Von Folter bis Korruption: Papst Franziskus klagt Missbrauch im Strafrecht an
Gesetze und Politik garantieren keinen Schutz vor Unrecht, manchmal decken und produzieren
sie es auch: In einer langen Rede über Missbrauch im Strafrecht hat der Papst am 23.
Oktober kein Blatt vor den Mund genommen. Ob politische Verfolgung in totalitären
Regimen oder Folter als „Strafe“, ob Korruption oder Populismus in der Rechtsprechung
– der Papst zeigte in einer Rede vor Vertretern des internationalen Strafrechtes im
Vatikan mit dem Finger auf Bereiche, in denen unter dem Deckmantel von „Recht und
Ordnung“ - manchmal laut, manchmal leise und versteckt - grundlegende Menschenrechte
verletzt werden. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung der Rede, erstellt von Anne Preckel.
Strafen sind kein Allheilmittel Strafen als Allheilmittel für die
unterschiedlichsten sozialen Probleme – diese Überzeugung hat sich laut Franziskus
in den letzten Jahrzehnten zunehmend ausgebreitet: Der Strafvollzug werde als Mittel
begriffen, die „disparatesten sozialen Probleme“ lösen zu können, formuliert der Papst,
ohne einzelne Länder namentlich zu nennen - „wie als wenn für verschiedene Krankheiten
uns dieselbe Medizin angeboten würde.“ Das Verständnis vom Strafen als „letztem Mittel“
sei geschwächt worden, ebenso die Debatte über mögliche Alternativen zum Gefängnis.
Franziskus sieht im gesellschaftlichen Umgang mit Kriminellen – und zwar
auch in den modernen westlichen Gesellschaften – teilweise archaische Mechanismen
am Werk: Man suche „Sündenböcke, die mit ihrer Freiheit und ihrem Leben für alle sozialen
Übel zahlen müssen, wie es in primitiven Gesellschaften typisch war“, so der Papst
wörtlich. Ebenso gebe es die Tendenz, „absichtlich Feinde zu konstruieren“, fährt
er fort, „stereotypische Figuren, die in sich alle Charakteristiken vereinen, die
die Gesellschaft als Bedrohungen wahrnimmt oder interpretiert“. Laut Franziskus ist
das ein altes, wohlbekanntes Lied: „Die Entstehungsmechanismen dieser Bilder sind
dieselben, die seinerzeit die Ausbreitung rassistischer Ideen erlaubten.“
Strafrechtlicher
Populismus Recht und Ordnung böten gegen die Sündenbocklogik keinen ausreichenden
Schutz. In Teilen der Politik und Medien werde sogar zu Gewalt und Rache angestachelt,
„zur öffentlichen und privaten“, und zwar nicht nur gegen nachweislich Kriminelle,
sondern bereits gegen nur Verdächtigte und Beschuldigte. Das Strafrecht sei durch
diese Logik der Rache beeinflusst, hält Franziskus fest, der dies unter dem Begriff
„strafrechtlicher Populismus“ fasst. Der Papst sieht in diesem Kontext die Juristen
klar in der Pflicht, „solche Tendenzen zu begrenzen und einzuschränken“ – gerade angesichts
des „Drucks der Massenmedien“, „einiger skrupelloser Politiker“ und der „Racheimpulse“
in der Gesellschaft. Franziskus weist in seiner langen und auffallend spezifischen
Ansprache weiter auf handfeste Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen und durch
staatliche Organe hin. Dazu zählt der Papst - wie schon seine Vorgänger Johannes Paul
II. und Benedikt XVI. - die Todesstrafe. In „totalitären und diktatorischen Regimen“
sei die Praktik ein „Instrument der Unterdrückung politischer Dissidenten oder der
Verfolgung religiöser oder anderer Minderheiten“, die einfach als „Verbrecher“ bezeichnet
würden, so der Papst. Und er mag dabei nicht nur an Länder wie China, Pakistan und
den Iran gedacht haben, sondern auch an die Vergangenheit seiner eigenen Heimat, wo
zur Zeit der Militärdiktatur Regimegegner und Andersdenkende verschwanden und systematisch
hingerichtet wurden.
