Zeit und Ewigkeit
– darüber sprechen in der italienischen Stadt Bologna seit Freitagabend Glaubende
und Nichtglaubende. Der „Vorhof der Völker“, geleitet von Kurienkardinal Gianfranco
Ravasi, sucht auf hohem Niveau das Gespräch mit Atheisten, Agnostikern, Nichtglaubenden.
Was ist das, Zeit?, fragten wir also den belesenen Kardinal Ravasi.
„Anders
als viele andere religiöse Systeme – etwa indianische Denksysteme, die gar nicht die
Kategorie Zeit entwickelt haben, sondern nur die Kategorie Ewigkeit – kennt das christliche
Denken eine Art Vernetzung zwischen Zeit und Ewigkeit. Gott ist nicht nur in den Himmel
seiner Transzendenz gesperrt, er tritt ein in die Geschichte. Und darum ist die Ewigkeit
schon bis zu einem gewissen Grad im Innern der Gegenwart anwesend. ‚Das Wort ist Fleisch
geworden’: Das Wort, das bei Gott war, das Gott war, ist Fleisch geworden, also Geschichte,
Menschsein, Zerbrechlichkeit.“
Zeit und Ewigkeit gehören also zusammen.
Und das hat aus christlicher Sicht eine wichtige Folge für unser Gottesbild, so der
Kardinal:
„Gott ist nicht weit weg oder abstrakt, der Christ braucht also,
um ihn zu erreichen, nicht zu anderen Realitäten aufzubrechen, sondern kann im Innern
des Heute leben – hier kommt jetzt die Moral ins Spiel –, weil Gott sich im Heute
offenbart. Die Treue zum Heute ist also grundlegend. Und darum legt das Johannesevangelium
großen Wert auf die ‚Stunde’: Die ‚Stunde’ Jesu ist der Moment, in dem sich Zeit und
Ewigkeit überschneiden. Jeder unserer Momente kann in sich eine Offenbarung Gottes
tragen – die gilt es zu erkennen. Auch wenn die große Krankheit unserer heutigen Gesellschaft,
die Gleichgültigkeit, die Oberflächlichkeit uns daran hindert.“
Das hört
sich, bis hierhin, ziemlich theoretisch an. Konkreter wird`s, wenn man Ravasi darauf
anspricht, was sich viele Katholiken und Nichtkatholiken nach Darstellung der Medien
von Papst Franziskus und der Kirche wünschen: nämlich einen Bruch mit der Vergangenheit,
eine Anpassung der Kirche ans Heute.
„Die Kirche balanciert während ihres
historischen Abenteuers immer auf einem schmalen Grat: Auf der einen Seite liegen
die ewigen Prinzipien, die natürlich bleiben und bleiben müssen. Es sind übrigens
sehr viel weniger, als viele behaupten! Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen,
dass die Prinzipien um der Menschen willen da sind, und als solche werden sie sozusagen
Fleisch und tragen die Last des Täglichen und der Geschichte. Die Kirche muss immer
wieder von neuem dafür sorgen, dass diese Prinzipien herabsteigen, manchmal auch entstaubt
werden; sie sollen ja Lichter sein, die den Weg der Geschichte hell machen. Darum:
Änderungen, Variationen, immer neue Aufmerksamkeit für die Fragen, die sich die Menschheit
ununterbrochen auf ihrem Weg durch die Jahrhunderte stellt.“