2015-01-16 10:30:00

Papstansprache: Gefährdung der Familien angeprangert


Ansprache von Papst Franziskus bei der Begegnung mit den Familien, Manila, Mall of Asia Arena, 16. Januar 2015, im Wortlaut.

 

Liebe Familien,

liebe Freunde in Christus,

 

ich bin dankbar für eure Anwesenheit hier heute Abend und für das Zeugnis eurer Liebe zu Jesus und seiner Kirche. Ich danke Bischof Reyes, dem Vorsitzenden der bischöflichen Kommission für Familie und Leben, für seinen Willkommensgruß in eurem Namen. Und in besonderer Weise danke ich denen, die ihre Zeugnisse vorgetragen und ihr Glaubensleben mit uns geteilt haben. Die Kirche auf den Philippinen ist gesegnet mit dem Apostolat vieler Bewegungen, die sich der Familie widmen. Ich danke ihnen für ihr Engagement.

Die Heilige Schrift spricht selten vom heiligen Josef, doch wenn sie es tut, finden wir ihn oft ruhend, während ein Engel ihm im Traum Gottes Willen offenbart. In dem Evangelienabschnitt, den wir eben gehört haben, treffen wir Josef nicht einmal, sondern gleich zweimal ruhend an. Heute Abend möchte ich mit euch allen im Herrn ruhen, ich meine, im Herrn zu ruhen mit den Familien; und ich selbst erinnere mich an meine Familie, meinen Vater, meine Mutter, meinen Großvater, meines Großvaters Mutter. Heute bleibe ich bei Ihnen und möchte gerne mit Ihnen nachdenken über das Geschenk der Familie.

Mit gefällt es sehr, in und von einer Familie zu träumen! Jede Mama und jeder Papa hat vom eigenen Kind geträumt in den neun Monaten, nicht wahr? Träumen, wie der Sohn oder die Tochter sein wird. Es gibt keine Familie ohne Träume. Wenn eine Familie die Fähigkeit zu träumen verliert, dann wachsen die Kinder nicht, die Liebe wächst nicht, das Leben wird schwach und schal. Deshalb rate ich euch, dass ihr bei der abendlichen Gewissenserforschung euch auch folgende Frage stellt: Habe ich heute von der Zukunft meiner Kinder geträumt? Habe ich heute von der Liebe meines Mannes, meiner Frau geträumt? Habe ich heute von meinen Eltern geträumt, von meinen Großeltern, die auch zur Geschichte gehören? Es ist so wichtig zu träumen! Vor allen Dingen in einer Familie zu träumen. Verliert nicht die Fähigkeit zu träumen… Wie viele Schwierigkeiten im Eheleben lösen sich auch, wenn wir einen Raum des Traumes auftun. Wenn wir uns entspannen, an den Mann, die Frau denken und von seiner oder ihrer Güte träumen, von den guten Seiten, die er oder sie hat. Deshalb ist es sehr wichtig, die Liebe mittels der Illusion im Alltag wiederzugewinnen. Hört nie auf, Verlobte zu sein!

Josefs Ruhe offenbart ihm Gottes Willen. In diesem Moment der Ruhe im Herrn, da wir innehalten und all unsere vielen täglichen Pflichten und Aktivitäten unterbrechen, spricht Gott auch zu uns. Er spricht zu uns in der Lesung, die wir eben gehört haben, in unserem Gebet und Zeugnis und in der Ruhe unseres Herzens. Lasst uns darüber nachdenken, was der Herr uns sagt, besonders in dem Evangelium von heute Abend. Es gibt drei Aspekte in diesem Abschnitt, die zu bedenken ich euch bitte: ruhen im Herrn; mit Jesus und Maria aufstehen; eine prophetische Stimme sein.

Ruhen im Herrn. Die Ruhe ist so notwendig für die Gesundheit unseres Geistes und unseres Leibes und oft so schwer zu erlangen wegen der vielen Anforderungen, die an uns gestellt werden. Aber Ruhe ist auch wesentlich für unsere spirituelle Gesundheit, damit wir Gottes Stimme hören und verstehen können, was er von uns verlangt. Josef war von Gott erwählt, Jesu Pflegevater und Marias Gemahl zu sein. Als Christen seid auch ihr berufen, wie Josef ein Heim für Jesus zu bereiten. Ihr bereitet ihm ein Heim in euren Herzen, euren Familien, euren Pfarreien und euren Gemeinschaften.

Um Gottes Ruf, Jesus ein Heim zu bereiten, zu hören und anzunehmen, müsst ihr fähig sein, im Herrn zu ruhen. Ihr müsst jeden Tag Zeit für das Gebet schaffen. Gebet ist in Gott ruhen. Nun könnt ihr einwenden: Heiliger Vater, ich möchte beten, aber es ist so viel Arbeit zu erledigen! Ich muss mich um meine Kinder kümmern; ich habe Pflichten im Hause; ich bin sogar zu müde, um gut zu schlafen. Das mag wahr sein, aber wenn wir nicht beten, werden wir das Wichtigste von allem nicht erkennen: Gottes Willen für uns. Und bei all unserem Tun, unserer Betriebsamkeit: mit unserem Gebet werden wir alles vollbringen.

