Morgenröte der Freiheit: Die Päpste und der Mauerfall
9. November 1989:
Mit zahlreichen Gottesdiensten, Veranstaltungen und Veröffentlichungen begehen katholische
und evangelische Kirche den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Mit Friedensgebeten hatten
vor allem evangelische Christen in Städten wie Leipzig, Dresden oder Rostock wesentlich
zur Friedlichen Revolution in der DDR beigetragen. Der Fall der Berliner Mauer war
auch aus Sicht des Vatikans in vielerlei Hinsicht ein historischer Moment. Der polnische
Papst Johannes Paul II. hat viel zu der Entwicklung beigetragen, die in den Mauerfall
mündete. 25 Jahre später hielt Papst Franziskus in einer Botschaft an den 99. Deutschen
Katholikentag in Regensburg, am 23. Mai 2014, fest:
„Die Geschichte lehrt
uns, dass der Dialog kein leichtes Unterfangen ist. … Wie schwer wird dann die Versöhnung.
Ihr habt damit in Eurem Land eine bittere Erfahrung gemacht – mit der Berliner Mauer.
Wie viel Leid, wie viel Trennung hat diese Mauer hervorgebracht! Aber dann sind Menschen
in Kirchen zusammengekommen, um für den Frieden zu beten. Und sie sind aus der Kraft
des Gebets hinausgegangen in ihre Stadt, Woche für Woche. Mit ihnen haben sich immer
mehr Menschen vereint. Und schließlich ist die Berliner Mauer gefallen – in diesem
Jahr feiern wir das 25-jährige Jubiläum dieses Ereignisses. Da zeigt sich die Sendung
der Christen: Beten und dann hinausgehen und anderen die Gute Nachricht bringen, nach
der sich die Menschen zutiefst sehnen.“
In die Weltgesellschaft hineingewachsen
Der
erste deutsche Papst auf dem Stuhl Petri nach mehreren Jahrhunderten war Benedikt
XVI. Er deutete in einem Interview mit Radio Vatikan am 5. August 2006 den Mauerfall
nicht nur aus vatikanischer, sondern auch aus deutscher Sicht:
„Nun, ich
würde sagen: An sich ist natürlich schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine
innere Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, auch der deutschen Mentalität da,
die durch die Wiedervereinigung noch verstärkt worden ist. Wir sind einfach viel stärker
in die Weltgesellschaft hineingewachsen und natürlich auch von ihrer Mentalität mit
berührt. Und es kommen eben auch Seiten des deutschen Charakters zum Vorschein, die
man ihm früher nicht zugetraut hat. Und vielleicht sind wir auch ein bisschen zu sehr
als immer ganz diszipliniert und zurückhaltend hingestellt worden. Das war schon in
uns da – . Ich finde es sehr schön, wenn jetzt mehr zum Vorschein kommt, wenn alle
sehen: Die Deutschen sind nicht bloß reserviert und pünktlich und diszipliniert, sie
sind auch spontan, fröhlich, gastfreundlich. Das ist etwas sehr Schönes. Und was soll
ich wünschen: Dass diese Tugenden weiter entwickelt werden, und dass sie vom christlichen
Glauben her noch weiter Schwung und Tragfähigkeit bekommen.“
Unerwartete
Morgenröte der Freiheit
Das zwanzigjährige Jubiläum des Mauerfalls
feierte man 2009, während des deutschen Pontifikats, eigens mit einem Konzert in der
Sixtinischen Kapelle. Organisiert wurde das von der Deutschen Botschaft beim Heiligen
Stuhl, die gleichzeitig an den 60. Jahrestag des Grundgesetzes erinnerte. Für Benedikt
XVI. war das eine weitere Gelegenheit, sich zum Fall der Mauer zu äußern:
„…,
jener Todesgrenze, die viele Jahre unser deutsches Vaterland geteilt und Menschen,
Familien, Nachbarn und Freunde auseinandergerissen hatte. Die Ereignisse des 9. November
1989 empfanden zahlreiche Zeitgenossen als die unerwartete Morgenröte der Freiheit
nach einer langen durchlittenen Nacht der Gewalt und Unterdrückung durch ein totalitäres
System, das letztlich auf einen Nihilismus, auf eine Entleerung der Seelen, hinauslief.
In der kommunistischen Diktatur gab es keine Handlung, die als in sich schlecht und
immer unmoralisch angesehen worden wäre. Was den Zielen der Partei diente, war gut
– wie unmenschlich es auch sein mochte. Heute fragen sich manche, ob denn die westliche
Gesellschaftsordnung so viel besser und menschenfreundlicher sei. In der Tat ist die
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Beweis dafür. Und dies haben wir zum
guten Teil unserm Grundgesetz zu verdanken.“
Diese Verfassung hat aus
der Sicht des emeritierten Papstes wesentlich zur friedlichen Entwicklung Deutschlands
in den letzten sechs Jahrzehnten beigetragen.
