Ukraine/Russland: „Ohne schärfere Sanktionen kein Friede“
Russland sollte „endlich mit Taten statt mit Worten“ zum Ende des Krieges mit der
Ukraine gedrängt werden. Diesen eindringlichen Appell hat der römisch-katholische
Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk geäußert; er ist Leiter der die gesamte Ostukraine
umfassenden Diözese Charkiw-Saporischja. Die von der EU angekündigte Verschärfung
der Sanktionen gegen Russland sei notwendig, so der Geistliche im Gespräch mit Kathpress:
Europa sei bisher viel zu wenig konkret gewesen, habe zu lange gezögert und „stets
nur gerechnet, ob das nicht zu teuer kommt“, so Szyrokoradiuk wörtlich. Ohne Einlenken
gehe Europa das Risiko ein, dass sich der Konflikt bald nicht mehr bloß auf die Ukraine
beschränke, wie schon der Abschuss eines Passagierfliegers durch Rebellen angedeutet
habe.
Skeptisch äußerte sich Bischof Szyrokoradiuk, der zugleich Präsident
der römisch-katholischen „Caritas-Spes“ der Ukraine ist, über ein Andauern der am
Freitagabend begonnenen Waffenruhe zwischen den Kriegsparteien. „Jeder Friede ist
zwar gut, doch glaubt niemand in der Ukraine ernsthaft, dass Russland ohne Unterstützung
der Ukraine aus dem Westen dauerhaft Ruhe gibt. Die Lügen und Aggressionen gehen weiter,
und jeden Tag auch die schlechten Nachrichten, dass Menschen sterben.“ Fast 3.000
Todesopfer forderten die Kämpfe in der Ostukraine bereits bis Ende August laut UN-Angaben.
Alle
derzeitigen Kriegsschauplätze gehören zu der 2002 errichteten Diözese von Bischof
Szyrokoradiuk. Katholiken gebe es hier nur wenige, etwa in den drei Donezker Pfarren
nur einige Tausend. Viele von ihnen seien inzwischen geflohen, viele im Krieg gestorben,
berichtete der Bischof. „Auch Kirchen sind zerstört, doch Gebäude kann man wieder
aufbauen.“ Christsein sei gefährlich angesichts der russischen Agitation gegen die
katholische Kirche: „Man bezichtigt uns des Terrorismus“. Seinen Priestern habe er
angeordnet, die Kriegsregion zu verlassen, seien doch bereits zwei von ihnen von den
Separatisten verhaftet worden und nur infolge großer Anstrengungen wieder freigekommen.
Flüchtlinge
hungern Während in der Metropole Charkiw die Regierungsarmee für Ruhe sorge,
sei die Situation 300 Kilometer weiter südöstlich im kriegszerstörten Lugansk entsetzlich:
„Es gibt dort keinen Strom mehr und schon seit einem Monat kein Wasser. Was jetzt
bevorsteht, ist eine humanitäre Katastrophe“, warnte der Caritas-Präsident. Kirchliche
Hilfeleistungen seien hier aufgrund der Besetzung durch Separatisten und russische
Soldaten momentan nicht möglich. Besorgt äußerte sich der Bischof auch über die
Lage der Flüchtlinge aus den Kriegsregionen. 260.000 von ihnen sind laut UN-Angaben
in der Ukraine registriert, ihre Gesamtzahl wird mit über einer Million beziffert,
viele andere sind zudem bei Verwandten oder Bekannten in anderen Landesteilen untergekommen.
„Es gibt ein großes staatliches Programm, um mit dieser Situation zurechtzukommen,
wobei etwa in Charkiw frühere Militärkasernen oder leerstehende Waisenhäuser als Unterkünfte
genutzt werden“, berichtete Szyrokoradiuk. Auch die verschiedenen Kirchen beteiligen
sich an der Flüchtlingsversorgung, darunter die Caritas, die in ihren Zentren Menschen
aus Lugansk aufgenommen hat. Die Hilfe stoße jedoch an Kapazitätsgrenzen und die Lage
spitze sich zu: „Viele Leute haben einfach Hunger, und es ist schwierig für sie, zumindest
ein Mittagessen zu finden“, so der Bischof. In Charkiw stellt die römisch-katholische
Kirche täglich 200 Mittagessen zur Verfügung, ähnlich die anderen Konfessionen. Derzeit
errichte die Caritas Zentren für die Hilfsgüterverteilung. „Der Winter kommt, und
viele Leute werden vor allem warme Kleidung und Schuhe brauchen. Jede Hilfe aus dem
Westen brauchen wir dringend.“
In Südrussland kümmerten sich die Diözesen
der römisch-katholischen Kirche von Saratov um Flüchtlinge aus der Ukraine. Das berichtete
der Pressesprecher des römisch-katholischen Bistums Moskau im Gespräch mit Radio Vatikan.
Gläubige in Moskau spendeten Geld und Hilfsmittel, die für die Flüchtlinge aus der
Ukraine bestimmt seien, berichtete Pater Kyrill Gorumov weiter. Über die mediale
Berichterstattung westlicher und russischer Medien äußerte sich der Pressesprecher
kritisch. Die Medien würden in dem Konflikt als „Waffe“ benutzt: „Man hat den Eindruck,
auf allen Seiten fehlt etwas. Wenn man die westlichen Medien liest oder das Fernsehen
anschaut, dann sieht das alles sehr oberflächlich aus. Wenn man die russischen Medien
sieht, dann hat man auch den Eindruck, dass es nicht um Information geht, sondern
darum, den Eindruck zu erwecken, die einen sind gut und die anderen schlecht.“ Das
würde viele Bürger in die Situation bringen, dass sie „keine kompetente Meinung darüber
haben können, was geschieht“, so Gorumov: „Das führt zu einfachen Antworten auf sehr
schwierige Fragen.“
Kein Krieg der Kirchen Russland nehme
es der Ukraine weiterhin übel, dass sie „anders leben möchte“ und auf dem Maidan eine
Gesellschaft gefordert hatte, die sich an der EU orientiert, erklärte Bischof Szyrokoradiuk
gegenüber Kathpress. Der Bischof war selbst bei den Kiewer Protesten aufgetreten.
Mit der Maidan-Bewegung habe die Ukraine eine „große Chance“ bekommen, „doch wir haben
nicht gedacht, dass wir Russland derart ausgeliefert sind“. Russlands Präsident Vladimir
Putin besitze in seinem Land weiterhin Rückhalt mit über 70 Prozent Zustimmung, dies
könne sich jedoch schnell umkehren, so die Hoffnung des Bischofs, der dem Franziskanerorden
angehört.
Deutlich zurückhaltend fiel die Kritik Szyrokoradiuks an der russisch-orthodoxen
Kirche aus: Zwar gebe es in der Ukraine häufig Diskussionen zwischen Ost- und Westkirche,
aber seien dies keinesfalls Konflikte, die zum Krieg führen würden. „Die katholische
und die orthodoxe Kirche beten gemeinsam um Frieden. Wir tun dies landesweit in den
Kirchen, im Radio oder in vielen Gebetsgruppen, oft die ganze Nacht hindurch.“ Wenngleich
sich die russisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats nicht an den ökumenischen
Friedensgebeten beteilige: Der Krieg verlaufe nicht zwischen den Religionen, noch
gebe es innere Konflikte in der Ukraine, wie von russischer Seite dargestellt werde.
„Der Konflikt besteht mit Russland“, betonte der Bischof. (kap/rv 07.09.2014 pr)