2015-02-22 12:26:00

Was hat der Islam mit Terror zu tun?


„Im Namen keiner anderen Religion wurden in den vergangenen Jahren derart barbarischen Taten begangen.“ – „Dieses Massaker hat mit dem Islam zu tun“ – „Es geschieht nicht im Namen der Muslime“: Das waren vor wenigen Wochen die Schlagzeilen, nachdem zwei Attentäter die Redaktion des französischen Satiremagazins stürmten und die Redakteure, Mitarbeiter und einen Polizisten ermordeten. Pegida Demonstrationen gehen gegen die Islamisierung des Abendlandes auf die Straße. Umfragen ergeben, dass diese Demonstranten anders als erwartet durchaus gebildete Bürger sind.

Doch wissen wir überhaupt, worüber wir reden, wenn wir uns eine Meinung bilden wollen über den Terror und den Islam? Deswegen wollen wir uns heute Abend mit der Frage beschäftigen: Was hat der Islam überhaupt mit dem Terror zu tun?

Farouk – Ein junger Muslim in Deutschland

In Deutschland leben etwa vier Millionen Muslimen, die meisten von ihnen sind Sunniten. Einer von ihnen ist Faruk Bayraktar, er lebt in Frankfurt und geht in die unterschiedlichsten Gemeinden in seiner Umgebung, weil er keinen Unterschied zwischen Moscheenamen oder Gemeinden macht. Hauptsache eine Moschee, in der Allah und sein Prophet bezeugt wird. Farouk lebt seinen Glauben in Deutschland frei aus und praktiziert ihn Glauben aktiv, es ist seine Priorität eins. Die fünf Gebetszeiten am Tag strukturieren seinen Alltag, um sie herum koordiniert er seinen Beruf als Industriekaufmann und seine Freunde. Sein Freundeskreis ist gemischt, hier hat der Glaube auch nicht die erste Priorität – das Miteinander ist wichtiger. Von einigen weiß Farouk nicht einmal, ob sie überhaupt religiös sind und wenn ja, welchem Glauben sie angehören. Aber seit dem Charlie Hebdo Attentat hat sich etwas verändert. Das Thema Islam – Farouks Glaube – ist mehr in den Mittelpunkt gerutscht.

Die Fragen haben sich seit den Morden von Paris vermehrt. Farouk nimmt vieles auf die leichte Schulter, das wissen seine Freunde. Deswegen fragen sie ihn direkt und manchmal auch sehr provokativ. „An eine Frage erinnere ich mich noch ganz genau. Ein Tag nach dem Charlie Hebdo Attentat hieß es: Hast du dir gedacht, super gemacht oder denkst du dir, was sind das für Vollidioten? Mit solchen Fragen werde ich oft konfrontiert. Dazu nehme ich dann auch gleich Stellung bzw. mein Umfeld weiß auch, wie ich darauf reagiere bzw. das ich mich von solchen Attentaten oder von jeglicher Art von Gewalt massiv distanziere.“

Gewalt im Islam

Islamisten folgen einer Ideologie, die einen Islamischen Staat fordern. Um diesen zu erreichen ist ihnen jeder Weg recht. Doch wie legitimieren sie ihre Gewalttaten, wenn Muslime wie Farouk sich diesen Zusammenhang nicht erklären können. Wir haben mit Jesuitenpater Felix Körner gesprochen. Als renommierter Islamwissenschaftler ist er unter anderem Berater des Heiligen Stuhles in Fragen des christlich-islamischen Dialogs. „Man kann mit den islamischen Grundquellen, also vor allem mit dem Koran und mit dem Hadis, also mit den Überlieferungen der Verhaltensweise und der Aussprüche Mohammeds und seiner Gefährten schon auch Begründungen finden, warum man Gewalt im Namen Gottes anzuwenden hat. Also man kann das durchaus begründen, aber Islam führt nicht automatisch zu Islamismus oder gar Gewalt.“

