den Petersdom geschaffen hatte. Der Musikhistoriker Giancarlo Rostirolla konnte das Geheimnis jetzt lüften. Und es stinkt - sprichwörtlich.

„Ich habe im Archiv der Cappella Giulia einen Inventar gefunden, in dem mindestens 100 Kompositionen von Domenico Scarlatti aufgelistet sind, Messen, Psalmen, Motetten usw. Die hat er also komponiert, und die wurden offenbar 1774 von einem ehemaligen Sänger namens Trinca, der zum Archivar ernannt worden war, zusammen mit vielen anderen Musikalien entwendet und verkauft: auf dem Markt des Campo dei Fiori als Einpackpapier an die Fisch- und Käsehändler.“

(rv 25.02.2015 sr)








All the contents on this site are copyrighted ©.