2014-10-18 17:05:15

Seliger Paul VI.: Der dialogische Stil eines großen Papstes


RealAudioMP3 Papst Paul VI. wird am Sonntag auf dem Petersplatz selig gesprochen. „Der vergessene Papst“, so nennt ihn der deutsche Kirchenhistoriker Jörg Ernesti in seiner 2012 erschienenen Montini-Biografie, mit der Ernesti freilich auch antrat, das Bild Paul VI. zu entzerren. Zunächst rückt der Biograf die These zurecht, Paul VI. sei „sehr modern gestartet“ und habe dann mit der Enzyklika „Humanae Vitae“ von 1968 gewissermaßen sich selbst revidiert. Ernesti sieht dagegen drei Phasen des Pontifikates.

„Paul VI. fängt mit starken Impulsen an, er beginnt das Reisen, es ist das erste Mal in 150 Jahren, dass ein Papst Italien verlässt und ein Flugzeug besteigt. Er führt das Konzil zu Ende als Mann, der sehr stark integrierend wirkt. Also die verschiedenen Strömungen im Konzil – progressiv, konservativ – zu integrieren versucht. Moderne Kunst schreibt er sich auf die Fahnen, und dann denke ich kommen die Jahre nach dem Konzil, die unerwartete Schwierigkeiten mit sich bringen, Priestermangel, Autoritätskonflikte, „Humanae Vitae“, und da muss er sich selber neu orientieren und neu finden.“

Die dritte Phase des Pontifikates sind nach Einschätzung des Biografen die 1970er Jahre. Viele Beobachter sehen die letzten acht Jahre Pauls VI. im Vorzeichen des Pessimismus, der Resignation, Restauration und Müdigkeit.

„Das kann ich so grob nicht sehen, weil er auch für sich ganz neue Themen entdeckt, etwa den Lebensschutz, den Schutz des menschlichen Lebens vom Anfang zum Ende. Die Würde des menschlichen Lebens. Er ist ein großer Prophet gegen den Terrorismus, bietet sich etwa als Geisel an, als das Flugzeug „Landshut“ nach Mogadischu entführt wird. Spiritualität wird ein großes Thema, Vertiefung des Glaubenswissens. All das kann ich einfach nicht verbuchen unter konservativ, resignativ, pessimistisch. Paul VI. ist wirklich jemand, der sich nach dieser Krise um 1968 herum neu erfindet und starke Impulse gibt.“

Ein erklärter Verehrer von Paul VI. ist Papst Franziskus. Sein programmatisches Schreiben „Evangelii Gaudium“, das die Marschrichtung des Papstes aus Argentinien vorgibt, klingt nicht nur schon im Titel nach dem „Evangelii Nuntiandi“ von Paul VI. Dieses Schreiben erschien 1975 und befasst sich auf geradezu prophetische Weise mit der Verbreitung des Glaubens in der Welt von heute.

„Nicht wenige halten dieses Dokument für sein stärkstes Dokument, weil es aus einer breiten Beratung entstanden ist.“

Auch die Enzyklika „Humanae Vitae“ von 1968 geht auf einen Beratungsprozess zurück. Allerdings entschloss sich Paul VI. in diesem Fall, einen eigenen Weg zu gehen. In der Frage, ob künstliche Empfängnisverhütung für die katholische Kirche zulässig ist oder nicht, hörte Paul VI. nicht auf die Mehrheit, sondern auf die Minderheit seiner Berater. Die Frage stellte sich erstmals in den späten 1950er Jahren, als die „Pille“ erst in den USA, dann Europa zugelassen wurde. Schon Johannes XXIII. rief eine kleine Kommission zur Prüfung der Frage ein.

„Paul VI. hat die Dringlichkeit erst recht gesehen und hat die Kommission auf 40 Leute erweitert, auch Laien hinzugenommen, Moraltheologen, Philosophen. Diese Kommission hat bis 1967 gearbeitet und ist mit etwa zwei Drittel Mehrheit zu dem Schluss gekommen, dass künstliche Empfängnisverhütung im Rahmen einer verantworteten Elternschaft, also in einer christlichen Familienplanung, zugelassen werden sollten. Das Ganze ist dann noch einmal überprüft worden von einer Bischofskommission, die zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen ist, auch mit großer Mehrheit. Für meine Begriffe ist für Paul VI. schon sehr viel früher klar gewesen, wie er sich entscheiden muss, und es ist für ihn auch eine Gewissensentscheidung gewesen, dass er sich so entscheiden musste, wie er sich entschieden hat.“

Paul VI. habe den Gegenwind, die fehlende Rezeption und den Widerstand in den Medien sogar vorausgesehen, sagt Ernesti.

