2014-12-19 10:58:00

„Matsche in Rohbauten“: Flüchtlinge im Nordirak


Jesus kam im Stall zur Welt – 2.000 Jahre später hocken Flüchtlinge im Nordirak, darunter viele Christen, in Containern. „Es ist eine riesige Gruppe. Wir haben rund 850.000 Flüchtlinge, die allein in der autonomen Region Kurdistan Zuflucht gefunden haben, da war ich unterwegs.“ Das sagt Angela Gärtner: Die 39-Jährige ist Projektreferentin Naher Osten bei der deutschen Caritas international und war gerade im Nordirak.

 

„Die Eindrücke waren natürlich sehr intensiv. Wir haben sehr viele Minderheiten, und den Minderheiten geht es unterschiedlich gut. Wenn wir von den Christen sprechen, die vertrieben wurden – die konnten häufig in christlichen Dörfern Zuflucht finden, konnten in leer stehenden Häusern unterkommen, es gibt eine sehr große Solidarität.“ Trotzdem: Auch die Christen unter den Flüchtlingen haben große Probleme, Unterkünfte zu finden, das sagt einer von ihnen: Bischof Amel Shamon Nona, der aus Mossul geflüchtete chaldäische Erzbischof. „Eine Wohnung zu finden ist sicher die größte Schwierigkeit für uns Flüchtlinge. Hunderte von Familien sind schon in Containern untergebracht, und ‚Kirche in Not’ hat uns dabei sehr geholfen. Auch bei unserem neuen Projekt, Häuser anzumieten. Aber das Wohnungsproblem bleibt das akuteste.“

 

Mit den Menschen in Irakisch-Kurdistan gebe es „nicht die geringsten Probleme“, sagt der Erzbischof. Auch Frau Gärtner sieht das so: „Insgesamt ist die Willkommenskultur unglaublich, wie offen man den Flüchtlingen begegnet. Sehr bedrückend war die Situation der Jesiden. Die Jesiden leben häufig noch im Zelt. Wir hatten jetzt Temperaturen ähnlich wie hier in Freiburg, d.h. tagsüber fünf, sechs, sieben Grad, nachts geht das runter auf null oder auch mal darunter. Im Zelt viel Regen, Matsche in Rohbauten, keine Fenster, keine Türen. Da hat man keine wärmere Situation, die Leute haben noch nicht mal mehr Heizgeräte, wenn, dann kriegen sie sie erst gerade. Sie haben ein bisschen was zu essen, aber das ist wirklich das Minimalste, und ein Überleben ist sicherlich nicht garantiert.“

 

Selbst wer ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hat, fühlt sich noch nicht auf der sicheren Seite. Da sind die traumatischen Erlebnisse der Flucht vor den IS-Terroristen, die erst einmal verarbeitet werden müssen. Und da sind, wie Erzbischof Nona berichtet, die bohrenden Fragen nach der Zukunft, der ungewissen. „Welche Zukunft sollen wir hier haben, sechs Monate nachdem wir hier angekommen sind? Können wir hier eine Zukunft haben, werden wir überhaupt hierbleiben, oder können wir eines Tages in unsere Häuser und in unsere Region zurück? Das fragen mich viele, aber ich weiß darauf keine Antwort. Unsere Leute hier verlieren allmähich das Vertrauen in die Zukunft und zu diesem Land. Je länger wir in dieser Lage bleiben, ohne dass eine Lösung gefunden wird, umso mehr werden wir unsere Familien verlieren, weil sie auswandern werden. Jeden Tag wandern welche aus.“

 

Auch Angela Gärtner von der Caritas hat keine Antworten auf die Fragen der Flüchtlinge. Aber sie hat Teppiche. Die verteilt die Caritas an die Flüchtlinge, weil die Rohbauten und auch die Zelte von unten keine Isolierung haben. Und dann Decken. Heizgeräte. Winterkleidung. „Man darf nicht vergessen, die Leute sind im Sommer geflüchtet, bei sehr hohen Temperaturen. Häufig über 40 Grad, d.h., sie sind in Sandalen und kurzen Sachen dort angekommen. Sie brauchen also dringend warme Schuhe, brauchen dringend warme Kleidung, das ist besonders wichtig. Nahrungsmittel werden verteilt vom UN-System, unterschiedlich gut. Wir haben Regionen, wo es flächendeckend passiert, aber es gibt auch noch weiterhin Lücken. Das ist im Moment tatsächlich das Wichtigste, dass die Leute es warm haben, was zum Essen haben, dass sie fließend Wasser haben und Strom haben. Das sind unsere Hauptziele für die nächsten drei, vier Monate.“

 

Der Nordirak ist aus der Sicht von Frau Gärtner „an der Grenze der Belastbarkeit, ganz klar“. Im ganzen Irak gebe es über zwei Millionen Vertriebene, dazu kommen auch noch über 200.000 Flüchtlinge aus Syrien. Für all diese Menschen müssten Flüchtlingslager gebaut werden. „Es gibt aber auch viele Leute, die nicht in die Flüchtlingslager wollen aus unterschiedlichen Gründen. Sie fürchten Diskriminierung. Die Lager sind meistens abgelegen, d.h., sie haben keine Chance, irgendwie auf den Arbeitsmarkt zu kommen. Sie haben ein großes Sprachproblem. In Kurdistan spricht man Kurdisch, die Leute kommen aber aus dem Zentralirak, d.h., sie sprechen Arabisch. Die Kommunikation ist schwierig, damit wird eine Integration für die Kinder in den Kindergärten und Schulen sehr schwierig. Viele Leute haben sehr schlimme Sachen selber erlebt. Mussten vielleicht auch mit anschauen, wie Familienmitglieder ermordet wurden. Die brutale Gewalt der IS ist unglaublich. Viele werden noch vermisst; insbesondere unter den jesidischen Familien wurden sehr viele Frauen entführt und werden auf dem Markt jetzt verkauft, als Sklavinnen. Das sind alles Situationen, mit denen die Leute nicht wirklich fertig werden können.“

 

Die Nahost-Expertin der deutschen Caritas rechnet nicht damit, dass die IS-Terroristen bald zurückgeschlagen werden und dass die Flüchtlinge dann alle einfach wieder in ihre Region zurückkehren können. „Wo der Wunsch da ist von den Leuten, den hab ich unter der jesidischen Gemeinde gespürt, die gesagt haben, wenn es nur irgendwie möglich ist, möchten wir zurück in unsere Heimat. Wohingegen die Christen eher gesagt haben, wie kann ich meinem Nachbarn noch vertrauen? Sie haben verraten, dass ich Christ bin. Ihretwegen habe ich alles verloren, ihretwegen bin ich gerade so mit meinem Leben zurückgekommen. Ich kann mir eigentlich meine Zukunft nicht mehr in meinem Heimatdorf vorstellen.“

 

Weihnachten im Nordirak – das ist ein bitteres Fest für die christlichen Flüchtlinge. Aber irgendwie auch sehr authentisch, wie der Erzbischof von Mossul sagt. „Wir erwarten voller Freude die Geburt Jesu Christi unter unseren Flüchtlingen! Nichts kann uns unseren Glauben nehmen. Wir Christen im Irak haben alles verlassen, um unseren Glauben nicht aufzugeben, wir sind stolz darauf, Christen zu sein! Unser christliches Leben ist jetzt wichtiger als alles andere...“

 

(rv 19.12.2014 sk)

 

Die Statements von Frau Gärtner stellte uns die Caritas Freiburg zur Verfügung. Erzbischof Nona erreichten wir telefonisch in Irakisch-Kurdistan.








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