2014-11-29 11:12:00

Ost- und Westkirche: Fünfzig Jahre Ökumene


Im Jahr 1054 schien alles entschieden: Papst Leo IX. und der Patriarch von Konstantinopel Michael I. hatten sich gegenseitig exkommuniziert, eine Verbindung von orthodoxer und katholischer Kirche schien über viele Jahrhunderte unmöglich. Erst die Rückgabe einer gestohlenen Reliquie machte eine neue Ökumene möglich.

Wenn Papst Franziskus an diesem Freitag in die Türkei reist, dann nicht, um die Katholiken zu besuchen – ihnen widmet er nur wenige Stunden. Denn: Offizieller Anlass des Besuchs sind die Begegnungen mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. Franziskus ist es wie schon seinen Vorgängern ein Anliegen, die Beziehung zu den orthodoxen Kirchen zu stärken. Dass diese überhaupt wieder bestehen kann, ist Papst Paul VI. und dem Patriarchen Athenagoras zu verdanken, die vor 50 Jahren gegenseitig den Kirchenbann aufhoben.

Die griechisch-orthodoxe Kirche ist die drittgrößte christliche Kirche und hat ihr weltkirchliches Zentrum in Istanbul. Der Apostel Andreas, Bruder von Simon Petrus, gilt als der Patron der Kirche von Konstantinopel und hat für die orthodoxe Kirche einen ähnlichen Stellenwert wie Petrus für die katholische. Die brüderliche Beziehung zwischen Andreas und Petrus wird auch als Grundlage der neuen Beziehung zwischen den Kirchen aufgefasst. So drückte es Papst Johannes Paul der II. bei seinem Türkeibesuch 1979 aus, er sprach von einer „Beziehung der Brüderlichkeit“, bei der eine engere Zusammenarbeit „nur natürlich“ sei.

Die Apostelbrüder

Andreas war Fischer in Bethsaida in Galiläa und den Evangelien nach einer der ersten Apostel. Matthäus 4:18-20 erzählt davon, wie Jesus am See von Galiläa entlangging und zwei Brüder sieht - Simon, genannt Petrus, und Andreas, die als Fischer gerade ihr Netz im See auswerfen. „Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm.“ Später führt eine von Andreas’ Fragen zur Endzeitrede auf dem Ölberg. Nach der Himmelfahrt Jesu ist Andreas nach dem ersten Kapitel der Apostelgeschichte gemeinsam mit anderen Aposteln in Jerusalem.

Der Historiker Eusebius von Caesarea (ca. 265-340) schreibt, dass Andreas das Evangelium in Kleinasien und im südlichen Russland gepredigt habe. Anschließend ging er nach Griechenland und führte die Christen von Patras. Hier wurde er im Jahr 60 durch Kreuzigung zum Märtyrer. Nach Berichten des Kirchenvaters Sophronius Eusebius Hieronymus wurden seine sterblichen Überreste im Auftrag des Kaisers Konstantin II. 357 nach Konstantinopel gebracht. Anfang des 13. Jahrhunderts wurden die Reliquien jedoch im Rahmen der Kreuzzüge geraubt, der Kopf gelangte später unter Pius II. in einen Glaskasten in einer der vier Säulen des Petersdoms.

Der Kopf des Andreas

Papst Paul VI. entschied im Jahre 1964, die Andreas-Reliquien in Rom (ein Finger und ein Teil des Kopfes) als Geste der Offenheit für die griechisch-orthodoxe Kirche zurückzugeben. Das näherte die beiden Kirchen nach rund 900 Jahren wieder an. Am 7. Dezember 1965, dem Vorabend der letzten Sitzung des Zweiten Vatikanischen Konzils, wurde in der Patriarchenkirche St. Georg und dem Petersdom im Vatikan die gegenseitige Exkommunikation von 1054 aufgehoben. Im Juli 1967 besuchte Papst Paul VI. den Ökumenischen Patriarchen, der nur wenige Monate später einen Gegenbesuch unternahm. Auch Papst Johannes Paul II. bemühte sich ab 1978 sichtlich um die Ökumene der „zwei Lungenflügel“, wie er es nannte, des Ostens und des Westens. In dieser Tradition sah sich auch Benedikt XVI., er nahm schon im ersten Jahr nach seiner Wahl am Andreasfest in Istanbul teil. Er unterstrich am 30. November 2006 in der Patriarchenkirche St. Georg im Phanar in Istanbul die besondere brüderliche Beziehung zwischen den „Schwesterkirchen“: „Ich kann unseren orthodoxen Brüdern und Schwestern versichern, dass die katholische Kirche bereit ist, alles Mögliche zu tun, um Hindernisse zur pastoralen Zusammenarbeit zu überwinden.“

Besuchs-Ökumene

Die gegenseitigen Besuche gelten als Meilensteine der Ökumene zwischen den Kirchen. Der Patriarch Bartholomaios I. reiste 2013 sogar zu Franziskus‘ Amtseinführung nach Rom, eine Geste, die seit dem Schisma von 1054 noch nie vorgekommen war. Bartholomaios I. kam außerdem zu den Friedensgebeten in die Vatikanischen Gärten, zu dem Franziskus die Präsidenten Israels und Palästinas eingeladen hatte. Schließlich gab es, dem Beispiel Paul VI. und Patriarch Athenagoras folgend, eine herzliche Umarmung der beiden in Jerusalem, wo sie danach ihren Willen zur Annäherung zu Papier brachten.

Auch wenn die orthodoxe Kirche in Fragen des Primates momentan uneins ist: Das herzliche Verhältnis zwischen dem Patriarchen und dem Papst überflügele im Augenblick auch den viel langsamer laufenden theologischen Dialog, so deutete es Bartholomaios I. zuletzt an. Mit seinem Besuch in der Türkei knüpft Franziskus nahtlos daran an: Er kommt zum orthodoxen Andreasfest ins damalige „Konstantinopel“, und wie bereits im Heiligen Land wird es auch hier eine ökumenische Erklärung beider Kirchenvertreter geben - ein weiterer Schritt der Annäherung.

(rv 28.11.2014 kin)








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