2015-01-30 10:13:00

D: Und der Priester war auch ein Missbrauchter


Der Deutsche Bundestag debattiert an diesem Freitag erstmals über die Einsetzung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission bei Missbrauchsfällen. Diese soll ab dem kommenden Jahr Ausmaß und Folgen des Kindesmissbrauchs in Deutschland untersuchen, ähnlich wie das die Leary-Kommission in Irland getan hat. Der Antrag der Regierungsfraktionen – CDU/CSU und SPD – folgt einem Vorschlag des unabhängigen Missbrauchsbeauftragten, Johannes-Wilhelm Rörig.

Vor fünf Jahren waren, zunächst in katholischen Einrichtungen, Missbrauchsfälle bekanntgeworden; das Thema begleitet die deutschen Bistümer bis heute. Beispiel Erzbistum Köln: Dort will der neue Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, eine Kommission einsetzen, die die Missbrauchsfälle im kirchlichen Raum untersuchen soll. Darauf gedrängt hat Professor Werner Becker, Vertreter von fünf Missbrauchsopfern des ehemaligen erzbischöflichen Collegium Josephinum in Bad Münstereifel.

„Zunächst einmal hat bisher immer eine Verneinung dieser ganzen Dinge stattgefunden, besonders vom Vorgänger des jetzigen Kardinals. Ich finde es eine ganz große Geste, dass der neue Kardinal diese Dinge zu einer Chefsache gemacht hat und sich entschuldigt. Das ist für uns, die wir betroffen sind, von dieser ganzen Sache eine große, große Geste.“

Becker berichtet im Kölner Domradio, er sei, ebenso wie andere Schüler, vom damaligen Leiter des Konvikts, einem Priester, „übergriffig behandelt worden“; der Mann habe „teilweise sogar mit der Hand versucht, die Geschlechtsteile (der Schüler) zu ergreifen“. Mit den Eltern habe er darüber damals nicht sprechen können.

„Das war ein absolutes No-Go. Sie müssen sich die Zeit vergegenwärtigen. Damals war es so, dass ein Priester prinzipiell die höchste Instanz für Ethik und Moral war und somit natürlich außerhalb jedweder Kritik stand. Wäre ich da an meine Eltern herangetreten, um sie zu bitten, in dieser Sache tätig zu werden, Abhilfe zu schaffen - das wäre ein Geschehen gewesen, absolut undenkbar. Ich wäre mit Sicherheit körperlicher Züchtigung unterzogen worden, weil ein Priester prinzipiell so etwas ja nicht tut.“

Jahrzehntelang hat Becker die verstörenden Erlebnisse für sich behalten, ist – wie er selbst formuliert – zu einem wahren „Verdrängungskünstler“ geworden.

„Das war mit Sicherheit eine Überlebensstrategie insofern, als dass jedwede Nähe oder Näherungsversuch von außen, von fremden Personen immer mit sehr großer Distanz wahrgenommen worden ist und man prinzipiell versuchte- zumindest galt das für mich -, sich aus diesen Dingen herauszulösen und nicht Nähe zu bekommen, weil man nicht wusste, wie man reagieren würde. Das hat sich bei mir dann im Grunde genommen das Leben lang durchgezogen, so dass ich nie in der Lage war, diese nahen Kontakte zuzulassen, und damit natürlich eine gewisse Form der Unnahbarkeit hatte.“

Jahrzehnte lang klappte das einigermaßen mit dem Verdrängen – doch dann waren eines Tages die bedrückenden Bilder und Gefühle von damals wieder da.

„Da ich nicht an Zufälle glaube, muss das in irgendeiner Form Fügung gewesen sein. Ich hatte einen Unfall, lag im Krankenhaus, habe in diesem Krankenhaus nach einem Geistlichen verlangt. Es war keine lebensgefährliche Situation für mich, aber ich wollte einfach ein Gespräch haben. Dieser Priester, der sich dann zu mir ans Krankenbett begab, war, wie es sich in einem längeren Gespräch herausstellte, ebenfalls ein Missbrauchter an dem gleichen Konvikt.“

2010 wendet sich Becker zum ersten Mal ans Erzbistum Köln - und jetzt wird die Kommission eingesetzt, übrigens nicht zuletzt auf Betreiben des bisherigen Generalvikars Stefan Heße, des neuen Erzbischofs von Hamburg.

„Ich erhoffe mir davon, dass noch weitere in der Tiefe schlummernde Verletzungen dadurch ausheilen können, gelöst werden können und dass vor allen Dingen für die Zukunft etwas erarbeitet werden kann, damit solche Dinge nie mehr passieren oder zumindest schnell aufgedeckt werden können, wenn sie denn passieren.“

(domradio/rv 30.01.2015 sk)








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