Allerheiligen, Allerseelen: Trauer braucht Zeit und Raum
Im Angedenken an
die Verstorbenen begehen Katholiken am kommenden Sonntag den Allerseelentag. Einen
Tag nach Allerheiligen stehen Erinnerung, Dankbarkeit über gemeinsam verbrachte Zeit,
Gebet, aber auch Trauer im Zentrum. Günther Rederlechner ist seit sechs Jahren Leiter
der Caritas Hospizbewegung in Bozen und langjähriger Trauerbegleiter. Er hat mit Radio
Vatikan über die „Kunst des Trauerns“ gesprochen. Trauer sei wichtig, um Schönes festzuhalten
und den Schmerz zu verarbeiten, so Rederlechner:
„Trauer gehört zum Leben
eines jeden Menschen. Die Trauer soll ausgelebt werden, und es ist wichtig, dass sie
einen Ort bekommt, wo sie erfahrbar wird. Durch eine Verlusterfahrung wird uns bewusst,
dass wir trauern, weil wir das Verlorengegangene lieben. Daher ist es wichtig, die
Erinnerungen an das Verlorengegangene aufrecht zu halten, um den Prozess des Trauerns
zu durchleben.“
Voraussetzung sei hier die Akzeptanz der Trauer, meint
der erfahrene Trauerbegleiter. Trauer muss zugelassen werden. „Wir haben immer
die Erfahrung gemacht, dass trauernde Menschen von sich aus unsicher werden. Weil
sie sich fragen: Ist das normal? Kann es so weitergehen? Daher ist es wichtig, dies
zuallererst zu akzeptieren. Und dann geht es darum, Trauer nicht zu verdrängen, sondern
diese zu leben. Oft haben trauernde Menschen Scheu oder Angst davor. Aber nur durch
das Erleben dieses Schmerzes kann die Trauer auch bewältigt werden.“ Die Caritas
bietet genau aus diesem Grund Hilfe an, Unterstützung, Veranstaltungen, um mit der
eigenen Trauer zu arbeiten. Rederlechner nennt als Beispiel eine spezielle Einzelbegleitung
durch Caritas-Mitarbeiter: Sie bieten Zeit und Raum für die Trauer an, hören zu. Trostspendend
können auch betreute Trauergruppen sein, zum Beispiel für trauernde Eltern. In der
Gruppe werden Erfahrungen ausgetauscht, um mit der Trauer nicht alleine zu bleiben.
Denn genau das passiere heute in unserer Gesellschaft immer öfter, so Rederlechner.
Das habe mit einem Ohnmachtsgefühl und Angst vor der Trauer zu tun. Der Leiter der
Bozener Caritas Hospizbewegung gibt ein Beispiel: „Eine Trauernde hat mir unlängst
erzählt, dass sie Bekannte traf in der Stadt, und wenige Meter vor ihr seien sie in
ein anderes Geschäft gegangen. Sie merkte eben, dass sie vor ihr flüchteten, weil
sie sich dieser Ohnmacht, dieser Hilflosigkeit gegenüber der Trauer nicht stellen
wollen. Viele Menschen fühlen sich dann alleingelassen. Und deswegen verdrängen auch
sehr viele Menschen ihre Trauer, um wieder mehr ein Teil der Gesellschaft zu sein.
Wir als Caritas versuchen das auch anzusprechen und die Menschen in ihrer Trauer zu
unterstützen.“ Wesentlich sei also, für trauernde Menschen in unserer Umgebung
da zu sein und ein offenes Ohr für sie zu haben. Es gehe darum, sie auf ihrem Weg
der Trauer zu begleiten und ihnen das Gefühl zu geben, dass ihre Trauer erlaubt sei:
„Trauernde
Menschen haben ja immer wieder das Bedürfnis, von der Verlusterfahrung zu erzählen
und zu reden. Sie wollen auch das, was verloren gegangen ist, nicht loslassen. Wir
kennen den Begriff des Loslassens, gerade in der Trauerbegleitung: Es geht letztendlich
nicht um ein Loslassen von etwas, was man liebt. Es geht darum, den Hinterbliebenen
zu vermitteln, dass sie nicht loslassen, sondern über das Verlorengegangene trauern
müssen.“
Zu einer Trauerbegleitung könne auch gehören, Orte zu besuchen,
wo die Beziehung mit den nun Verstorbenen gelebt wurde und wo Erinnerungen wiedergefunden
werden können, so Rederlechner weiter. Dort könne auch das Unbegreifliche des Todes
bewusster gemacht werden. Dazu zählten etwa Grabbesuche.
„Ich brauche einen
Ort, wo ich die Begegnung mit den Verstorbenen intensiver erleben kann. Das sind bei
uns die Gräber, und das bedeutet: Ich, als trauernder Mensch, mache mich auf den Weg,
ich gehe zu dem Ort, wo ich genau diesem Menschen oder diesen Erfahrungen, die ich
mit dem Menschen gelebt habe, begegnen will. Hier kann die Trauer auch – gesellschaftlich
gesehen – zugelassen werden kann. Denn wenn ich auf der Straße in Tränen ausbreche,
wird dies weniger verstanden werden als auf dem Friedhof.“