Franziskus ist schon der dritte Papst, den er in der Türkei miterlebt: Der
Lazaristenpater Franz Kangler, der seit 37 Jahren in Istanbul lebt, sah Johannes Paul
II., Benedikt XVI. und nun Franziskus im Gespräch mit Patriarchen und Politikern,
Christen und Muslimen.
Franziskus‘ Besuch werde insgesamt positiv gesehen in der Türkei, so Kangler. Dass
der Hauptanlass der Reise dem Ökumenischen Patriarchen gelte und nicht der Türkei
als solcher, werde dabei „zur Kenntnis genommen“. Bartholomaios I. trete Papst Franziskus
mit großer Offenheit entgegen. Er sei sich sicher gewesen, dass Franziskus schon bald
nach Amtsantritt kommen werde und schätze an ihm, dass er sich gern als „Bischof von
Rom“ bezeichne. Im Vergleich zu seinem Vorgänger stehe der argentinische Papst in
der Türkei „als Person viel unbeschwerter“ da als der deutsche Papst, so Kangler mit
Blick auf die Regensburger Rede Benedikt XVI. Allerdings habe es der deutsche Papst
2006 verstanden, mit seiner Schlichtheit und Demut die Türken zu überzeugen.
Innertürkisch wünsche man sich derzeit, dass der Papstbesuch zu einem positiveren
Bild des Islam beitragen könne: „Da ist eine gewisse Erwartungshaltung da, dass der
Papst diese Unterscheidung trifft zwischen einer Glaubenshaltung, die in manchem sogar
dem Christentum ähnlich ist, und dem Missbrauch der Religion, wie wir sie beim Terrorismus
sehen.“
Religion wird sichtbar
Mit Blick auf das Verhältnis der Türkei zum Islam befindet sich das Land für Kangler
in einer „eigenartigen Position“. Seit der Zeit der Staatsgründung durch Atatürk habe
es einen „Umbruch im islamischen Bereich“ gegeben. Kemal Atatük habe bewusst das Modell
des französischen Laizismus für die Türkei angestrebt und die Religion ins Private
hineingeschoben. Mit anderen Worten: Sie war nicht sichtbar. Ein Relikt dieser Verbannung
„gelebter Religion“ aus der Öffentlichkeit sei etwa das Verbot geistlicher Kleidung,
das zwar noch in der türkischen Verfassung festgeschrieben sei, aber heute „de facto
nicht mehr in der gleichen Form durchgeführt“ werde.
Heute, 90 Jahr nach der Staatsgründung, ortet der Lazarist „sehr starke Spannungen“
zwischen den Laizisten und denjenigen, für die Religion in der einen oder anderen
Weise eine Rolle spiele, wohl gemrkt innerhalb des Islam. Freilich gebe es auch in
der Türkei Menschen, die die Religion für eigene Zwecke missbrauchten. Den anderen
aber sei es einfach ein Bedürfnis, die Religion „im öffentlichen Leben wieder stärker
zum Ausdruck zu bringen“, nicht mehr und nicht weniger: „Zum Beispiel junge Frauen,
die ein Kopftuch tragen wollen. Das kann man als Bedrohung sehen für die zukünftige
Freiheit, oder man kann es als eine Befreiung sehen, die ja auch im Westen in vielen
Ländern möglich ist.“
Religiöse Minderheiten: Fortschritte hier, Probleme da
Fortschritte im Umgang mit religiösen Minderheiten habe es in den letzten Jahrzehnten
im Umgang mit der orthodoxen und der armenisch-apostolischen Kirche gegeben, beobachtet
Kangler. Der orthodoxe Patriarch sei lange nur als „Bischof für die orthodoxen Staatsbürger“
angesehen worden, auch Rückgabe von beschlagnahmtem vermögen. Gleichzeitig vieles
an den Gesetzen gleich geblieben, so dass vielen „vom Wohlwollen der Behörden abhänge“.
Es kann sein, dass in einem Kontext, in dem Religion wieder eine größere Rolle in
der Öffentlichkeit spiele, es sein könne, dass man Minderheitengruppen auch Rechte
zugestehe. Aber: „Das ist ein Auf und Ab, das nicht so klar zur Geltung kommt. Jetzt
gibt es Fragezeichen, Bewegungen, die hin und her, auf und ab gehen.“
Rechtlich gesehen habe sich für die katholische Kirche in der Türkei „in den letzten
zehn Jahren gar nichts getan“, so Kangler. Es gebe in der türkischen Gesellschaft
„einen so großen Umbruch, dass man mit diesen Problemen, die für den Großteil der
Bevölkerung Randprobleme sind, nicht in erster Linie vorpreschen kann“. Freilich wäre
es einfacher, wenn die Rechtsformen geordnet würden, so könne man zumindest einmal
„ein Bankkonto eröffnen“ oder die eigene Gemeindezeitschrift auch offiziell herausgeben.
Insgesamt gebe es im Umgang mit diesen Fragen keine Regel, erklärt Kangler und nennt
ein Beispiel: „Es wird einerseits jetzt zum Beispiel erlaubt, dass eine syrisch-orthodoxe
Volksschule eröffnet wird. Und gleichzeitig hat ein syrische Kloster in einer anderen
Region Probleme mit den Nachbargemeinden, mit Grundstück- und Waldfragen. Das sind
parallele Entwicklungen, die da sind.“
Kirche in Istanbul: „Es ist spannend, hier Christ zu sein“
Die christliche Vielfalt in Istanbul, auch schon die innerhalb der katholischen Kirche,
ist nach Kanglers Erfahrung eine Art Lebenselixier für den Glauben. Die katholische
Kirche sei eine „Ausländerkirche“ , die unterschiedliche Herkunftsländer und soziale
Gruppen vereine: Vom Geschäftsmann über die Putzfrau bis zum Flüchtling sei eine große
Vielfalt an Ländern und sozialen Gruppen hier abgebildet. Das stelle freilich auch
vor so manche Herausfoderung: Als der Bischof etwa eine Stellungnahme für die letzte
Familiensynode in Rom abgeben sollte, sei er ein wenig ratlos gewesen, so Kangler:
„Weil die Werte der verschiedenen Gruppen hier so verschiedenartig sind! Und wir sagten
ihm: Das ist eigentlich die Stellungnahme – dass wir hier ein Konglomerat von ganz
verschiedenartiger Kirche sind, schon innerhalb der lateinischen Kirche. Es ist spannend,
hier Christ zu sein.“
Eine Schule mit Geschichte
Der Österreicher Franz Kangler war in Istanbul 27 Jahre Direktor der Sankt Georgs-Schule,
die türkeiweit von Christen und immer mehr Muslimen als hervorragende Ausbildungsstätte
geschätzt wird. Die Geschichte des Sankt Georgs-Kolleg reicht bis in die Spätzeit
des Osmanischen Reiches zurück. Die Gemeinde gibt es seit 1882: Ziel war es damals,
eine deutschsprachige Seelsorgestelle einzurichten, aus der sich später eine Schule
entwickelte. Die Einrichtung wird als Auslandsschule von der Österreichischen Republik
gefördert und beschäftigt heute 40 österreichische Lehrer. Drei Viertel der Fächer
werden in Deutsch unterrichtet, ein Viertel auf Türkisch.
(pr 28.11.2014 pr)
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