2014-12-29 08:00:00

Jahr der Orden: Ohne sie funktioniert Obdachlosenhilfe nicht


 

Für Rom sagen Meteorologen in den kommenden Tagen Temperaturen von bis zu minus fünf Grad in der Nacht voraus. Die Stadt Rom hat angesichts eines Kälteeinbruchs an die katholischen Pfarrgemeinden appelliert, Übernachtungsplätze für Obdachlose bereitzustellen. Nach Angaben der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio leben in der italienischen Hauptstadt derzeit 7.800 Personen ohne festen Wohnsitz; von ihnen übernachten 2.000 in Gelegenheitsunterkünften und 2.500 auf der Strasse.

Unter den vielen Obdachlosen in Rom hat Fabienne Kinzelmann einen deutschen Obdachlosen namens Hans (Name geändert) besucht und ihn eine Tag lang auf den Straßen von Rom begleitet:

„Warum wollte ich nicht mehr in einer festen Wohnung leben? Das ist eigentlich schwer zu sagen, ich kann das gar nicht so richtig beantworten. Wahrscheinlich ist da ein großer Anteil Abenteuerlust dabei. Also ab in die Fremde, und in der Fremde dann mal nicht unbedingt das große Glück suchen, weil das gibt’s nicht, sondern die Fremde einfach mal erforschen, erkunden. Und ich muss sagen, ich hab in Rom so viel gefunden, das hat nichts mit dem Antiken zu tun, sondern die letzten 50, 60 Jahre. Da, wo die Leute einfach achtlos vorbeigehen, das find ich noch interessant.“

Zuletzt hat Hans alte Markierungen früherer Touristenrouten auf den Gehwegen gefunden. Oder backsteingepflasterte Straßen und aus Bruchstein gemauerte Häuser hinter wunderschönen Fassaden. Hans hat viel Zeit, von Rom mehr zu entdecken als die üblichen Touristen-Highlights – mit dem Kolosseum, dem Forum Romanum und den wichtigsten Kirchen war er schon nach wenigen Wochen durch. Seit mehr als fünf Jahren wohnt Hans auf den Straßen Roms. Anfangs lebte er noch von seinen Ersparnissen als Handwerker in Süddeutschland. Immer wieder reiste er zurück nach Deutschland und arbeitete ein paar Monate, bevor er in die italienische Hauptstadt zurückkehrte. Dann entschloss der 58-jährige sich, ganz zu bleiben. Seither passt sein Besitz in einen Wanderrucksack, nachts schläft er eng an einer Hauswand, bei Regen schützt ihn eine Plane, aus der er sich in Windeseile eine Art Zelt baut.

„Ich steh morgens auf, so zwischen 5.00 und 6.00 Uhr, und dann koch ich mir Kaffee, zum Glück hab ich ja noch meinen Gaskocher; wenn der irgendwann mal kaputt ist, dann schaut die Sache anders aus. Ja, dann koch ich Kaffee, und dann überleg ich mir eigentlich, was ich mit dem Tag anstelle, wo ich schon zum Beispiel lange nicht mehr war. Weil zu Fuß bist du ja immer ein, zwei Stunden unterwegs, und du musst ja zurück. Zum Mittagessen sollte man auch noch, wenn man eins will.“

 

Immer unterwegs, um zu überleben

Wer mit Hans durch Rom läuft, kann überall Anlaufstellen für Menschen ohne Obdach finden. Ab 7.30 Uhr bildet sich eine lange Schlange am Haus einer Ordensgemeinschaft nahe der Papstbasilika Santa Maria Maggiore. Vielen, die hier ihren morgendlichen Kaffee aus Plastikbechern schlürfen und ein Brötchen mit Marmelade dazu essen, sieht man das Leben ohne festen Wohnsitz kaum an. Dank Kleiderspenden fallen sie zwischen Touristen und Einwohnern höchstens durch die auffälligen Taschen, in denen sie Hab und Gut transportieren, oder allzu bunte Stilmixe auf. Wie Pilger machen sie sich morgens auf den Weg und klappern die Versorgungsstellen ab.

„Ja, Essen: Essen bekommt man zum Beispiel bei der Caritas, Sant Eustacchio bietet, glaub ich, dreimal in der Woche Essen an, man kann also im Notfall in jedes Kloster - und wenn die selbst kein Essen anbieten, dann wissen sie, welches Kloster das Essen anbietet. Da kannst du zu Mittag essen, also unter der Woche ist das Essen -  Frühstück, Mittag, Abendessen – kein Problem. Einziger Tag in der Woche ist der Sonntag, da muss man dann schon ein bisschen hinterher sein, dass man außer Caritas woanders dann noch Essen bekommt.

Ich würde sogar sagen, das ist weniger als die Grundsicherung, weil du hast mehr oder weniger jeden Tag doch Stress. Du musst zu einer bestimmten Zeit dort sein, du gehst zu Fuß, es regnet. Also es sind immer irgendwelche Kleinigkeiten, die dann zu einem großen Problem werden. Der Rucksack zum Beispiel ist zu schwer, die Tasche, der Riemen von der Tasche ist gerissen, du hast ein Problem mit der Tasche. Es ist nicht so einfach.“

 

Die Zahl der Bedürftigen wächst

Zunehmend von Armut betroffen sind aber nicht nur Menschen ohne Obdach, sondern auch Römer. Die Zahl der Bedürftigen in Rom ist nach einem Bericht der FAZ 2013 um fast dreißig Prozent gestiegen, die Zahl der Bedürftigen von etwa 14.000 auf 18.000 gewachsen. Italiens Arbeitslosenquote liegt aktuell bei mehr als 13 Prozent. Besonders hart trifft es auch hier die jungen Leute unter 35 Jahren, von denen 42 Prozent ohne Arbeitsstelle sind. Da ist es kein Wunder, dass sich an den täglichen Essensausgaben wie beispielsweise in der Basilika Sant Eustachio in Roms Altstadt auch Römer einreihen.