Versteckte Formen der Todesstrafe In 35 der
60 Länder, in denen heute die Todesstrafe immer noch existiert, sei die Praktik „in
den letzten zehn Jahren“ nicht mehr angewendet worden, referiert der Papst. Für Franziskus
ist das allerdings noch kein Grund zu Freude: Versteckt gebe es die Todesstrafe nämlich
noch „auf dem ganzen Planeten“, wo sie „illegal und in verschiedenen Graden“ praktiziert
werde.
Franziskus geht hier zunächst auf politische Morde ein, „echte Verbrechen“,
die auch mit dem Begriff „außergerichtliche Hinrichtungen“ bzw. „außerlegale Hinrichtungen“
bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um „absichtliche Tötungen, die von einigen
Staaten und ihren Agenten durchgeführt werden, und die häufig als Auseinandersetzungen
mit Verbrechern oder als unerwünschte Folgen der besonnenen, notwendigen und verhältnismäßigen
Gewaltanwendung zur Gesetzesanwendung dargestellt werden“, führt der Papst aus.
Über
solche Hinrichtungen berichtete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International
etwa in diesem Sommer aus Nigeria. Dort sollen Mitglieder des Militärs im Kampf gegen
die islamistische Gruppe Boko Haram mehr als 600 Menschen außergerichtlich hingerichtet
haben. Auch aus Lateinamerika ist ein solches Vorgehen bekannt, etwa bei gezielten
Tötungen von Gewerkschaftern durch paramilitärische Gruppen.
Menschenunwürdige
Haftbedingungen, Gewalt und Folter Eine andere Form der „versteckten Todesstrafe“
sieht der Papst in der lebenslänglichen Freiheitsstrafe; diese sei im Strafrecht des
Vatikanstaates vor Kurzem abgeschafft worden, erinnert Franziskus. In vielen Ländern
gibt es heute eine zeitlich befristete Strafe und keine mehr, die bis ans Lebensende
des Häftlings reicht. In den USA wird die lebenslange Freiheitsstrafe aber z.B. in
einigen Fällen noch praktiziert.
In vielen Gefängnissen herrschten „unmenschliche
und erniedrigende“ Haftbedingungen, die durch Defizite im Strafsystem und mangelhafte
Infrastrukturen verursacht würden, so der Papst weiter. Zur Überfüllung der Gefängnisse
trage weltweit auch der Missbrauch der Untersuchungshaft bei: Es gebe „einige Länder
und Regionen der Welt“, in denen mehr als 50 Prozent der Häftlinge ohne Verurteilung
einsäßen, so Franziskus. Nicht selten würden auch Polizei- und Militärstationen als
Haftanstalten genutzt. Die Untersuchungshaft werde so als eine Form der „verborgenen
rechtswidrigen Strafe“ missbraucht.
Für eine Verbesserung von Haftbedingungen
in Gefängnissen hat sich der Papst bereits mehrfach stark gemacht. Bereits als Erzbischof
von Buenos Aires pflegte er engen Kontakt zu Häftlingen. In seiner Rede an die Strafrechtler
ruft er zum doppelten Einsatz für die Menschenwürde derjenigen auf, die als „kriminell“
eingestuft werden: „Alle Christen und Menschen guten Willens sind also heute dazu
aufgerufen, nicht nur für die Abschaffung der Todesstrafe in all ihren Formen, sei
sie legal oder illegal, zu kämpfen, sondern – im Respekt der menschlichen Würde von
Menschen in Unfreiheit – auch für eine Verbesserung der Haftbedingungen.“
Deutliche
Worte findet der Papst über Gewalt und Folter in Haft- und anderen Anstalten. Die
Isolationshaft, wie sie in Hochsicherheitsgefängnissen praktiziert wird, führe zu
großem menschlichen Leid: „Das Fehlen von Wahrnehmungsempfindungen , die komplette
Unmöglichkeit der Kommunikation und das Fehlen von Kontakten mit anderen Menschen
lösen psychische und physische Leiden wie Paranoia, Angstzustände, Depression und
Gewichtsverlust sowie die starke Zunahmen von Selbstmordtendenzen aus.“
Doch
auch im „normalen“ Strafvollzug sei der Übergang zwischen Verhörmethoden und Sadismus
oftmals fließend: „Die Foltermethoden werden nicht nur als Mittel, um ein bestimmtes
Ziel wie das Geständnis oder die Denunziation zu erreichen (…) benutzt, sondern stellen
ein echten Zusatz an Schmerz dar, der zu den Übeln der Haft hinzukommt.“ Dies sei
im Übrigen auch in Institutionen zu beobachten, die sich um Schutzbefohlene kümmern
sollen: „Auf diese Weise wird nicht nur in illegalen oder in modernen Konzentrationslagern
gefoltert, sondern auch in Gefängnissen, Kinderheimen, psychischen Anstalten , auf
Kommissariaten und in anderen Haftanstalten und Strafinstitutionen.“ Strafrechtliche
Sanktionen gegen Kinder lehnt der Papst grundsätzlich ab.
