2015-01-16 09:47:00

Peripherie Manilas: Ein Besuch in Pasay City


„Die Armen sind das Zentrum des Evangeliums; die Armen sind im Herzen des Evangeliums. Wenn wir die Armen aus dem Evangelium herausnehmen, können wir nicht mehr die ganze Botschaft von Jesus Christus verstehen.“ Das sagte Papst Franziskus an diesem Freitag, von seinem Redetext abweichend, in der Kathedrale von Manila. Unmittelbar danach besuchte er überraschend ein gleich gegenüber liegendes Heim für Straßenkinder und blieb 20 Minuten bei den mehr als 200 Jungen und Mädchen. Überall in Manila gibt es Armut, himmelschreiende Armut. Ein Besuch im Elendsviertel ‚Pasay City‘ am Rand der Hauptstadt.

 

Mit Trommeln heißen uns die Menschen willkommen in ihrem Mülldorf. Sie haben gehört, dass wir vom Vatikan kommen und für den Papst arbeiten, das ist für sie Grund genug zum großen Bahnhof. „Die Menschen hier sind sehr aufgeregt, dass der Papst kommt, weil er immer sehr klar und deutlich seine Liebe zu den Armen gezeigt hat“, erklärt uns der Pfarrer, zu dessen Pfarrei das Mülldorf gehört. „Der Papst sagt immer wieder, dass wir den Armen helfen und sie verteidigen sollen, damit sie ein von Gott erfülltes, menschenwürdiges Leben haben. Darum ihre Aufregung: Sie sehen den Papst auf ihrer Seite. So dass er sie von ihrer Armut befreit.“

Von einer Armut, die uns Besuchern als allererstes in die Nase steigt: mit dem durchdringenden Geruch nach Exkrementen. Überall laufen schmutzige Kinder herum, Hütten sind aus Pappe, Holzresten, Wellblech zusammengestückelt, Hühner hocken in erbärmlichen Käfigen. Strom- oder Wasserversorgung? Fehlanzeige. Der Papst kann diese Menschen doch nicht von ihrer Armut befreien, Herr Pfarrer… „Das stimmt zwar. Aber er inspiriert jeden von uns dazu, nicht aufzugeben. Er befeuert unsere Hoffnung. Er gibt die Inspiration dazu, dass jeder die Dinge zum Besseren wenden kann. So können wir dann die Gesellschaft verändern, wir können unser Leben verändern, so dass wir die alles umwandelnde Kraft Gottes erfahren. Nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch auf der Ebene der Gesellschaft.“

Zwischen einem Drittel und einem Viertel der Bevölkerung: So hoch ist die Quote der Filipinos, die in extremer Armut leben. Das Mülldorf von ‚Pasay City‘ liegt neben einer Schnellstraße, rund um eine stinkende Brache, in der Abfälle treiben. Über die Schnellstraße soll, irgendwann in diesen Tagen, Franziskus in seinem Papamobil rollen. Und die Menschen aus dem Elendsviertel wollen ihn sehen. „Selbstverständlich! Viele wollen den Papst sehen, und ich habe gehört, dass einige von unseren jungen Leuten auf die Dächer klettern wollen, wie in der Bibel! Der Papst fährt durch diese Straße da hinten.“

Mitten im Gewirr des Elendsviertels: eine Straßenmesse, zelebriert in einem improvisierten Verschlag, Hunderte nehmen andächtig teil. Pater Dexter ist ein Rogationistenpater: rotes T-Shirt, Brille. Seit zwölf Jahren lebt er in einer Hütte mitten in der Misere von ‚Pasay City‘, hilft den Menschen, sich bessere Behausungen zu bauen, organisiert dafür sogar Subventionen von der Regierung. Vor allem aber geht es ihm darum, mit den Armen zu leben. „Ich glaube, das Entscheidende ist wirklich starker Glaube – ohne ihn wäre dieses Leben zu hart. Und dieser Glaube sollte gepaart sein mit leidenschaftlicher Liebe und Hoffnung, denn in dieser Leidenschaft drückt sich der Glaube aus! Wenn man die Bedürftigen liebt, braucht man eine lebendige Hoffnung, weil sonst die Probleme einen einfach erdrücken.“