Gewalt im Namen Gottes. Schnell assoziiert man damit den Begriff ‚Dschihad’, den viele Terroristen verwenden. Das was man heutzutage auch als Heiligen Krieg bezeichnet. Dass dies keine muslimische Formulierung ist, sondern vielmehr eine griechische und vielleicht auch hebräische, wissen die Wenigsten, erklärt Pater Körner. In der islamischen Tradition habe man aber von Anfang an das Selbstverständnis, dass man im Namen Gottes auch im Notfall Gewalt einsetzt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, im Islam gibt es „also das Wort Heiliger Krieg nicht, die Dynamik und die Begründung im Namen Gottes auch militärisch vorzugehen, ist sehr wohl vorhanden,“ erklärt Körner.

Moderne Muslime lesen diese Texte heute keineswegs als Aufruf zur Gewalt. Sie interpretieren ihn mehr als einen Kampf mit sich selbst. Das deckt sich sogar mit einer Mohammed-Überlieferung, der zwischen dem Kleinen und dem Großen Dschihad unterscheidet. Der Große, der zugleich für Mohammed der wichtigere ist, ist der Kampf gegen das eigene Ego und für ein gläubiges Leben.

Im Gegensatz dazu stehen die Salafisten, die sich auf einen ägyptischen Denker des 19. Jahrhundert berufen. Dieser wollte den Islam damals modernisieren, indem man sich auf die sogenannten rechtschaffenen Altvorderen also den Vorfahren beruft. Danach müssen man alles weglassen, was zur islamische Welt ab dem 7. Jahrhundert an sogenannten Verunreinigung hinzugekommen ist. Diese Rückkehrbewegung entwickelte sich dann weiter, erklärt Felix Körner. „Zuerst also eine Rückkehrbewegung zu einer Ursprungsform des Islam, aber die eignet sich schon in der zweiten Generation auch eine militante Motivik an und dann kommt schon bei diesen ersten sogenannten Muslimbrüdern, die sich genau auf diesen ägyptischen Denker beziehen, ein militantes Durchsetzen der neu erkannten alten Ziele vor.“

Durch diese primitive Ideologie zeichnet sich die Welt in schwarz und weiß. Ein einfaches Modell gibt vor, was zu tun ist. Und der frühe Islam zeigt eben, dass die ersten Muslime durchaus Krieg geführt haben, so erklärt Körner die Denkmuster von Salafisten.

Zusammenhang zwischen Terror und Islam? Ja oder nein?

Krieg führen wollten auch die Attentäter von Paris, als sie am 7. Januar die Satirezeitschrift Charlie Hebdo angriffen, weil sie Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatten. Alles im Namen des Islams – so die Attentäter. Für den jungen Muslim aus Frankfurt, Farouk, eine schmerzhafte Erfahrung. „Also im Gegenteil zu anderen, die anderen Religionen angehören, hat mich das mehr verletzt, denn es ist meine Religion, die dort in den Vordergrund gestellt wird und die instrumentalisiert wird und es ist der Islam, der hier ausgenutzt wird. Deshalb hat es mich im Gegensatz zu anderen Menschen vielleicht auch viel mehr verletzt.“

Für Farouk ist klar, der Terror hat nichts mit seinem Islam zu tun. Doch kurz nach den Attentaten entbrannte erneut eine Welle von Kritik, islamische Verbänden sollen zum Terror Stellung nehmen und sich distanzieren. Zudem fragten sich viele, ob es nicht einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Terror und dem Islam gebe.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, begrüßt kritische Anfragen, solange sich hinter diesen keine Ablehnung verbirgt. Er fordert, dass man die Terrordebatte ohne religiöse Zuschreibung führen sollte. „Terror hat nichts mit dem Islam zu tun und es gibt auch keinen Zusammenhang. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Menschen, die den Terrorismus vollziehen und die sich mutmaßlich auf den Islam berufen. Aber dann heißt es nicht, dass der Islam damit herzuhalten hat. Wenn wir das tun, würden wir ja auf den Leim der Fundamentalisten und Extremisten gehen, das würde ja noch Wasser auf deren Mühlen der Extremisten bedeuten.“