„Denn sie mahnt die Menschen,
in Verantwortung vor Gott, dem Schöpfer, der Menschenwürde den Vorrang in jeder staatlichen
Rechtsetzung zu geben, die Ehe und die Familie als Grundlage jeder Gemeinschaft zu
achten sowie Rücksicht und Ehrfurcht vor dem zu üben, was dem anderen heilig ist.
Mögen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands in Verpflichtung vor dem Auftrag der
geistig-politischen Erneuerung nach Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, die
im Grundgesetz ihren Ausdruck gefunden hat, am Aufbau einer freien und sozialen Gesellschaft
weiter mitarbeiten.“
„Johannes Paul sah den Mauerfall
voraus“
Johannes Paul II. war es gewesen, der aus tiefer innerer Überzeugung
auf eine Überwindung des Ost-West-Blockdenkens hingearbeitet hatte. Sein damaliger
Sprecher Navarro-Valls gibt heute an, Johannes Paul habe vor 1989 fest an einen Fall
der Berliner Mauer geglaubt. Nach der Wiedervereinigung unterstrich der polnische
Papst, dass die Wiedervereinigung Deutschlands für das gesamte Europa eine besondere
Bedeutung habe. Deutschland sei „ungeachtet der großen, in den neuen Bundesländern
zu erbringenden Aufbauleistungen sowohl seiner europäischen Berufung als auch seinem
allgemein anerkannten Engagement zugunsten der Solidarität mit den ärmeren Völkern
dieser Welt treu geblieben“, so Johannes Paul II. in einer Rede vom 13. September
2002. Einige Jahre zuvor hatte er in einer Predigt in Paderborn, am 22. Juni 1996,
gesagt:
„Solidarität und Gerechtigkeit gelten auch für die Entwicklung in
Eurem eigenen Land, das nach der Wiedervereinigung seinen Weg in eine gemeinsame Zukunft
sucht. In diesem Prozeß gibt es heute noch Probleme, die viele Menschen bedrücken.
Es darf sich nicht ein radikaler Individualismus durchsetzen, der am Ende die Gesellschaft
zerstört. Ein harmonisches Zusammenleben kann aber nur gelingen, wenn Ihr gemeinsame
Werte und Orientierungen behaltet, wenn Gerechtigkeit und Solidarität, Menschenwürde
und Barmherzigkeit nicht nur das Ideal einer kleinen Gruppe sind, sondern Ziele für
die ganze Gesellschaft bleiben.“
Ebenso sei es mit der Einheit Europas.
Sie dürfe nicht nur „in einer Gemeinsamkeit der materiellen Interessen bestehen“,
fügte er an.
Johannes Paul am Brandenburger Tor: „Ideologen
machten ein Tor zur Mauer“
1996 unternahm Johannes Paul II. eine große
Deutschlandreise; dabei war der Besuch in Berlin sowohl der Schluss- als auch der
Höhepunkt. Begleitet vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl ging Johannes Paul am
23. Juni 1996 durch das Brandenburger Tor. In seiner Rede sprach er Klartext:
„Nirgendwo
sonst haben sich während der gewaltsamen Teilung Ihres Landes die Sehnsüchte nach
Einheit so sehr mit einem Bauwerk verbunden wie hier. Das Brandenburger Tor wurde
von zwei deutschen Diktaturen besetzt. Den nationalsozialistischen Gewaltherrschern
diente es als imposante Kulisse für Paraden und Fackelzüge, und von den kommunistischen
Tyrannen wurde dieses Tor mitten in dieser Stadt zugemauert. Weil sie Angst vor der
Freiheit hatten, pervertierten die Ideologen ein Tor zur Mauer. Gerade an dieser Stelle
Berlins, die zugleich zur Nahtstelle Europas wurde, zur unnatürlichen Schnittstelle
zwischen Ost und West, gerade an dieser Stelle offenbarte sich für alle Welt sichtbar
die grausame Fratze des Kommunismus, dem die menschlichen Sehnsüchte nach Freiheit
und Frieden suspekt sind. Vor allem aber fürchtet er die Freiheit des Geistes. Auch
sie wollten die braunen und roten Diktatoren zumauern.“
Millionen Menschen
seien durch die Berliner Mauer, aber vor allem durch die tödliche Grenze voneinander
getrennt gewesen.
„Und in dieser Situation wurde das Brandenburger Tor im
November 1989 Zeuge davon, daß Menschen das Joch der Unterdrückung abschüttelten und
zerbrachen. Das geschlossene Brandenburger Tor stand da wie ein Symbol der Trennung;
als es endlich geöffnet wurde, wurde es zum Symbol der Einheit und zum Zeichen dafür,
daß die Forderung des Grundgesetzes nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands
in freier Selbstbestimmung erfüllt ist. So kann man zu Recht sagen: Das Brandenburger
Tor ist zum Tor der Freiheit geworden.“
(rv 07.11.2014 mg)
Unser
Foto zeigt ein Fragment der Berliner Mauer, das heute in den Vatikanischen Gärten
steht - ein Geschenk an den heiligen Papst Johannes Paul II.