Vatikan-Diplomat: „Eine Militäraktion ist vielleicht in diesem Moment nötig"
Ein militärischer
Eingriff im Nordirak, sofortige humanitäre Hilfe und ein Stopp für Waffenlieferungen
an Islamisten: das hält Erzbischof Silvano Maria Tomasi für die geeignete Strategie,
um die blutige Krise des „Islamischen Staates“ einzudämmen. Erzbischof Tomasi ist
ständiger Beobachter des Heiligen Stuhles bei der UNO in Genf. Er sagte uns:
„Die
Notwendigkeit, die Christen im Nordirak auch physisch zu schützen, ist evident. Man
muss humanitäre Hilfe leisten, Wasser und Nahrung liefern, denn Kinder und Alte sterben
dort bereits aus Mangel an Nahrung. Sie mussten gehen ohne irgendetwas, nur in ihrer
Kleidung. Man muss sofort helfen, ehe es zu spät ist. Eine Militäraktion ist vielleicht
in diesem Moment nötig, es scheint mir aber auch dringend, dass alle jene, die Fundamentalisten
mit Geld und Waffen versorgen – einschließlich der Länder, die sie stillschweigend
unterstützen – aus der Deckung kommen und diese Unterstützung einstellen, denn sie
ist weder für Christen noch für Muslime gut.“
Damit hat erstmals in der
aktuellen Irak-Krise ein Vatikan-Diplomat eine vorsichtige Öffnung für das Ansinnen
eines Militärschlags gegen den „Islamischen Staat" angedeutet. Papst Franziskus
optierte wenige Stunden später beim Angelusgebet vom Sonntag freilich für das Ausschöpfen
politischer Lösungen.
Tomasi sprach von einer „neuen Tragödie im Mittleren
Osten“: die grundlegendsten Menschenrechte Zehntausender Menschen und ganzer Gemeinschaften
seien verletzt. Die Tatsache, dass es sich bei vielen Opfern um Christen handle, mache
die Sache in der westlichen Öffentlichkeit merkwürdig ambivalent.
„Wir
stehen vor einer komplizierten Lage. Einerseits sind da die Fundamentalisten, die
im Namen eines Kalifates, das sie errichten wollen, zerstören und erbarmungslos morden.
Auf der anderen Seite sehen wir eine gewisse Gleichgültigkeit der westlichen Welt.
Wenn es Christen sind, deren Rechte es zu verteidigen gilt, gibt es da eine falsche
Scham. Es ist ein Moment, in dem die Stimme des Gewissens klar und laut sprechen muss.“
Tomasi
beobachtet aber auch eine langsam einsetzende Haltungsänderung bei der internationalen
Gemeinschaft. Der Generalsekretär der UNO habe endlich von „inakzeptablen Verbrechen“
durch den „Islamischen Staat“ gesprochen und ausdrücklich als Opfer die Christen benannt.
Auch der UN-Sicherheitsrat habe über die Minderheiten im Mittleren Osten gesprochen,
besonders die christlichen. Aus Diplomatenkreisen verlautete inzwischen, der Sicherheitsrat
plane eine Resolution gegen den „Islamischen Staat“. Der von Großbritannien eingebrachte
Entwurf sieht unter anderem Reiseverbote für die Führung der Terrormiliz sowie das
Einfrieren von Vermögen im Ausland vor. Tomasi zufolge bringen die Gräueltaten der
Terroristen inzwischen auch arabische Staaten dazu, Blockaden zu überdenken.
„Neu
scheint mir zu sein, dass einige Muslime – etwa der Generalsekretär der Organisation
für Islamische Zusammenarbeit – sich ziemlich deutlich ausgedrückt haben, als sie
die Christenverfolgung im Irak verurteilten. So wurde von islamischer Seite nicht
nur das Recht der Christen auf Leben verteidigt, sondern auch ihr Recht, zu Hause
zu leben wie alle anderen Bürger des Irak oder etwa Syriens. Ein Mittlerer Osten ohne
Christen wäre eine Verarmung nicht nur für die Kirche, sondern auch für den Islam,
dem dann ein Antrieb für Demokratie und ein Sinn für den Dialog mit dem Rest der Welt
fehlen würde.“
Die USA haben derweil erneut Stellungen der Terrormiliz
des „Islamischen Staates“ im Nordirak bombardiert. Ein Militärsprecher teilte mit,
die vier Luftangriffe hätten dem Schutz der nordirakischen Jesiden gedient, die vor
den Gräueltaten der Dschihadisten in das Sindschar-Gebirge geflüchtet sind. Alles
deute darauf hin, dass die Angriffe „erfolgreich“ gewesen seien, hieß es. US-Präsident
Barack Obama kündigte an, dass die Luftangriffe - wenn nötig - noch Monate lang fortgesetzt
werden könnten.