Papst über „Evangelii Gaudium“ - Es geht darum, Wunden zu verbinden
„Wie viele Menschen
da draußen leben mit großem Leid und erhoffen sich von der Kirche ein Zeichen der
Nähe, der Güte, der Solidarität und der Barmherzigkeit des Herrn“. Das ist Franziskus,
hundert Prozent Franziskus: An diesem Freitagnachmittag empfing der Papst Teilnehmer
eines Kongresses, die im Vatikan über sein programmatisches evangelisches Schreiben
„Evangelii Gaudium“ sprachen. Anne Preckel hat dem Papst zugehört.
Die Menschen
brauchen euch, kommt ihnen entgegen – das war, auf den Punkt gebracht, die Botschaft
von Franziskus‘ Ansprache. Vor Kirchenleuten, die allesamt in der Pastoral wirken,
zeichnete der Papst den „pastoralen Entwurf“ seines apostolischen Schreibens Evangelii
gaudium nach. An den menschlichen Peripherien der heutigen Zeit gibt es laut Franziskus
alle Hände voll zu tun: Der Papst sprach hier nicht nur äußere Widrigkeiten wie Armut
und Ausgrenzung an – auch innere Leere und die menschliche Suche nach einem Halt waren
sein Thema.
„Wie viele Menschen in den unzähligen existenziellen Randgebieten
unserer Tage sind müde und ausgelaugt und warten auf die Kirche, sie warten auf uns!
Wie können wir sie erreichen? Wie können wir mit ihnen die Erfahrung des Glaubens
teilen, die Liebe Gottes, die Begegnung mit Jesus? Das ist die Verantwortung unserer
Gemeinschaften und unserer Pastoral.“
Bischöfe, Priester, Diakone, Katecheten
und Katechetinnen – die gesamte Kirche sei gefragt, „weise und großzügig“ auf die
dringendsten pastoralen Bedürfnisse der heutigen Zeit zu antworten: „Die Zeichen der
Zeit zu erkennen und zu lesen“, formulierte der Papst, auch die Sehnsucht der Menschen
nach spirituellem Trost und Heimkehr in ein Zuhause, das sie mit offenen Armen empfängt.
Erneut verglicht der Papst die Kirche hier mit einem „Feldlazarett“, in dem Wunden
verbunden werden - es brauche ein „Zeugnis der Nähe“, so der Papst.
„Wie
viel Armut und Einsamkeit sehen wir leider in der heutigen Welt! Wie viele Menschen
leben mit großem Leid und erhoffen sich von der Kirche Nähe, Güte, Solidarität und
Barmherzigkeit des Herrn.“
Um welchen Preis?
Die
Kirche dürfe sich dabei nicht von den vielen offenen Wunden im Körper des Kirchenvolkes
abschrecken lassen und sich in sich selbst zurückziehen, mahnte der Papst. Sonst drohten
sich „Angst und Abwehr“ in eine Haltung zu übersetzen, die die Gläubigen und die Kirche
nicht zueinander bringe, sondern sie voneinander entferne. Regeln seien hier nicht
mit der Essenz des Glaubens zu verwechseln, der erhobene Zeigefinger sei eine Versuchung,
„gönnerhaft“ und klerikal“ zu werden.
„Dieses Kodifizieren des Glaubens
in Regeln und Anweisungen, wie es die Schriftgelehrten, die Pharisäer und die Gesetzeshüter
taten. Alles ist dann klar und ordentlich, aber das gläubige und suchende Volk wird
weiter Hunger und Durst nach Gott haben.“
Der Papst hob weiter hervor,
es gebe innerhalb „der vielen negativen Realitäten“ auch „viele Anzeichen, die Mut
machen und Hoffnung geben“. Diese Keime müssten gehegt und gepflegt, in „konkretes
Engagement“ verwandelt werden, so der Papst, um das „Reich Gottes wachsen zu lassen“
– dafür sei die Zeit heute reif.
Einsatz bitte! Immer und überall
Unerlässlich
dabei sei freilich voller und beständiger Einsatz, erinnerte Franziskus mit dem Gleichnis
von den Arbeitern im Weinberg aus dem Matthäusevangelium. Der Gutsbesitzer, von dem
im Gleichnis die Rede ist, habe „seine ganze Zeit damit verbracht, nach Arbeitern
für seinen Weinberg zu suchen, so der Papst. Seine Unermüdlichkeit sei ein Vorbild
für Kirche heute, fuhr Franziskus fort:
„Zu verschiedenen Tageszeiten rausgehen,
um diejenigen zu treffen, die den Herrn suchen. Die Schwächsten und Benachteiligten
erreichen, um ihnen die Unterstützung zu geben, sich im Weinberg des Herrn nützlich
zu fühlen, sei es auch nur für eine Stunde.“
Die Pastoral dürfe dabei aber
auch nicht zu einer „krampfhaften Serie von Initiativen“ werden, die am Sinn und Zweck
der Evangelisierung vorbeigingen, warnte der Papst. Qualität sei hier wichtiger als
Quantität, erinnerte er. Hyperaktivität und pastorale Aktivitäten „in Serie“ gingen
in der Kirche nicht selten an den Menschen vorbei. Der Papst warnte hier:
„Eine
Pastoral, die nicht diese Aufmerksamkeit hat, wird mehr und mehr steril.“
Ebenso
wenig könne eine Pastoral ohne Gebet auskommen: Das Vertrauen in Gott und die Kontemplation
gäben den Seelsorgern Kraft bei Schwierigkeiten und Enttäuschungen und gehörten –
wie Geduld und Beharrlichkeit – zur Ausrüstung eines „guten Hirten“, so der Papst.
Wesentlich sei stets das Zeugnis, erinnerte er abschließend:
„Worte ohne
Zeugnis gelten nicht und sind unnütz. Das Zeugnis gibt dem Wort Gültigkeit.“