2015-01-31 09:44:00

Unser Buchtipp: Jennifer Clement - Gebete für die Vermissten


Eine kleine Nachricht nur, an diesem Donnerstag in der FAZ: „Die mexikanische Regierung will den Fall der 43 mutmaßlich ermordeten Studenten aus der Provinz Guerrero hinter sich lassen. Der Generalstaatsanwalt erklärte den Fall für aufgeklärt... Präsident Enrique Pena Nieto forderte das Land auf, nach vorn zu blicken. Mexiko dürfe nicht ‚in diesem tragischen Moment gefangen bleiben’. Die Täter würden bestraft.“ Ende des Zitats. Fast hört man das Geräusch, wie hier eine neue Seite aufgeschlagen wird. Hauptsache, der Skandal um die Ende September ermordeten Studenten gerät in Vergessenheit, möglichst schnell. Und möglichst gründlich.

In der Provinz Guerrero spielt Jennifer Clements Roman „Gebete für die Vermissten“. Ein tief bewegendes Buch. Wir werden in eine Welt kaputter Familien, zynischer Drogenbanden und eines einfach abwesenden Staates hineinkatapultiert, wie wir sie aus den Fernsehnachrichten schon kennen – nur dass hier eine Geschichte so lebendig, voller Witz, Freundschaft und Aufmerksamkeit für Details erzählt wird, dass das alles mit einem Schlag lebendig wird. Nicht dass diese Welt so kaputt ist, rührt den Leser so sehr an, sondern wie ein Mädchen hier trotzdem lebensfroh aufwachsen kann und sich mitten in diesen Gefährdungen ihre Unbekümmertheit und ihren Mut bewahrt. Unglaublich, wie das erzählt ist. Unglaublich, wie leichtfüßig ein Roman daherkommen kann, in dem zehn Jahre Recherche und viel eigenes Erleben stecken!

Clement spielt auf vielen Klaviaturen; sogar eine Liebesgeschichte versteckt sich in dem schlanken Band. Einer der schönsten Momente ist, als die Ich-Erzählerin mit ihrem Freund Julio eine Fahrt im Glasbodenboot an der ‚Playa Caleta’ unternimmt. „Julio wollte mir die Bronzestatue der Jungfrau von Guadalupe zeigen, die dort unten auf dem Meeresgrund lag... Gleich wirst du die Jungfrau des Meeres sehen, sagte er. Die Schutzheilige der Schiffbrüchigen und der Fischer. Und der Ertrunkenen. – Das Boot lag flach im Wasser wie ein breites Kanu. Julio und ich beugten uns vor und blickten durch den Glasboden... Nach einer Weile sahen wir ihre Umrisse unter den Wellen. Die Unterwasserwelt sah durch das getönte Glas grün aus. Die Jungfrau war flaschengrün und trug eine Krone auf dem Kopf. Um sie herum schwammen Fische...“ Da ist er, dieser frische Blick auf die Dinge, der diesen Roman so einzigartig macht. Oft wird Dramatisches nur angetippt, durch ein Detail etwa, das den ganzen dahinterliegenden Schrecken erahnen lässt. Aber die „Gebete für die Vermissten“ haben nichts Deprimierendes. Und das bei einem so schwierigen Thema!

Meisterhaft. Dieser Roman wird bleiben, auch wenn die mexikanische Regierung erfolgreich sein sollte mit ihrem Bemühen, Gras über die Angelegenheit der 43 getöteten Studenten wachsen zu lassen.

 

Jennifer Clement, Gebete für die Vermissten. Suhrkamp Verlag, ca. 20 Euro.

 

(rv 31.01.2015 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.