Eine Geschichte der
Spaltung, aber auch eine Geschichte des Wandels: Zum Reformationsgedenktag an diesem
Freitag erinnert der österreichische evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker
daran, dass die Reformation ein „europaweiter Aufbruch, an verschiedenen Orten und
zu verschiedenen Zeiten“ gewesen sei. Bünker sprach beim traditionellen Reformationsempfang
seiner Kirche am Mittwochabend in Wien.
„Reformation meint immer mehr: Sie
ist mehr als nur eine Reform hier und da und dort. Sie war ein Aufbruch weit über
die Grenzen der Kirche hinaus. Und sie war ein Aufbruch weit über das 16. Jahrhundert
hinaus, mit Auswirkungen bis heute. Deshalb bedeutet das Reformationsjubiläum nie,
dass sich evangelische Kirchen selbst feiern, sondern es bedeutet immer diesen Aufbruch
in die Welt.“
Wenn 2017 der 500. Jahrestag des Thesenanschlags durch Martin
Luther an der Schlosskirche von Wittenberg als Startschuss der Reformation begangen
wird, dann dürfe nicht allein die Trennung betont werden. Weil die Reformation alle
betroffen habe, brauche es auch im Gedenken ein Miteinander, so Bünker.
„Dieses
Miteinander gilt natürlich auch der Ökumene, und da vor allem der römisch-katholischen
Kirche, die wie wir durch die Reformation hindurch gegangen ist und durch das 16.
Jahrhundert auch entscheidend geprägt wurde. Ich denke, wir sollten nicht aufhören
zu arbeiten und uns dafür einzusetzen, dass wir 2017 da und dort auch gemeinsam feiern
können.“
Bislang sehen Vertreter der katholischen Kirche die Vorstellung
eher kritisch, die Spaltung ‚feiern’ zu wollen. Gedenken ja - aber da sei auch zuviel
kaputt gegangen und noch nicht genügend Gemeinsamkeit geschaffen, um wirklich eine
einzige Feier daraus werden zu lassen.
Haben die Kirchen zur Entchristlichung
Europas beigetragen?
Der gemeinsame Blick auf die Reformation täte
aber allen christlichen Kirchen in Europa gut. Das betont der Wiener katholische Theologe
Paul Zulehner.
„Man könnte jetzt zum Reformationsjubiläum nicht nur rückblickend
fragen, was Luther an Reformen vielleicht vorweg genommen hat; diese Frage könnte
man auf der religiös-theologischen Ebene stellen. Ich glaube aber auch, dass man auf
der Ebene der Entwicklung Europas insgesamt fragen sollte, ob die Kirchen nicht selber
zur Entchristlichung Europas einen fatalen Beitrag geleistet haben. Man muss fragen,
ob sie selber schuld daran sind, dass es in allen religionssoziologischen Forschungen
heißt, dass die Religion boomt, dass es in der Welt keine Säkularisierung gibt und
dass nur Europa der Sonderfall ist. Warum ist Europa der Sonderfall?“
Einen
Grund gibt Zulehner selber an: „Wir zahlen einen wahnsinnigen Preis für die Aufladung
der Reformationsgeschichte mit Gewalt.“ Durch die Spaltung und gegenseitige Beschuldigungen
hätten beide Kirchen dazu beigetragen, dass viele Menschen nicht mehr an Gott glauben
können, weil bis heute Reformation mit Krieg und Gewalt assoziiert werde: Auch das
sei ein Thema für das Reformationsgedenken.
Auf die Notwendigkeit, diese schwierigen
Kapitel beim Gedenken mit einzubeziehen, wies auch Bischof Bünker in seiner Rede hin.
„Es
ist wichtig, dass wir nichts Belastendes aus der Geschichte unter den Teppich kehren!
Auch nicht die Schattenseiten, die es ja ohne weiteres gegeben hat, ich denke da zum
Beispiel an die judenfeindlichen Äußerungen Martin Luthers. Aber der Blick richtet
sich nicht nur zurück, er richtet sich nach vorn. Wir wollen für 2017 einladen unter
der Überschrift ‚Erinnern für die Zukunft’, denn die Zukunft ist das, was uns beschäftigt.“
Die
Reformation ist eine Weltbürgerin
Bünker, der auch Generalsekretär
der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) ist, betont besonders den
Beitrag der Kirchen der Reformation für Europa. Die Bewegung des 16. Jahrhunderts
habe immer schon eine weitere Dimension gehabt, „Die Reformation ist eine Weltbürgerin",
so der Bischof wörtlich. Die befreiende Erfahrung des wiederentdeckten Evangeliums
habe zu einer Neubestimmung im Verhältnis des Menschen zu Gott, zu sich selbst und
zu den Mitmenschen geführt. Das könne und müsse auch heute konkret benannt werden:
„Evangelisch
in Europa heißt immer auch evangelisch für Europa: für das Zusammenleben
in der Vielfalt der Kulturen, der Ethnien, der Religionen, auf der Grundlage der gleichen
Rechte für alle. Und es ist auch dieser reformatorische Impuls, der uns dafür eintreten
lässt, dass die gleichen Rechte für alle auch für die Religionsgemeinschaften in Österreich
gelten sollen und gelten müssen.“
Gerade das zunehmend säkulare Europa
brauche das öffentliche Wirken der Kirchen und Religionen, so der Bischof in seiner
Rede in der Akademie der Wissenschaften.