Kirchenrechtler: Neue Ansätze für wiederverheiratete Geschiedene
Das Thema wiederverheiratete Geschiedene ist zum Zwischenstand der laufenden außerordentlichen
Synode das häufigste, das in der Aula zur Sprache kommt. Das berichtete unser Redaktionsleiter
Pater Bernd Hagenkord, der als deutscher Pressesprecher der Synode fungiert und sämtliche
Wortmeldungen in der Aula mitverfolgt. Vorab galten die wiederverheirateten Geschiedenen,
die von den Sakramenten ausgeschlossen sind, als das Luxusthema der Gläubigen in den
reichen westlichen Ortskirchen. Doch zahllose Wortmeldungen in der Synode auch aus
Lateinamerika, Asien und Afrika widmen sich Hagenkord zufolge diesem Thema, das, wie
nun klar wird, ein schmerzlich empfundenes in allen Teilen der katholischen Welt ist.
Pater Markus Graulich in Rom hat neuere Forschungsergebnisse über das Thema
zusammengetragen und sie jüngst zu einem Buch gebündelt: „Zwischen Jesu Wort und Norm.
Kirchliches Handeln angesichts von Scheidung und Wiederheirat“. Graulich ist Professor
für Kirchenrecht sowie Untersekretär im Päpstlichen Rat zur Interpretation von Gesetzestexten,
in weltlichen Parallelen gesprochen also etwas wie der Staatssekretär im vatikanischen
Justizministerium. In seinem Buch bleibt die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe
unangetastet, doch weisen die Aufsätze elf verschiedener Autoren mögliche Auswege
aus dem pastoralen Dilemma der in ziviler Zweitehe verheirateten Katholiken. Pater
Graulich:
„Aus dem Bereich der Moraltheologie gibt es Ansätze zu sagen,
man bewertet auch die Beziehungsqualität. Wenn zum Beispiel die Nichtigkeit der ersten
Ehe nicht zu erklären ist, die Ehe relativ schnell gescheitert ist und der Mann, die
Frau in einer langdauernden Beziehung mit Kindern lebt, zivil verheiratet, dass man
diese Beziehungsqualität oder die Authentizität in den Blick nimmt und sagt, das hat
auch seine Bedeutung und muss berücksichtigt werden. Es gibt auch unterschiedliche
Ansätze von Pastoraltheologie mit Einklang der Ethik, man übt da die Barmherzigkeit
nach dem, wie man sich das orthodoxe Modell vorstellt, und lässt sie dann zu. Manchmal
hat das den Eindruck der billigen Gnade – kommt doch alle zu mir oder so ähnlich:
Ich glaube, das wird den Lebensrealitäten auch nicht gerecht.“
Die orthodoxe
Schwesterkirche toleriert bei ihren Gläubigen nach einer gescheiterten Ehe bis zu
zwei weitere Ehen mit Bußcharakter. Ein weiterer bemerkenswerter Ansatz zur Wiederzulassung
zu den Sakramenten kommt aus der Kirchenrechtswissenschaft. Graulich:
„Ich
habe es in meinem Beitrag versucht über das Rechtsinstitut der sogenannten Dissimulatio
zu lösen, die im Einzelfall sozusagen von der kirchlichen Norm absieht, ohne sie aber
deshalb in Frage zu stellen. Also man würde im Einzelfall sagen, diese konkrete Person
darf wieder zu den Sakramenten gehen, ohne dass man diese Lebensweise gutheißt oder
sich über diese Beziehung äußert.”
Das Thema, das in der Synodenaula am
dritthäufigsten auftaucht (an zweiter Stelle kommt laut Hagenkord die Frage der Polygamie
in Afrika zu Sprache), ist das der kirchlichen Verfahren zur Ehenichtigkeit, das mit
dem der wiederverheirateten Geschiedenen zusammenhängt. Stellen die Kirchengerichte
nämlich fest, dass die erste Ehe nie bestand, dann – und nur dann – steht einer weiteren
kirchlichen Ehe nichts im Weg. Viele Sprecher und Sprecherinnen der Synode wünschen
raschere und kürzere Ehenichtigkeitsverfahren. Pater Graulich erhebt an diesem Punkt
Einspruch. Er urteilte als Richter am Berufungsgericht der römischen Rota in zahlreichen
Nichtigkeitsverfahren und bezweifelt, dass ein schnelles Verfahren immer auch ein
gerechtes Verfahren ist.
„Wir müssen im Prozess sicherstellen, dass sowohl
beide Parteien gehört werden können als auch die Möglichkeit haben Beweise vorzulegen
bzw. Zeugen zu benennen. Das dauert einfach seine Zeit. Das Gericht hat nur so und
so viel Personal, manchmal sagen Zeugen Termine ab, undsoweiter. Die Dynamik eines
Prozesses hängt von vielen Faktoren ab. Die Problematik, die ich sehe, ist dass man
die Ausgewogenheit des kirchlichen Prozesses, die ihn bisher kennzeichnete, verliert.” Die Ausgewogenheit des Ehenichtigkeitsverfahrens ist bisher dadurch sichergestellt,
dass man einmal ein Richterkollegium hat, das entscheidet. Es ist mit drei Richtern
besetzt. Danach geht jede Causa an die zweite Instanz – was Zeit kostet.
„Ein
zweites Gericht schaut unabhängig vom ersten nochmal auf die Akten schaut. Es kann
das Urteil bestätigen, aber auch revidieren, und in diesem Fall geht es in die dritte
Instanz. Natürlich sind das lange Wege, aber wir müssen auch bedenken, nicht immer
ist die Entscheidung in erster Instanz für die Nichtigkeit. Es kann auch passieren,
dass das Gericht in erster Instanz sagt, nein, wir finden keine Gründe für die Nichtigkeit.
Das Gericht in zweiter Instanz lädt dann neue Zeugen vor und kommt zu einem anderen
Urteil, nämlich dass die Ehe nichtig war. Es ist nicht immer zum Nachteil der Parteien,
dass die Sache nochmal angeschaut wird von jemanden, der einen ganz neutralen Blick
hat und zunächst nur die Akten liest.”
Verschiedentlich kam auch der Vorwurf,
es sei nicht zulässig, dass Richter in der zweiten Instanz allein aufgrund der Aktenlage
entscheiden.
„Da sage ich aus meiner Erfahrung als Richter, es ist manchmal
besser, die Person nicht zu kennen, um ein objektives und wirklich ausgewogenes Urteil
zu haben. Denn auch wenn ich in Anhörungen die Personen kennenlerne, können sich Sympathien
oder Antipathien entwickeln, die dann unbewusst in mein Urteil eingehen. Wenn man
die Akten liest, kommt man oft zu einer objektiveren Einschätzung, als wenn man die
Person kennt.“