Die Papst-Rede an die asiatischen Bischöfe in Haemi
Die Ansprache
des Papst Franziskus bei der Begegnung mit den asiatischen Bischöfen, gehalten in
Haemi beim Heiligtum der Märtyrer, am 17. August 2014. Es handelt sich um eine offizielle
Übersetzung.
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
ein herzlicher
und brüderlicher Gruß im Herrn euch allen, da wir uns an diesem heiligen Ort versammeln,
wo so viele Christen ihr Leben in Treue zu Christus hingegeben haben. Ihr Zeugnis
der Liebe hat nicht nur für die Kirche in Korea, sondern auch über sie hinaus Segen
und Gnade gebracht; möge ihre Fürsprache uns helfen, treue Hirten der Seelen zu sein,
die unserer Sorge anvertraut sind. Ich danke Kardinal Gracias für seine freundlichen
Worte der Begrüßung und für die Arbeit der Föderation der asiatischen Bischofskonferenzen
zur Unterstützung der Solidarität und zur Förderung eines wirkungsvollen pastoralen
Aufbruchs in euren Ortskirchen.
In diesem weiten Kontinent, in dem eine
große Vielfalt an Kulturen beheimatet ist, ist die Kirche gerufen, in ihrem Zeugnis
für das Evangelium beweglich und kreativ zu sein durch Dialog und Offenheit allen
gegenüber. Der Dialog ist tatsächlich „ein wesentlicher Bestandteil der kirchlichen
Sendung“ in Asien (Ecclesia in Asia, 29). Doch wenn wir den Weg des Dialogs
mit Einzelnen und mit Kulturen einschlagen, was sollte dann unser Ausgangspunkt und
der grundlegende Bezugspunkt sein, der uns zum Ziel führt? Sicherlich unsere eigene
Identität, unsere Identität als Christen. Wir können uns nicht an einem wirklichen
Dialog beteiligen, wenn wir uns unserer eigenen Identität nicht bewusst sind. Noch
kann es einen echten Dialog geben, wenn wir nicht fähig sind, Geist und Herz mit
Einfühlungsvermögen und echter Empfänglichkeit denen zu öffnen, mit denen wir sprechen.
Ein klares Gefühl der eigenen Identität und die Fähigkeit zur Einfühlung sind also
der Ausgangspunkt für jeden Dialog. Wenn wir frei, offen und fruchtbringend mit anderen
zu reden haben, müssen wir uns klar sein, wer wir sind, was Gott für uns getan hat
und was er von uns verlangt. Und wenn unsere Kommunikation kein Monolog sein soll,
müssen Geist und Herz sich öffnen, um Einzelne und Kulturen anzunehmen.
Die
Aufgabe, unsere Identität zu bestimmen und auszudrücken, erweist sich jedoch nicht
immer als leicht, da wir als Sünder, die wir sind, immer vom Geist der Welt versucht
sein werden, der sich auf vielerlei Weise zeigt. Drei davon möchte ich aufzeigen.
Eines ist das trügerische Licht des Relativismus, der den Glanz der Wahrheit verdunkelt
und, indem er den Boden unter unseren Füßen zum Wanken bringt, uns in den Treibsand
der Verwirrung und Verzweiflung zieht. Es ist eine Versuchung, die heutzutage auch
christliche Gemeinschaften befällt und die Menschen vergessen lässt, dass es in einer
Welt schneller und desorientierender Veränderungen „viel Unwandelbares“ gibt, das
„seinen letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit“
(Gaudium et spes, 10; vgl. Hebr 13,8). Ich spreche hier nicht bloß vom
Relativismus als einer Denkweise, sondern von jenem alltäglichen praktischen Relativismus,
der fast unmerklich unser Identitätsgefühl untergräbt.
Eine zweite Weise,
wie die Welt die Festigkeit unserer christlichen Identität bedroht, ist die Oberflächlichkeit,
eine Neigung, mit der Mode zu gehen, sich mit Schnickschnack und Ablenkungen zu beschäftigen,
anstatt auf das zu achten, worauf es wirklich ankommt (vgl. Phil 1,10). In
einer Kultur, die das Kurzlebige verherrlicht und so viele Ausweichmöglichkeiten und
Fluchtwege bietet, kann dies ein ernstes pastorales Problem darstellen. Für die Diener
der Kirche kann sich das auch bemerkbar machen in einem Entzücken über Pastoralprogramme
und -theorien auf Kosten einer direkten, fruchtbaren Begegnung mit unseren Gläubigen,
besonders mit den Jugendlichen, die eine solide Katechese und eine gesunde geistliche
Führung brauchen. Ohne eine Verankerung in Christus können die Wahrheiten, aufgrund
derer wir unser Leben gestalten, allmählich dahinschwinden, die Übung der Tugenden
in der Form erstarren, und der Dialog kann zu einer Art Verhandlung herabgesetzt oder
auf eine Einigung über die Uneinigkeit reduziert werden.