Aber nicht für jeden Muslim ist das so einfach. Mouhanad Khorchide ist Islamwissenschaftler an der Universität Münster und bei Muslimen bekannt für seine manchmal für sie unangenehmen Ansichten. So stellt er sich auch klar gegen die Meinung, dass der Islam nicht mit dem Terror zu tun habe. „Wenn sie sagen, dass alles was im Namen des Islam an Gewalt geschieht nichts mit dem Islam zu tun, dann verdrängen wir das Problem. Dann tun wir so, als würde uns das alles nichts angehen. Diejenigen berufen sich auf den Koran, berufen sich auf Stellen im Koran, auf Positionen innerhalb der islamischen Theologie. Somit hat das sehr wohl was mit dem Islam zu tun.“

Die Islamische Theologie müsse diese kritischen Stellen im Koran, die Gewalt ansprechen, kritisch reflektieren und in ihren historischen Kontext verorten. Der Meinung ist auch Mazyek, man müssen die sogenannte Deutungshoheit über den Koran wiedererlangen. Für den Islamwissenschaftler Khorchide ist die momentane Lage aber auch eine Chance. Sie rüttle eine Art humanistischen Islam wach, wie er sich ausdrückt. Dieser begreift nun, dass ohne eine historische Kontextualisierung der Koran für das 21. Jahrhundert stumm bleibt. „Man wird im Koran unterschiedliche Positionen sehen, einmal geht es um Frieden, einmal um Gewalt, Krieg. Das sind unterschiedliche Kontexte damals im 7. Jh. die hier kommentiert werden. Wenn man darauf Rücksicht nimmt, dass da ein Dialog zwischen Gott und Mensch im Koran widergespiegelt wird, dann weiß man, dass ohne historische Kontextualisierung des Textes diesen nur missverstehen kann,“ erklärt Khorchide.

Doch nicht nur westlich islamische Theologen durchleben eine Art Aufklärung, auch in den islamischen Ländern beginnt ein Wandel, weiß Khorchide. Der Großmufti von Saudi-Arabien erklärte den Islamischen Staat zum Feind Nummer eins des Islam, obwohl beide aus derselben islamischen Strömung kommen. „Da sieht man, dass sogar in einem so konservativen Land wie Saudi Arabien schon begonnen wurde, diese Positionen kritisch zu hinterfragen, dann bin ich sehr optimistisch, dass vielleicht dieses Unheil für uns alle vom sogenannten Islamischen Staat doch einiges wach rüttelt - gerade dieses kritische Denken, hinterfragen, nicht einfach so hinnehmen. Das geschieht jetzt gerade auch in den islamischen Ländern,“ sagt Khorchide.

Was in den deutschsprachigen Zentren der Islamischen Theologie bereits Gang und Gebe ist, breitet sich nun auch in den islamischen Ländern aus. Das stimmt nicht nur den islamischen Theologen Khorchide zuversichtlich, sondern auch den Jesuitenpater Felix Körner. In den aktuellen Debatten der vatikanischen Kommission für die interreligiösen Beziehungen, denen er beratend zur Seite stand, sieht er einen immer aktiver werdenden innerislamischen Dialog.

