Die Mitgliedstaaten der EU nutzen nach Ansicht des Migrationsexperten Stefan Keßler
ihre Kapazitäten zum Schutz von ankommenden Flüchtlingen nicht aus. „Wir müssen dringend
etwas tun. Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung“, sagte der Experte beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst
(JRS) Europa am Dienstag in Brüssel. Die Situation in den Flüchtlingscamps, etwa in
Sizilien, sei dramatisch, den Menschen fehle jede Perspektive. Es sei ein ureuropäisches
und auch urchristliches Gebot, Menschen in Not zu helfen.
Bislang sei Italien
mit den dort ankommenden Flüchtlingen weitgehend auf sich gestellt, kritisierte Keßler.
Das Wort Solidarität werde in der EU zwar häufig verwendet, jedoch selten umgesetzt.
„Die Italiener sind überfordert, aber sie müssen auch selbst deutlicher mitteilen,
dass sie Hilfe benötigen“, so Keßler.
Um einheitliche Standards bei der Aufnahme
von Flüchtlingen in den EU-Staaten zu gewährleisten und ein gemeinsames Asylsystem
zu entwickeln, müsse auch definiert werden, wer als Flüchtling gelten und wie Schutz
aussehen könne. Die EU müsse mit einer Stimme auf die Flüchtlingskrise antworten und
die Integration von Schutzsuchenden an erste Stelle setzen, sagte Keßler.
Verhältnismäßig
geringe Flüchtlingszahlen in Europa Auf die gesamte EU gesehen sei die
Zahl der ankommenden Flüchtlinge sehr gering, sagte der JRS-Experte weiter. Einige
Mitgliedstaaten hätten im vergangenen Jahr weniger als 250 Flüchtlinge aufgenommen.
„Im Libanon ist einer von vier Menschen ein Flüchtling. Stellen Sie sich das doch
mal für ein Land in Europa vor“, so Keßler. Er schlug vor, jedem Flüchtling die Wahl
zu lassen, in welchem Land er den Asylantrag stellen möchte. „Flüchtlinge wollen dorthin,
wo bereits Familienangehörige sind oder wo sie auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen
können“, sagte der Experte.