D: „Mehr Selbstkritik und Modernisierung der Muslime gefordert"
Timo Güzelmansur
ist als Direktor der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle
(Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz) in Deutschland ein Spezialist, wenn
es um die Beziehung und auch die Konflikte der Christen und Muslime geht. Er sieht,
dass die Abgrenzung zu IS für alle Muslime eine Herausforderung ist, denn die Terroristen
werben damit, den richtigen Islam zu vertreten und er propagiert eine „Modernisierung
des Islams“ und eine neue Selbstkritik der Muslime .
Viele wichtige Islamvertreter
äußern sich, viele aber auch nicht. Der Präfekt der Ostkirchenkongregation Kardinal
Leonardi Sandri lobte nun in Washington den Großmufti von Saudi Arabien und den Großmufti
der ägyptischen Al-Azhar Universität in Kairo, da sie beide IS verurteilen. Müssten
alle islamischen Vertreter IS verurteilen? Denken Sie, es wird genug getan? Sind manche
vielleicht nur halbherzig?
„Meines Erachtens ist es ein erster sehr wichtiger
Schritt, dass vor allem wichtige einflussreiche muslimische religiöse Führer im islamischen
Staat sich davon distanzieren. Wir müssen aber im Fall des Großmufti von Saudi-Arabien
aufhorchen, wenn er so etwas sagt. Denn wir haben noch im Kopf vor zwei Jahren, Anfang
2012, hat das gleiche Amt eine Fatwa erlassen, ein religiöses Gutachten, dass auf
den arabischen Halbinsel keine Kirchen gebaut werden dürfen und die bestehenden zerstört
werden sollten. Und wenn das gleiche Amt heute so eine Erklärung abgibt, dann müssen
wir uns fragen: Wie glaubwürdig ist so eine Erklärung? Wenn wir nach Saudi-Arabien
schauen, sehen wir, dass dort keine Religionsfreiheit herrscht und keine andere Lesart
des Islams zugelassen wird als die Wahhab, also eine strenge Auslegung des Koran,
und andere islamische Konfessionen werden nicht zugelassen."
Aber ist eine
klare Abgrenzung ist möglich?
„Gemäßigte Muslime sollten eine fundierte
theologische Stellungnahme abgeben, warum diese religiöse Auslegung einen Missbrauch
der Religion darstellt. Ein gemäßigter Muslim in Deutschland hat vor ein paar Tagen
gesagt, dass diese Extremisten das gängige Islamverständnis nur überspitzen und radikalisieren.
In anderen Worten, ihre Haltung zum Umgang mit Ungläubigen, zum islamischen Staat,
zur religiösen Gemeinschaft der Muslime zur Rolle von Mann und Frau unterscheiden
sich nur graduell, aber nicht prinzipiell. Wir sehen da eigentlich keine klare Abgrenzung.
Die Basis, auf die sich die Extremisten berufen, ist das Gleiche, was man auch in
den Moscheen findet. Und da ist meines Erachtens von muslimischer Seite Selbstkritik
gefragt und neue Interpretation der religiösen Quellen.“
In manchen europäischen
Ländern werden islamischen Institutionen dazu lediglich gezwungen, also es wird von
ihnen erwartet, Stellung zu beziehen. Halten Sie das für richtig? Kann das das Misstrauen
zwischen Christen und Muslimen vergrößern?
„Wir können selbstverständlich
nicht die Muslime, die in Europa leben, dafür haftbar machen, was im Nahen Osten passiert.
Wir können aber, glaube ich, uns wünschen, dass hier in Europa lebende muslimische
Organisationen dazu Stellung nehmen und sagen, wie sie dazu stehen und wie sie zum
Bespiel die Jugend in Österreich, in Deutschland, in der Schweiz oder wo auch immer
vor dieser Radikalisierung beschützen wollen."