„Er hat sich allerdings, das ist auch wieder beeindruckend, durch diese Proteste nicht beeindrucken lassen. Noch in der letzten Predigt vor seinem Tod Peter und Paul 1978 erinnert er an „Humanae Vitae“, und einem Freund vertraut er an, er habe im Gewissen richtig entschieden und würde wieder so entscheiden. Im gewissen Sinn hat das etwas Tragisches, von der Persönlichkeit her, dass er modern beginnt und auch Impulse gibt bis zuletzt, aber wahrgenommen wird als Pillen-Paul, das ist ein bisschen ungerecht, aber der Historiker kann das nur so feststellen.“

Der von der Welt enttäuschte und die Welt enttäuschende Papst: Dieses Verdikt, das Paul bis heute anhaftet, äußert sich nicht zuletzt in einer geringen Verehrung durch die Gläubigen. Ganz anders sieht es bei Johannes XXIII. aus. Jörg Ernesti fuhr einmal mit Studierenden nach Norditalien an die Geburtsorte der beiden Päpste, die nicht weit voneinander entfernt liegen.

„Sotto il Monte, Johannes XXIII., da haben Zehntausende von Müttern ihre nach guten Geburten ihre Babylätzchen aufgehängt in dem Heiligtum, und da sehen Sie Betende und Leute auf Knien und Rosenkranzstände. Fahren Sie nach Brescia, an den Geburtsort Pauls VI., dort finden Sie heute eine wissenschaftliche Bibliothek, ein Archiv und eine Sammlung moderner Kunst. Aber keine Rosenkränze, keine Betenden, keine Babylätzchen. Das ist für die Studenten eine Schockerfahrung gewesen. Aber im Grund macht es die Persönlichkeit der beiden Männer deutlich.“

Und doch sei gerade Giovanni Battista Montini - Paul VI. - ein außerordentlich mitfühlender Mann gewesen: „Ein Mann, der alle Probleme in eigener Person durchlebt“, wie einer seiner Sekretäre sagte.

„Dieser selbe Sekretär sagt, was ihm am Ende den Schlag gegeben hat: il colpo mortale, die Entführung von Aldo Moro, des Vorsitzenden der Italienischen Christdemokraten. Den er als jungen Studenten kannte und als Studenten begleitet hatte in seiner Studentengruppe. Für dessen Freilassung er sich eingesetzt hat. In diesen Wochen hat er gesundheitlich so stark abgebaut, im April, Mai 1978, weil er ein Mann ist, der die Sachen an sich heranlässt. Weil er ein Mann des Dialogs ist, ein Mann der im Gespräch war, und auch nach „Humanae Vitae“ im Gespräch geblieben ist mit denen, die das abgelehnt haben. Ein nachdenklicher Papst, der auch im Grund ein großes Gespür hat für den modernen Menschen, für Menschen, die in Großstädten leben, für moderne Künstler. Weil er selber ein Großstadtmensch gewesen ist, ein Großbürger, das ist ein liberales großbürgerliches Elternhaus gewesen in Brescia, aus dem er kommt. Das bringt er ein mit ins Papsttum. Insofern ist es schon gut, dass nicht nur Ordensgründer selig gesprochen werden, sondern auch mal Intellektuelle, und vielleicht sogar kritische Intellektuelle aus dem Großstadtmilieu.“

Auf vielen Ebenen aber war Paul VI. außerordentlich fortschrittlich: schon die Tatsache des Reisens allein. Die Besuche in der ganzen Welt waren für den Papst sehr strapaziös, erinnert Biograf Ernesti.

„Die letzte Reise ging vom Libanon bis Australien, da ist er mehrere Male kollabiert, es ist auch ein Attentat auf ihn verübt worden, das aber erfolglos war, weil er einen Bußgürtel getragen hat, einen Stahlgürtel um den Leib, das Messer, das auf ihn zielte, hat ihn nicht erreichen können, die Reisen sind strapaziös gewesen. Aber nicht als touristisches Unternehmen, sondern es steht ein theologisches Konzept dahinter. Reisen sind eine Form von Universalität der Kirche: nicht alles Ortskirchen müssen sich – und das ist dem Konzil verpflichtet – nach Rom orientieren, das wäre Zentralismus, sondern das Petrusamt muss erlebbar sein in den Kirchen, Petrus muss vor Ort gehen und dadurch die Ortskirchen aufwerten und ernstnehmen.“

Franziskus spricht Paul VI. jetzt, zum Abschluss der Synode zu Ehe und Familie, selig. Paul VI. war es, der 1965 das Instrument der Bischofssynode ins Leben rief. Auf gewisse Weise ist die Synode das vatikanische Gegenstück der Reisen des Petrus in die Welt.

„Der Wunsch nach stärkerer kollegialer Arbeit, nach Ausdrucksformen dieser Kollegialität, die man im Konzil erlebt hat, ist im Konzil selbst schon unter den Konzilsvätern laut geworden, aber die eigentlich Initiative ist von Paul VI. ausgegangen für die Synode, und die Art und Weise wie die Synode organisiert wird, trägt ja auch seine Handschrift, als beratendes Organ, als Organ, das die Weltkirche repräsentiert, nicht nur die Kurie, als ein Organ, das theologische Kompetenz von außen hier in die vatikanische Arbeit hineinträgt. Das ist ganz der Stil, der dialogische Stil Pauls VI.“

(rv 18.10.2014 ord/gs)











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