Das Evangelium, das wir gehört haben, wollen wir heute als Frohe Botschaft der Begegnung
von Jung und Alt aufnehmen: einer Begegnung, die von Freude, von Glaube und Hoffnung
erfüllt ist.
Maria ist jung, sehr jung. Elisabeth ist in vorgerücktem Alter,
aber an ihr hat sich das Erbarmen Gottes gezeigt. Seit sechs Monaten erwartet sie
gemeinsam mit ihrem Gatten Zacharias ein Kind.
Maria zeigt uns auch in diesem
Zusammenhang den Weg: Sie sucht die betagte Verwandte auf, sie will bei ihr sein,
sicher um ihr zu helfen, aber auch und vor allem, um von ihr, der Älteren, eine Weisheit
des Lebens zu lernen.
Die erste Lesung lässt mit einer Vielfalt von Ausdrücken
das vierte Gebot wiederhallen: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange
lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt“ (Ex 20,12). Ein Volk
hat keine Zukunft, wenn es diese Begegnung zwischen den Generationen nicht gibt, wenn
die Kinder nicht mit Dankbarkeit den Staffelstab des Lebens aus der Hand ihrer Eltern
ergreifen. Und in dieser Dankbarkeit für den, der dir das Leben gegeben hat, ist auch
die Dankbarkeit für den Vater, der im Himmel ist.
Es gibt gelegentlich Generationen
von jungen Leuten, die aus vielschichtigen historischen und kulturellen Motiven in
stärkerem Maße die Notwendigkeit verspüren, sich gegenüber ihren Eltern selbständig
zu machen, sich gewissermaßen vom Vermächtnis der vorherigen Generation zu „befreien“.
Es ist wie ein Moment rebellischer Jugend. Aber wenn der Kontakt nicht wieder aufgenommen
wird und man ein neues fruchtbares Gleichgewicht zwischen den Generationen wiederfindet,
ergibt sich für das Volk eine schwerwiegende geistige Verarmung, und die Freiheit,
welche in der Gesellschaft vorherrscht, ist eine falsche Freiheit, die sich fast immer
in ein autoritäres System verwandelt.
Die gleiche Botschaft erhalten wir aus
der Aufforderung des Apostels Paulus an Timotheus und durch ihn an die christliche
Gemeinde. Jesus hat das Gesetz der Familie und des Übergangs der Generationen nicht
aufgehoben, sondern zur Vollendung geführt. Der Herr hat eine neue Familie geformt,
in der die Beziehung zu ihm und das Tun des Willens Gottes, des Vaters, wichtiger
als die Blutsbande sind. Doch die Liebe zu Jesus und zum Vater führt die Liebe zu
den Eltern, Geschwistern und Großeltern zur Vollendung. Sie erneuert die familiären
Beziehungen mit dem Saft des Evangeliums und des Heiligen Geistes. Daher empfiehlt
der heilige Paulus dem Timotheus, der selbst Hirte und folglich Vater der Gemeinde
ist, den älteren Menschen wie den Angehörigen Respekt entgegenzubringen. Er ermahnt
Timotheus, dies mit der Einstellung eines Sohnes zu tun: einem älteren Mann „wie einem
Vater“ zuzureden und „mit älteren Frauen wie mit Müttern“ zu reden (vgl. 1 Tim
5,1f). Dies ist der Wille Gottes, von dem der Leiter der Gemeinde nicht entbunden
ist. Im Gegenteil, die Liebe Christi drängt ihn, seine Aufgaben mit einer größeren
Hingabe zu tun. Er handelt wie die Jungfrau Maria. Obwohl sie die Mutter des Messias
wurde, fühlte sie sich von der Liebe Gottes angestoßen, der im Begriff ist in ihr
Mensch zu werden, und eilte zu ihrer betagten Verwandten.
Kehren wir also zu
dieser von Freude und Hoffnung, von Glaube und Liebe erfüllten „Ikone“ zurück. Wir
können uns vorstellen, dass die Jungfrau Maria während ihres Aufenthalts im Haus der
Verwandten diese Elisabet mit ihrem Mann beten gehört hat, vielleicht mit den Worten
des heutigen Antwortpsalms: „Herr, mein Gott, du bist ja meine Zuversicht, meine Hoffnung
von Jugend auf. … Verwirf mich nicht, wenn ich alt bin, verlass mich nicht, wenn meine
Kräfte schwinden. … Auch wenn ich alt und grau bin, o Gott, verlass mich nicht, damit
ich von deinem machtvollen Arm der Nachwelt künde, den kommenden Geschlechtern von
deiner Stärke“ (Ps 71,5.9.18). Die junge Maria hörte und bewahrte alles in
ihrem Herzen. Die Weisheit der Elisabet und des Zacharias hat ihr junges Gemüt bereichert.
Sie waren keine Experten für Mutterschaft oder Vaterschaft, denn auch für sie war
es die erste Niederkunft. Aber sie waren erfahren im Glauben, erfahren im Leben mit
Gott, erfahren in jener Hoffnung, die von Ihm her kommt: Diese hat die Welt nötig,
in jedem Zeitalter. Maria wusste jenen alten Eltern zuzuhören, die voll des Staunens
waren. Sie hat sich deren Weisheit zunutze gemacht auf ihrem Weg als Frau, als Braut
und als Mutter.
So zeigt Maria uns den Weg, den Weg der Begegnung zwischen
den Jungen und den Alten. Die Zukunft eines Volkes setzt notwendig diese Begegnung
voraus: Die jungen Menschen geben die Kraft, um das Volk zum Weitergehen zu bewegen.
Die Alten vermehren diese Kraft mit dem Gedächtnis und der Weisheit des Volkes.