„In Rom muss niemand verhungern. Wenn jemand sagt, er hat Hunger, dann ist das immer schwer nachzuvollziehen, denn es gibt wirklich Frühstück, Mittag- und Abendessen. Man muss nur hingehen. Wenn natürlich einer nicht hingeht, muss er sich nicht wundern. Allerdings gibt es auch Plätze oder zum Beispiel das Rote Kreuz, die fahren täglich die Strecken ab und wissen ganz genau wo dann einer im Eck liegt und nicht zum Essen geht, und die bringen dann jedem was zu essen. Also mit der Kälte zum Beispiel – letzte Woche hatten wir so um die vier Grad – kommen nachts oder abends Leute und fragen, ob man eine Decke braucht und so weiter. Also mit Frieren und Erfrieren dürfte eigentlich auch kein Problem sein, darf auch nicht mehr vorkommen.“

In seinem Brief zum Jahr der Orden betonte Papst Franziskus auch, wie wichtig die Obdachlosenhilfe der kirchlichen Organisationen und Klöster ist: „Der Wert der Kirche ist grundsätzlich, das Evangelium zu leben und Zeugnis für unseren Glauben zu geben. Die Kirche ist Salz der Erde, ist Licht der Welt, sie ist berufen, in der Gesellschaft den Sauerteig des Gottesreiches zu vergegenwärtigen, und das tut sie vor allem mit ihrem Zeugnis, dem Zeugnis der Bruderliebe, der Solidarität, des Teilens. (…) Ich erwarte von euch konkrete Taten der Aufnahme von Flüchtlingen, der Nähe zu den Armen und der Kreativität in der Katechese, in der Verkündigung des Evangeliums, in der Einführung in das Gebetsleben.“ Die Stadt Rom bemüht sich, Menschen ohne Obdach entgegenzukommen – da man zum Beantragen von Sozialhilfe beispielsweise eine Adresse benötigt, hat die Stadt vor einigen Jahren eigens die virtuelle Straße Via Modesta Valenti geschaffen. Doch der größte Teil der Obdachlosenhilfe in Rom wird zweifelsohne von kirchlichen Organisationen und Klöstern gestemmt.

„Also ohne Kirche, ohne Orden würde hier gar nichts funktionieren. So sag ich das einfach mal knüppelhart. Weil ich glaube, die Strukturen sind schon so gewachsen, und da müsste man hundert Jahre zurückgehen. Wenn die Strukturen vor hundert Jahren ganz anders wären, dann könnte die Kommune das vielleicht schaffen. Alleine, ohne Kirche. Aber selbst in Deutschland schaffen es die Städte ja nicht ohne die Kirche.“

 

Mehr als Essen

Hans kann sich gut vorstellen, in ein paar Jahren wieder nach Deutschland zurückzukehren, von seiner Rente vielleicht eine kleine Wohnung zu mieten und ein „spießbürgerliches Leben“ zu führen, wie er sagt. Doch bis dahin bieten ihm die sozialen Einrichtungen nicht nur die lebensnotwendige Grundversorgung, sondern ermöglichen auch soziale Kontakte.

„Man kennt zum Beispiel Pfarrer, mit denen man sprechen kann. Oder Nonnen zum Beispiel im Kloster, wenn man zum Essen geht. Und das ist eigentlich schon viel, wenn einer bloß mal fragt „Hi, wie geht’s dir heute?“ Das bedeutet schon mal viel, wenn man so jemanden hat.“

Sein Mittagessen bekommt Hans in der Regel in einem Kloster, zu dem er etwas weiter fahren muss. Zu den großen Versorgungsstellen geht er nur noch selten – ein kleiner Luxus, den er sich leistet. Pünktlich um halb zwölf klingelt er bei der Schwesterngemeinschaft und wartet geduldig, bis er ein Päckchen gereicht bekommt. War er anfangs nur wegen des guten Essens da, hat sich mittlerweile eine kleine Wechselbeziehung entwickelt. Seit er mitbekam, dass manche der Schwestern gerne die kostenlose U-Bahn-Zeitung „Leggo“ lesen, bringt er regelmäßig ein Exemplar mit. Und auch auf andere Weise versucht er, etwas zurückzugeben.

„Es ist so, dass die in ihrem Kloster eine ziemlich lange Hofeinfahrt haben, und da wächst natürlich das Unkraut, und als guter Deutscher stört einen das Unkraut. Und das macht man dann natürlich raus, in der Zeit, in der man aufs Essen wartet. Jetzt im Winter nicht, aber im Frühjahr geht’s dann wieder los. Und die freuen sich, ich hab was zu tun, und so, denk ich mal, gleicht sich das wieder aus.“

 

(rv 29.12.2014 kin)

 








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