In Ruhe zu beten ist besonders wichtig für Familien. Vergesst es nicht, wenn die Familie zusammen betet, bleibt sie zusammen. Das ist wichtig. Die Familie ist der erste Ort, wo wir beten lernen. Dort lernen wir Gott kennen, zu gläubigen Menschen heranzuwachsen, uns selbst als Glieder einer größeren Familie, der Kirche, zu sehen. In der Familie lernen wir zu lieben, zu vergeben, großherzig und offen zu sein, nicht verschlossen und selbstsüchtig. Wir lernen, über unsere eigenen Bedürfnisse hinauszugehen, anderen zu begegnen und unser Leben mit ihnen zu teilen. Das ist der Grund, warum es so wichtig ist, als Familie zu beten! Das ist der Grund, warum die Familien so wichtig sind in Gottes Plan für die Kirche! In der Ruhe des Herrn bleiben heißt zu beten, gemeinsam in der Familie.

Ich möchte Ihnen auch etwas Persönliches sagen. Ich verehre sehr den Heiligen Josef, weil er ein starker und stiller Mann ist, und auf meinem Schreibtisch habe ich ein Bild des schlafenden Heiligen Josef: schlafend schützt er die Kirche! Und wenn ich ein Problem habe, eine Schwierigkeit, schreibe ich ihm einen Zettel und stecke ihn unter das Bild des Heiligen Josef, damit er davon träume! Das heißt, damit er für dieses Problem betet.

Zweitens: mit Jesus und Maria aufstehen. Diese kostbaren Momente des Ausruhens, der Ruhe beim Herrn im Gebet, sind Momente, die wir vielleicht gerne verlängern würden. Doch wie der heilige Josef müssen wir, wenn wir die Stimme Gottes vernommen haben, uns vom Schlummer erheben; wir müssen aufstehen und handeln (vgl. Röm 13,11); in der Familie müssen wir aufstehen und handeln. Der Glaube entfernt uns nicht von der Welt, sondern er zieht uns tiefer in sie hinein. Das ist sehr wichtig. Wir müssen tief in die Welt hineingehen, aber mit der Kraft des Gebets. Jeder von uns hat nämlich eine spezielle Rolle bei der Vorbereitung der Ankunft von Gottes Reich in unserer Welt.

Genauso wie das Geschenk der Heiligen Familie dem heiligen Josef anvertraut war, ist das Geschenk der Familie und ihr Platz in Gottes Plan uns anvertraut. Der Engel des Herrn offenbarte Josef die Gefahren, die Jesus und Maria bedrohten und sie zwangen, nach Ägypten zu fliehen und sich danach in Nazareth niederzulassen. So fordert Gott in unserer Zeit auch uns auf, die Gefahren zu erkennen, die unsere eigenen Familien bedrohen, und sie vor Schaden zu bewahren.

Es gibt ideologische Kolonialisierungen, die versuchen die Familie zu zerstören. Sie entstehen nicht aus dem Träumen, nicht aus dem Gebet, aus der Begegnung mit Gott, der Sendung, die Gott uns aufgibt. Sie kommen von außen, deshalb nenne ich sie Kolonialisierungen. Verlieren wir nicht die Freiheit der Sendung, die Gott uns gibt, die Sendung der Familie! Und so wie unsere Völker in einem Moment ihrer geschichte zu der Reife gelangten, „Nein“ zu irgendeiner politischen Kolonialisierung zu sagen, so müssen wir als Familie sehr, sehr weise sein, sehr stark, um „Nein“ zu jedem Versuch der ideologischen Kolonialisierung der Familie zu sagen. Und den Heiligen Josef um seine Fürsprache bitten, den Freund des Engels, damit wir wissen, wann wir „Ja“ und wann wir „Nein“ sagen sollen.

Heute liegt vielfältiger Druck auf dem Familienleben. Hier auf den Philippinen leiden noch unzählige Familien unter den Folgen der Naturkatastrophen. Die wirtschaftliche Situation hat dazu geführt, dass Familien aufgrund von Migration und Arbeitsplatzsuche getrennt sind, und viele Haushalte sind durch finanzielle Probleme belastet. Während allzu viele Menschen in schrecklicher Armut leben, sind andere gefangen in Materialismus und in Lebensstilen, die das Familienleben zerstören und gegen die grundlegendsten Ansprüche christlicher Moral verstoßen. Das sind die ideologischen Kolonialisierungen. Die Familie ist außerdem bedroht durch zunehmende Bemühungen einiger, die Institution der Ehe selbst neu zu definieren, durch Relativismus, durch die Kultur der Kurzlebigkeit und durch mangelnde Offenheit für das Leben.

