Unter den 1,4 Millionen
Flüchtlingen im Kurdengebiet sind auch viele Jesiden, also die Angehörigen einer kleinen
religiösen Minderheit von etwa 800.000 Menschen. Die Jesiden - die von radikalen Muslimen
als Teufelsanbeter verfolgt werden - sind in einer besonders schwierigen Situation
und laufen Gefahr, nicht die notwendige internationale Solidarität zu erfahren. Das
sagt Klaus Barwig von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Der Referent
für Migrationsfragen gilt als Experte für die Jesiden und Chaldäer und war gerade
kürzlich in Erbil, um sich über die Situation der jesidischen Flüchtlinge zu informieren.
Die Jesiden, so Barwig, seien verzweifelt:
„Vertreter der Jesiden sagten
uns während unserer Reise, völlig übereinstimmend: ,Es ist die 73. Vertreibung und
der Versuch des 73. Genozids, und wir haben keine Hoffnung mehr, dass wir in unsere
angestammten Gebiete zurück können.‘“
Die Jesiden, die in die Region um
Erbil geflohen sind, werden bislang, so Barwig, von den Christen nach Kräften unterstützt.
„Die Jesiden sehen die grundsätzliche Solidarität, die ihnen seitens der
Chaldäer und der anderen christlichen Denominationen entgegengebracht wird, die allerdings
selbst unter höchster Anspannung sind. Der Vertreibungsdruck bei den Christen ist
geringer, weil sie in ihren angestammten Gebieten immer noch auf Solidarität unter
den eigenen Leuten, mit eigenen Strukturen hoffen können. Dies ist für die Jesiden
völlig unmöglich, weil sie aus dem angestammten Gebiet vertrieben wurden.“
Die
Versorgungssituation der jesidischen Flüchtlinge wird auch deswegen schwierig, weil
die kurdische Regierung entschieden hat, dass die Jesiden die Schulen veranlassen
müssen, in denen sie untergekommen waren:
„Und was wir von den Jesiden hören,
auch sonst hören, ist, dass die Schulen jetzt mit sanftem Druck geräumt werden, geräumt
wurden. Und dass auch die Rohbauten - die Bilder sind ja bekannt und weltweit in den
Medien gewesen - inzwischen geräumt werden, weil nach Besserung der Sicherheitslage
dort wieder weitergebaut wird. Es ist also völlig unabsehbar, wie es gehen soll. Von
29 geplanten Lagern hat der deutsche Entwicklungshilfeminister Müller bei seiner kürzlichen
Besuchsreise sich sagen lassen, dass acht Lager fertiggestellt sind. Das heißt, 21
Lager sind noch nicht fertig, und in vier Wochen ist es kalt.“
Der katholische
Theologe Barwig fordert, dass die internationalen Hilfsorganisationen, auch die der
Kirche, die Situation der Jesiden besonders im Blick behalten müssen:
„Das
Problem in Kurdistan ist nach wie vor, dass angesichts der Größe der Flüchtlingskatastrophe
die Koordination für Hilfe auf regionaler und auf staatlicher Ebene sehr schwierig
zu leisten ist. Und das ist einer der Hauptkritikpunkte, dass eine Gesamtkoordination
im Hinblick auf die bestehende und noch schlimmer werdende Katastrophe vor dem Winter
nicht sichtbar ist, die der Größe des Problems angemessen wäre.“