Staatliche Komplizenschaft
beim Menschenhandel Das Strafrecht habe hier eine wichtige Verantwortung, so
der Papst. Und er klagt darüber, dass es „in bestimmten Fällen die Legitimierung der
Folter unter bestimmten Voraussetzungen billigt“ und damit die Tür für weiteren Missbrauch
öffnet. Im Bereich der Sklaverei, des Menschenhandels und der politischen Verfolgung
sieht der Papst eine klare Mitverantwortung der Herkunfts-, Transit- und Zielländer
und teilweise auch Komplizenschaft. „Viele Staaten sind auch verantwortlich dafür,
Entführungen von Personen auf eigenem Staatsgebiet durchgeführt oder toleriert zu
haben, eingeschlossen ihrer eigenen Bürger, oder die Benutzung ihres Luftraums für
einen illegalen Transport in illegale Haftzentren, wo Folter praktiziert wird, erlaubt
zu haben.“
Dieser Missbrauch könne nur durch den „entschiedenen Einsatz der
internationalen Gesellschaft“ gestoppt werden, so der Papst. Staaten müssten Menschen
und ihre Freiheit schützen. Sie seien in keiner Weise befugt dazu, „den Respekt vor
der Menschenwürde (…) irgendeiner Form des sozialen Nutzens unterzuordnen“. Mit anderen
Worten: Jeder einzelne Mensch, auch Schwerverbrecher und Kriminelle, haben ihre eigene,
schützenswerte Würde. Der Respekt vor der Menschenwürde müsse die Grenze markieren
zur „Willkür“ und dem „Exzess staatlicher Agenten“, sie muss „Orientierungskriterium“
sein für die „Verfolgung und Unterdrückung von Verhaltensweisen, die die schwersten
Attacken auf di Würde und Integrität der menschlichen Person darstellen“.
Korruption
Auch über die Korruption hat der Papst eine klare Meinung. Sie sei „normal“
geworden und heute „eine übliche Praktik bei Geld- und Handelsgeschäften“ sowie bei
der „Vergabe öffentlicher Aufträge“, klagt der Papst. Das Strafrecht habe dazu bereits
viele internationale Konventionen und Abhandlungen produziert. Sein Eindruck aber
sei, dass es bei den „Theorien gegen die Korruption“ eher um den Schutz der Interessen
der Wirtchafts- und Finanzwelt gehe als denn um den der Bürger, die letztlich das
Opfer von Korruption seien, so der Papst.
Franziskus beschreibt die Korruption
als einen „Prozess des Todes“: „Wenn Leben stirbt, gibt es Korruption.“ Die Korruption
sei „ein größeres Übel als die Sünde“, formuliert der Papst. Sie drücke sich in einer
„Atmosphäre des Triumphalismus“ aus, denn der Korrupte halte sich für einen „Sieger“.
Am stärksten sind laut Papst Formen der Korruption zu bekämpfen, die schwerwiegende
soziale Schäden anrichten. Dazu zählt Franziskus etwa Amtsmissbrauch oder Straflosigkeit
in Positionen, die eigentlich dem Gemeinwohl dienen sollten.