Ich denke an den seligen Paul VI. in einem Moment, als die Herausforderung des Bevölkerungswachstums aufkam und er den Mut hatte, die Öffnung zum Leben zu verteidigen. Er kannte die Schwierigkeiten, die es in jeder Familie gab, deshalb war er in seiner Enzyklika so barmherzig mit den Sonderfällen. Aber er sah darüber hinaus, er sah auf die Völker der Erde und sah diese Bedrohung der Familie durch den Entzug von Kindern. Paul VI. war mutig, er war ein guter Hirte und warnte seine Schafe vor den Wölfen. Möge er uns heute Nachmittag vom Himmel aus segnen.

Unsere Welt braucht gute und starke Familien, um diese Gefahren zu überwinden! Die Philippinen brauchen heilige und liebende Familien, um die Schönheit und die Wahrheit der Familie in Gottes Plan zu schützen und um anderen Familien Unterstützung und Vorbild zu sein. Jede Gefährdung der Familie ist eine Gefährdung der Gesellschaft selbst. Die Zukunft der Menschheit geht – wie der heilige Johannes Paul II. oft betonte – über die Familie (vgl. Familiaris Consortio, 86). Schützt also eure Familien! Seht in ihnen den größten Schatz eures Landes, und nährt sie stets durch das Gebet und die Gnade der Sakramente! Die Familien werden immer ihre Prüfungen haben, aber fügt ihnen nie weitere hinzu! Seid statt dessen lebendige Beispiele von Liebe, Vergebung und Fürsorge. Seid Heiligtümer der Achtung vor dem Leben, indem ihr die Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens von der Zeugung bis zum natürlichen Tod verkündet. Welch ein Geschenk wäre es für die Gesellschaft, wenn jede christliche Familie ihre edle Berufung ganz und gar leben würde! Steht also auf mit Jesus und Maria, brecht auf und macht euch auf den Weg, den der Herr jedem von euch vorzeichnet.

Und schließlich erinnert uns das Evangelium, das wir gehört haben, an unsere christliche Pflicht, prophetische Stimmen inmitten unserer Gemeinschaften zu sein. Josef hörte auf den Engel des Herrn und kam dem Ruf Gottes, für Jesus und Maria zu sorgen, nach. Auf diese Weise spielte er seine Rolle in Gottes Plan und wurde zum Segen nicht nur für die Heilige Familie, sondern für die gesamte Menschheit. Gemeinsam mit Maria diente Joseph dem Jesusknaben als Vorbild, als dieser heranwuchs, seine Weisheit zunahm und er bei Gott und den Menschen Gefallen fand (vgl. Lk 2,52). Wenn Familien Kinder zur Welt bringen, sie im Glauben und in gesunden Werten erziehen und sie lehren, ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, werden sie zum Segen in unserer Welt. Gottes Liebe wird gegenwärtig und wirksam durch die Art, wie wir lieben, und durch die guten Werke, die wir vollbringen. Wir breiten Christi Königreich in dieser Welt aus. Und indem wir das tun, erweisen wir uns als treu gegenüber der prophetischen Sendung, die wir in der Taufe erhalten haben.

Während dieses Jahres, das eure Bischöfe als das Jahr der Armen ausersehen haben, möchte ich euch als Familien bitten, unserer Berufung, missionarische Jünger Jesu zu sein, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Das bedeutet bereit zu sein, aus euren Häusern herauszugehen und für unsere Brüder und Schwestern zu sorgen, die am meisten in Not sind. Ich bitte euch speziell, euch derer anzunehmen, die keine eigene Familie haben, besonders der älteren Menschen und der elternlosen Kinder. Lasst nie zu, dass sie sich isoliert, allein und verlassen fühlen, sondern helft ihnen zu erkennen, dass Gott sie nicht vergessen hat.

Heute war ich im Herzen sehr bewegt nach der Messe, als ich das Heim für Waisenkinder besuchte. Wie viele Menschen arbeiten in der Kirche, damit dieses Heim eine Familie sei! das bedeutet, prophetisch das voranzubringen, was eine Familie bedeutet. Ihr mögt vielleicht selber materiell arm sein, aber ihr habt ihnen einen Überfluss an Geschenken zu bieten, wenn ihr ihnen Christus und die Gemeinschaft seiner Kirche anbietet. Versteckt euren Glauben nicht, versteckt Jesus nicht, sondern tragt ihn in die Welt und gebt das Zeugnis eures Familienlebens!

Liebe Freunde in Christus, ihr sollt wissen, dass ich immer für euch bete! Ich bete heute für die Familie, ich bete dass der Herr weiter eure Liebe zu ihm vertiefe und dass diese Liebe in eurer Liebe zueinander und zur Kirche offenbar werde. Vergesst nicht den schlafenden Joseph. Vergesst nicht den Schutz von Joseph. Betet oft und tragt die Früchte eures Gebetes in die Welt, damit alle Jesus Christus und seine barmherzige Liebe kennen lernen. Bitte schlaft auch für mich, und betet für mich, denn ich habe eure Gebete wirklich nötig und werde immer von ihnen abhängen! Danke sehr. 

(rv 16.01.2015 gs)








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