Pater Dexter hat von Kardinal Tagle von Manila die Erlaubnis bekommen, das Allerheiligste in seiner Hütte aufzubewahren. Der Tabernakel steht in dem winzigen Zimmer, in dem Dexter und zwei weitere Patres, die die gleiche Armutsentscheidung getroffen haben, auf engstem Raum wohnen. Selbstgebaute Schlafstätten, darauf die Bücher für die Doktorarbeit, an der Pater Dexter nebenher schreibt, in der Ecke das Allerheiligste, darüber ein Kreuz, daneben eine kleine Madonnenstatue. Hier zelebrieren die Patres die Messe. ‚Wenn ich das Allerheiligste hochhebe und sage, das ist mein Leib – das ist ein unglaublicher Moment‘, sagt Pater Dexter. ‚Ich sehe die Hostie in meiner Hand und unten, durch das Fenster, das Gewimmel der Armen. Das ist sein Leib.‘

„Ich bin richtig überwältigt von der Präsenz der Menschen draußen, denn ihr Leben hält meine Spiritualität mit beiden Beinen auf dem Boden. Für mich ist Spiritualität nichts, was über uns in der Luft hängt: Sie ist Gemeinschaft mit Gott – und gleichzeitig Gemeinschaft mit anderen, vor allem mit den Armen.“

Die Entscheidung dieser Patres zur radikalen Armut lässt auf den statusbetonten Philippinen viele aufhorchen. Sogar Präsident Aquino war schon mal hier, um sich das anzusehen. Doch den Familien der Patres hat das zunächst gar nicht gefallen, wie einer der drei zugibt. „Die haben das am Anfang nicht gern gesehen; als sie uns das erste Mal hier besuchten, war ihnen sehr unbehaglich. Sie wollten, dass wir zu ihnen zurückkämen, aber wir haben ihnen erklärt, dass das hier jetzt unser Leben ist. Als Priester müssen wir bei den Leuten sein, es ist der einzige Weg. Bei den Armen sein und mit ihnen in Armut auf Gott zugehen.“

Es ist fast peinlich für einen Europäer, als Besucher durch diese nackte Armut von ‚Pasay City‘ geführt zu werden. Familien im Dreck, elende Hütten, auf einmal unvermittelt eine Protzkirche, die eine Sekte hier errichtet hat. An vielen Stellen steigt Rauch auf, die Leute kochen sich was über offenem Feuer. Und fast peinlich ist auch, dass alle rufen „Hello, Sir“, „What`s Your Name?“, peinlich – diese Freundlichkeit, dieses herzliche Willkommen. ‚Die Armen lehren uns etwas‘, sagt Papst Franziskus immer wieder mal – was lehren sie uns denn?, frage ich Pater Dexter. Der muss einen Moment nachdenken, dann sagt er:

„Das Erste ist: leer werden. Leer werden von Stolz. Leer werden von uns selbst. Das erlaubt Gott, in unser Leben hineinzukommen. Und darum lehren uns die Armen, wie wir Gott in uns, in unser Leben hineinlassen. Und zweitens zeigen uns die Armen, wie man großzügig sein kann. Wenn wir ihnen etwas geben, zeigen sie uns, wie wir Gott etwas geben können. Sie lehren uns also die Liebe zu Gott. Und die Einfachheit ihres Lebens lässt uns auch verstehen, wo unsere Prioritäten liegen oder liegen sollten. Am wichtigsten aber ist die Liebe zu Gott. Diese Menschen haben nichts, sie hängen also nur von Gott ab. Das lehrt uns, dass wir in unserem Leben, was auch immer wir tun, von Gott abhängen.“

 

(rv 16.01.2014 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.