Und dann gibt
es noch eine dritte Versuchung: die der scheinbaren Sicherheit, die man darin findet,
sich hinter leichten Antworten, vorgebildeten Formeln, Regeln und Vorschriften zu
verstecken. Der Glaube ist von Natur aus nicht mit sich selbst beschäftigt; er „geht
hinaus“. Er sucht Verständnis, löst Zeugnis aus, bringt Mission hervor. In diesem
Sinn befähigt uns der Glaube, sowohl furchtlos als auch bescheiden zu sein in unserem
Zeugnis der Hoffnung und der Liebe. Der heilige Petrus sagt uns, dass wir stets bereit
sein sollen, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach dem Grund der Hoffnung fragt,
die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Unsere Identität ist letztlich an unseren
stillen Bemühungen zu sehen, Gott allein anzubeten, einander zu lieben, einander zu
dienen und durch unser Beispiel nicht nur zu zeigen, was wir glauben, sondern auch,
worauf wir hoffen, und Denjenigen sichtbar zu machen, dem wir vertrauen (vgl. 2
Tim 1,12).
Noch einmal: Unser lebendiger Glaube an Christus ist das,
was unsere eigentliche Identität darstellt; das ist der Ausgangspunkt für unseren
Dialog, und das ist es, was wir zu teilen berufen sind, aufrichtig, ehrlich und ohne
Anspruch, im Dialog des Alltags, im Dialog der Liebe und in jenen formelleren Gelegenheiten,
die sich von selbst ergeben können. Da Christus unser Leben ist (vgl. Phil
1,21), lasst uns „von ihm her und über ihn“ sprechen, bereitwillig und ohne Zögern
oder Furcht. Die Einfachheit seines Wortes wird deutlich in der Einfachheit unseres
Lebens, in der Einfachheit unserer Verständigung, in der Einfachheit unserer Taten
liebevollen Dienstes an unseren Brüdern und Schwestern.
Und nun möchte
ich noch einen weiteren Aspekt unserer christlichen Identität ansprechen. Sie bringt
reiche Frucht. Da sie aus der Gnade unseres Gesprächs mit dem Herrn und den Eingebungen
seines Geistes hervorgeht und ständig davon genährt wird, bringt sie eine Ernte an
Gerechtigkeit, Güte und Frieden hervor. Lasst mich euch nun fragen nach den Früchten,
die sie in eurem eigenen Leben und im Leben der Gemeinden hervorbringt, die eurer
Sorge anvertraut sind. Leuchtet die christliche Identität eurer Teilkirchen in euren
Programmen für Katechese und Jugendpastoral auf, in eurem Dienst an den Armen und
an denen, die am Rande unserer Wohlstandsgesellschaften dahinvegetieren, wie auch
in euren Bemühungen, Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben zu wecken?
Schließlich
verlangt ein echter Dialog neben einem klaren Gefühl für unsere eigene christliche
Identität auch die Fähigkeit zur Einfühlung. Wir sind aufgefordert, nicht nur auf
die Worte zu hören, die andere sprechen, sondern auf die unausgesprochene Mitteilung
ihrer Erfahrungen, ihrer Hoffnungen und Bestrebungen, auf ihr Ringen und ihre innersten
Anliegen. Dieses Einfühlungsvermögen muss die Frucht unserer geistlichen Einsicht
und persönlichen Erfahrung sein, die uns dazu führt, andere als Brüder und Schwestern
zu sehen und in und hinter ihren Worten und Taten das zu „hören“, was ihr Herz mitteilen
möchte. In diesem Sinn verlangt der Dialog von uns einen wirklich kontemplativen Geist
der Offenheit und Empfänglichkeit gegenüber den anderen. Diese Fähigkeit zur Einfühlung
ermöglicht einen wahren menschlichen Dialog, in dem Worte, Ideen und Fragen aus einer
Erfahrung von Brüderlichkeit und gemeinsam erlebter Menschlichkeit hervorgehen. Sie
führt zu einer echten Begegnung, in der man von Herz zu Herz spricht. Wir werden
durch die Weisheit der anderen bereichert und öffnen uns, um gemeinsam den Weg zu
größerem Verständnis, mehr Freundschaft und Solidarität zu gehen. Wie der heilige
Johannes Paul II. zu Recht erkannte, gründet unsere Verpflichtung zum Dialog schon
in der Logik der Inkarnation: In Jesus ist Gott selbst einer von uns geworden, hat
das Leben mit uns geteilt und in unserer Sprache zu uns gesprochen (vgl. Ecclesia
in Asia, 29). In diesem Geist der Offenheit anderen gegenüber hoffe ich ernstlich,
dass jene Länder eures Kontinents, mit denen der Heilige Stuhl noch keine vollständigen
Beziehungen unterhält, nicht zögern, einen Dialog zum Wohl aller voranzutreiben.
Liebe
Mitbrüder im Bischofsamt, ich danke euch für euren herzlichen und brüderlichen Empfang.
Wenn wir den großen asiatischen Kontinent betrachten mit seinen ausgedehnten Territorien,
seinen alten Traditionen und Kulturen, wird uns bewusst, dass eure christlichen Gemeinden
in Gottes Plan wirklich ein pusillus grex, eine kleine Herde sind, die gleichwohl
beauftragt ist, das Licht des Evangeliums bis an die Enden der Erde zu bringen. Möge
der Gute Hirte, der jedes seiner Schafe kennt und liebt, eure Bemühungen, ihre Einheit
mit ihm und mit allen Gliedern seiner Herde auf der ganzen Welt aufzubauen, leiten
und stärken. Ich empfehle euch alle der Fürsprache Marias, der Mutter der Kirche,
und erteile als Unterpfand der Gnade und des Friedens im Herrn von Herzen meinen Segen.