Die Radikalisierung von jungen Muslimen in Deutschland

Es braucht aber nicht nur einen theologischen Dialog. Statistiken ergeben, dass bereits mehr als 400 junge Erwachsene aus Deutschland meist über die Türkei nach Syrien oder Irak ausgereist sind. Dort wollen sie für den Islamischen Staat kämpfen. Warum der Salafismus und der Kampf für ihn so attraktiv ist für westlich sozialisierte Jugendliche, hat nicht nur theologischen Gründe, betont der Islamwissenschaftler Khorchide. „Der Diskurs um die jungen Menschen ist leider zu verkürzt. Man sucht lediglich in der Theologie und im Koran und fragt, wie geht man damit um. Allerdings kommt das viel später. Die Jugendlichen entscheiden sich schon für Gewalt und dann suchen sie in der Theologie nach Legitimation.“

Studien zeigen, dass diese Jugendliche meist am Rande der Gesellschaft stehen und zu den sogenannten „sozialen Verlierern“ der Gesellschaft zählen. Auf dem Arbeitsmarkt und in der Bildung sind sie nicht weiter gekommen. Sie fühlen sich ohnmächtig. Der Salafismus gibt ihnen wieder das Gefühl, jemand zu sein. Hinzu kommt die Botschaft, die die deutsche Gesellschaft jungen Muslimen immer wieder vermittelt, erklärt Khorchide das Geflecht von Ursachen. „Es gibt immer wieder zwischen den Zeilen „Wir Deutschen“ – „Ihr Muslime“. Das verletzt die jungen Menschen in ihrer Identität. Für die ist Deutschland ihre Heimat, die sind hier geboren und aufgewachsen. Die kennen keine andere Heimat. Und dann vermittelt man ihnen aber, ihr seid die Anderen,” beklagt Khorchide.

Angela Merkel sagte kurz nach den Attentaten von Paris: „Der Islam gehört zu Deutschland“. Sie ist nicht die erste, Ex Bundespräsident Christian Wulff sagte diesen Satz ebenfalls vor zweieinhalb Jahren. Dass dieser Satz selbst im Jahr 2015 immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt die Kritik, die Merkel einstecken musste und die darauf folgende Debatte. Jungen Muslime fühlen sich von dieser persönlich betroffen, wie Khorchide weiß: „über Monate hat man debatiert, gehört er dazu, gehört er nicht dazu. Diese Debatte kommt bei den Jugendlichen nicht als eine intellektuelle historische Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört, an, sondern kommt so an, die diskutieren monatelang, ob ich dazu gehöre, aber ich bin hier geboren und aufgewachsen.“

Pluralität als Wert wäre zwar wunderbar auf dem Papier, so Khorchide, aber noch lange nicht in das Bewusstsein der Gesellschaft eingedrungen. Dieses kann nur durch das Bildungssystem geschehen und bewältigt werden. Angefangen vom Kindergarten, wo man junge Menschen daran gewöhnt, bunter Bilder in der Gesellschaft wahrzunehmen, weiß Khorchide.

Die Realität von Farouk – dem jungen Muslim in Deutschland

Auch wenn es im Islam die unterschiedlichsten Richtungen, mit noch mal unterschiedlichen Rechtsschulen, die Mehrheit der Muslime will die Chance der Aufklärung nutzen und ist wie Farouk der Meinung: „Jegliche Art von Terror und Gewalt hat im Islam keinen Platz. Und wenn wir uns begrüßen, sagen wir‚ as-salāmu ´alaikum – das heißt so viel, der Friede sei mit dir. Bei so einer Religion, wo über Frieden gesprochen wird, da hat Gewalt kein Platz,“ ist sich Farouk sicher.

Er will in ein paar Jahren sich zum Imam ausbilden lassen, wie sein Vater. Damit er Verantwortung übernehmen kann gegenüber seinen muslimischen Glaubensbrüdern und –schwestern, denn die Gewalt rührt von falschen Interpretationen. Aber Verantwortung auch gegenüber Andersgläubigen, damit der Islam ein selbstverständlicher Teil von Deutschland werden kann.

Doch dafür benötige es Kritik, wie Mazyek es fordert; eine deskriptive Lesart des Koran sowie ein Bildungssystem, das Pluralität fordert, wie Khorchide es fordert und einen offenen innerislamischen Dialog, wie Körner es fordert. Es ist noch viel zu tun, auf Seiten des Islam und der deutschen Gesellschaft.

(rv 21.02.2015 pdy)

 








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